Lesbische, schwule, bisexuelle und trans* Jugendliche sind in der Zeit ihres Coming-outs meist einsam und allein, von der Außenwelt ausgegrenzt und oft ganz auf sich allein gestellt. Häufig kommen Mobbing und Gewalt in Schule und sogar im eigenen Elternhaus hinzu. Es fehlen Ansprechpersonen und Rollenvorbilder. Diese Situation hat sich in der Pandemie noch weiter verschärft. Ein Projekt des COMING OUT DAY e.V. hilft nun mit dem deutschlandweit ersten Beratungs-Messenger – kostenfrei und datenschutzkonform.
Studien und Umfragen belegen, dass Jugendliche in Ihrem Coming-out weiterhin sehr verletzlich sind. LSBTQ* Jugendliche haben ein fünf- bis siebenfach erhöhtes Suizidrisiko, depressive Verstimmungen in dieser Gruppe stiegen während der Pandemie auf 66,9 %, selbstverletzendes Verhalten auf 17,9 %. Jugendliche entdecken im Schnitt mit etwa 13 Jahren, dass ihre sexuelle Identität von der Mehrheit abweicht, aber erst mit 18 Jahren erzählen sie davon das erste Mal einer anderen Person. Trans*-Personen entdecken Ihre geschlechtliche Identität oft bereits im Kindheitsalter.
Bis zum Coming-out, bei dem man sich anderen Personen anvertraut, liegen entsprechend oft viele Jahre der Unsicherheit, des Versteckens und der Selbstzweifel. Das größte Problem dieser Jugendlichen ist, dass sie vermeintlich oder tatsächlich keinen anderen Menschen zum Reden haben.
Der COMING OUT DAY e.V. ist anerkannter Träger der freien Jugendhilfe und unterstützt seit 2006 Projekte für junge LSBTQ*. Prominente Botschafter:innen sind Maren Kroymann und Thomas Hermanns.
Seit dem zweiten Lockdown im Herbst 2020 beraten im Projekt „Coming out und so…!“ ausgebildete, junge LSBTQ* zwischen 18 und 24 Jahren Jugendliche bis 26 Jahren per E-Mail in ihrem Coming-out, bei Fragen rund ums Verliebtsein, zu Beziehungsthemen, Stress in der Schule oder mit den Eltern oder bei der Recherche nach einer queeren Jugendgruppe in ihrer Nähe. Regelmäßige Supervisionen und Fortbildungen mit einem Team aus Psycholog:innen und Sozialpädagog:innen stellen die Qualität und die psychische Gesundheit bei den Ehrenamtler:innen sicher.
Im Jahr 2022 sind aber nicht mehr E-Mail oder Telefon, sondern Chats per Messenger DAS Medium Nummer 1 für Jugendliche. Der Chat bringt zudem durch eine größere Anonymität und Flexibilität eine deutlich niedrigere Hemmschwelle mit sich. Hier können tatsächlich Dialoge stattfinden, die Rat suchenden Jugendlichen bekommen direkt eine Antwort – wie sie es auch in ihrem Alltag von Freund:innen gewohnt sind. Der Messenger von „Coming out und so…!“ schließt damit eine Versorgungslücke für eine der vulnerabelsten Gruppen in Deutschland.
„Gerade bei diesem leider oft mit Angst besetzten Thema und den sensiblen Daten war uns der Datenschutz bei der Entwicklung des Angebots besonders wichtig“, sagt Vereinsvorstand Sven Norenkemper. „Klar hätten wir gerne beispielsweise auch einfach WhatsApp genutzt, aber das ist für Beratungs-Chats aus oben genannten Gründen völlig ausgeschlossen. Darum haben wir mit einer Firma, die sich auf genau solche Lösungen spezialisiert hat, unseren Messenger entwickelt.“
Der Messanger mit dem Namen „…und so! – Messenger“ kann im App Store von Apple und im Google Play Store kostenfrei heruntergeladen werden.
Antonia, 21 Jahre alt und eine von derzeit zwölf jungen Berater:innen im Team, unterstreicht die Stärke des Peer-to-Peer-Ansatzes: „Wir sind alle im ähnlichen Alter wie die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die uns anschreiben. Wir erinnern uns alle noch sehr gut an die Gefühle und die Gedanken vor und im Coming-out oder der Transition. Wir sind also näher dran als andere Berater:innen, geben aber gleichzeitig keine Standardlösungen oder gut gemeinte Ratschläge wie vielleicht Eltern oder Freund:innen“. Dominik, 21, ergänzt: „Wir suchen zusammen mit den zu Beratenden nach Antworten und überlegen Lösungsmöglichkeiten, „hören zu“ und bieten Wege aus dem Gedankenkarussell an. Und klar, manchmal erzählen wir auch, welche Dinge uns so persönlich weitergebracht haben – eine gute Idee darf ja auch gerne als Inspiration genutzt werden.“
Phoenix, 24, fügt hinzu: „Ich habe mal gelesen ‚schreiben ist wie denken – nur lauter‘, das gefiel mir sehr gut und ich finde, es beschreibt gut, warum es für queere Jugendliche so wichtig ist, sich auszutauschen, Unterstützung und Akzeptanz zu bekommen und eben nicht alles allein mit sich auszumachen. Ich hätte mir so ein Angebot in meiner Selbstfindung sehr gewünscht!“
Das Team von „Coming out und so…!” arbeitet aus Köln und kooperiert eng mit dem lsbtiq* Jugendzentrum anyway e.V. Der Aufbau und die Etablierung der Peer-to-Peer-Messengerberatung wird gefördert vom Landschaftsverband Rheinland (LVR-Landesjugendamt).