Von meiner Mutter selig stammt der Satz »Man kann gar nicht so doof denken, wie manche Leute sind«. Daran musste ich denken, als ich von der CHANGED-Bewegung in den Vereinigten Staaten hörte, die sich selbst dafür feiert, dass ihre Mitglieder ihrer Homosexualität entsagt haben.
Man kann sich denken, wo es herkommt. Das »Ex-Gay-Movement« ist aus fundamental-religiösen Motiven gegründet worden und wird überwiegend von evangelikalen Gruppen getragen. Diese verunglimpfen grundsätzlich alles, was ihren teilweise kruden Glaubens- und Lebensvorstellungen widerspricht, und wären wahrscheinlich eher bereit, die Hexenverbrennung wieder einzuführen, als das Recht des Einzelnen auf Mesnschenwürde zu akzeptieren.
Auch wenn sich evangelikale Strömungen im Wesentlichen auf die USA kaprizieren, bleibt Europa nicht von ihnen verschont. Sehr ungern erinnere ich mich noch an die ominöse »Demo für Alle«, bei der im Herbst 2015 von der adligen Frontfrau der Organisation ein junger Mann präsentiert wurde, der unter dem großen Beifall religiöser und politischer Fundamentalisten berichtete, von seiner »homosexuellen Empfindung« durch Enthaltsamkeit abgekommen zu sein, weil er zu den Menschen gehöre, die ihr Schwulsein »aus Gründen eigener Einsicht oder einer christlichen Glaubensüberzeugung heraus« nicht ausleben wollten.
Das sei dem erwähnten jungen Mann auch von Herzen gegönnt. Denn: »Jeder soll nach seiner Façon selig werden«, möchte man mit dem Alten Fritz, dem preußischen König Friedrich II., rufen. Doch was hilft der fromme und immer noch erstrebenswerte Wunsch des schon lange verstorbenen Regenten, wenn hinter solchen Auftritten einzig und allein die Absicht steht, der Gesellschaft die Façon der Veranstalterin überzustülpen? Nichts.
Denn hier wird en passant eine Einzelstimme zur Mehrheitsmeinung hochstilisiert. Die Façon der Verfechter der Homoheilung – egal ob »Demo für Alle« oder »CHANGED« – erlaubt nicht nur unmenschliche Konversionstherapien, sondern fördert sie sogar als ultimativen Wegweiser auf den »rechten Weg«.
Die Bigotterie zeigt sich noch in einer anderen Weise: Werden Paraden zum CSD und vergleichbare öffentliche Auftritte oder Äußerungen nicht-heterosexueller Menschen gerne als »LGBTIQ*-Umsturz-Agenda« verunglimpft, nutzen die angeblich ehemaligen homosexuellen Menschen dieselben Mittel und fühlen sich dabei im Recht.
Letztes Samstag, am 5. Juni, zogen sie durch Washington D.C. mit einem »Freiheitsmarsch«, dessen Aussage hätte sein können, dass sie sich von ihrer eigenen Identität befreien konnten. Aber nein – der Auftritt wurde einzig und alleine genutzt, um gegen LGBTIQ* zu pseudo-argumentieren. Und selbst dazu hatten es nur eine Handvoll Aktivisten zum Washington Monument geschafft. Die aber hatten wenigstens die Möglichkeit, nach ihrem Auftritt gegen Bezahlung von $ 35 an einem zweitägigen Redetraining teilzunehmen. Singen, tanzen und klatschen scheint auch in den USA nicht auszureichen, wenn man etwas erreichen will …
Das Schöne an den USA ist allerdings, dass der Irrsinn zuweilen auch ausgesprochen bemerkenswerte Blüten treibt. So hat sich neben der »Ex-Gay-Bewegung« auch eine »Ex-Ex-Gay-Bewegung« gegründet, die sich aus jenen Mitgliedern der »Ex-Gay-Bewegung« speist, die begriffen haben, dass man seine sexuelle Orientierung nicht so einfach ändern kann. Und sie sind aktiv geworden. Sie bezeichnen sich selbst als »Überlebende der Ex-Gay-Bewegung« (»ex-gay survivors«). Damit haben sie den Anderen etwas voraus: Wer selbst über sein Leben bestimmt, ist ein Macher und kein Opfer. Auch wenn das den religiösen Fundamentalisten nicht passt …