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Und dann? – Ein Zwischenruf

steuerlich gleichgestellt
© queerpride.de

Es ist aber auch wirklich unglaublich. Da kommt eine homosexuelle »schrille Minderheit« und verlangt nach Jahrhunderten einer niemals gerechtfertigten Diskriminierung endlich – endlich! – die rechtliche Gleichstellung … und was passiert? Es wird mit einer großen Energie nach Gründen gesucht, um den Status Quo bloß nicht zu verändern.

Die Briten wollen aus der EU? Angela Merkel weiß es zu verhindern: »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.« So etwas lese ich von ihr nur bei außenpolitischen Themen. Im Inland hat sie keinen Willen – ja, sie verhindert sogar leicht gangbare Wege durch persönlich gefärbten Unwillen.

Die Ehe soll für alle geöffnet werden? Ja, wo kommen wir denn da hin? Hinterher will noch jemand seinen Hund heiraten, wie viele Kommentatoren im Internet regelmäßig befürchten. Dass das rein rechtlich gar nicht möglich ist, da Tiere zu »Sachen« gehören, scheint nicht zu interessieren. Dass aber Homosexuelle mit dieser Aussage ebenfalls zu »Sachen« degradiert werden … dass passt dann offensichtlich scho’.

Nun macht sich auch Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem beschaulichen Saarland auf ins Getümmel. Sie ist Ministerpräsidentin eines Bundeslands, das deutlichst weniger Einwohner hat, als die »schrille Minderheit« der LGBTI* Mitglieder. Trotzdem hat das Saarland Sitze und Abstimmungsrecht im Bundesrat. Heute wird sie in der Saarbrücker Zeitung zitiert: »Wir haben in der Bundesrepublik bisher eine klare Definition der Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau. Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen. Wollen wir das wirklich?«

Nein, liebe Frau Kramp-Karrenbauer. Was wir wirklich wollen ist, dass Sie nachdenken, bevor sie plappern. Wenn die Definition der Ehe in eine, wie Sie so richtig sagen, »auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen« verändert werden soll (was sie übrigens heute schon ist) … wie viele Mitglieder wird dann die #ehefueralle wohl haben? Drei Mal dürfen Sie raten! Und woher nehmen Sie die Angst, dass demnächst die Forderung im Raum stehen könnte, dass enge Verwandte heiraten dürfen? Von wem sollte sie kommen? Haben Sie vielleicht Geschwister oder Verwandte, die in Frage kommen könnten?

Es ist schon putzig. Mittlerweile scheint es so, dass in der CDU/CSU – von der sich in der Petryschale auflösenden AfD mal ganz zu schweigen – nur Mitglied werden kann, wer über eine überbordende Phantasie verfügt.

Kaum, dass gefordert wird, das Grundgesetz solle vollumfänglich endlich auch für Homosexuelle gelten, entwickeln Politiker beider Geschlechter (aber nur einer Denkrichtung) Szenarien, was an Forderungen noch kommen könne und überbieten sich in deren Absurdität, als hätte das Einfluss auf die nächste Wahl. Muss jetzt schon der olle Goethe herhalten, die stetig bröckelnde Macht zu sichern? Merkel, Kauder, Tauber, Seehofer, Kramp-Karrenbauer und wie sie alle heißen: Sie gerieren sich wie weiland in des Dichterfürsten Ballade der Zauberlehrling, der aus übersteigerter Selbstgefälligkeit heraus letztlich seiner eigenen Zaubersprüche nicht mehr Herr wird. Das Ende ist bekannt: »Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los!«

Man stelle sich nur einen Moment lang vor, was passiert, wenn wir LGBTI*s die gesammelten Befürchtungen, so abstrus sie sein mögen, zum Anlass nehmen, sie tatsächlich, und sei es spaßeshalber, in die Tat umzusetzen! Dann werden wir die Bundesregierung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die gesammelte Jurisprudenz, die öffentlich-rechtlichen Glaubensgemeinschaften (die Scientologen überlassen wir lieber anderen), die Schulen und wahrscheinlich auch das Restaurant in der Reichstagskuppel übernehmen, nur noch Prosecco ausschenken und auf dem Dach des Parlaments die Regenbogenflagge hissen. Eine? Quatsch. Vier! An jeder Ecke eine!

Dann werden wir wirklich dafür sorgen, dass Neubauten einstürzen (wie ein lettischer Bischof behauptete) und dass Naturgewalten wie Tornados die Menschheit bedrohen, vor allem, wenn sie weibliche Vornamen tragen (wie sich ein US-Parlamentarier jüngst zu behaupten nicht entblödete). Und als erstes werden wir die Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung prüfen. Art. 1 wird dann lauten: »Die Würde des Homosexuellen ist unantastbar. Bei Heterosexuellen entscheidet die Gewissenprüfung«. Denn »Gewissen« ist ja das, worauf sich Parlamentarier immer berufen, wenn sie »Fraktionszwang« meinen.

Es geht aber auch einfacher. Das Grundgesetz lesen, verstehen und anwenden – die Realitäten erkennen – und sich dann mit geeinten Kräften den Problemen des Landes widmen. Die derzeitige Jammerei der Konservativen ist unnötig: Solange die Politiker das Grundgesetz mit Füßen treten, gibt es in der Tat keine vordringlicheren Aufgaben. Nicht einmal im Saarland …

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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