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Papst Franziskus – Missionarsstellung für alle!

Recht haben, Papst Franziskus
Papst Franziskus

Er hat es schon wieder getan (Papst Franziskus). Nun gut, es ist sein Job. Oder besser, sein Beruf. Den er übrigens nicht freiwillig angetreten hat; er wurde in dieses Amt gewählt. Aber offensichtlich gewährt das Amt keine Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen. Oder man wird nur in dieses Amt gewählt, wenn man keine eigenen Ideen einbringen will.

So ein Papst hat es aber auch nicht leicht. Er ist das Oberhaupt einer Kirche, mit deren Religion er eigentlich nichts zu tun hat, auch wenn er auf dem »Stuhl Petri« sitzt. Schließlich wurde das Christentum nicht von Petrus erfunden, sondern geht auf den Apostel Paulus und die Schöpfer des Johannes-Evangeliums zurück. Hierauf hat sich Franziskus wohl besonnen, als er vor einigen Tagen vor Journalisten davon sprach, man müsse Schwule und Lesben wieder »näher zu Gott« führen. Damit entspricht er der Darstellung des Evangelisten Johannes, dass Jesus auf die Welt gekommen sei, um den Menschen die Nähe Gottes zu vermitteln.

Nun darf man aber getrost die Frage stellen, warum nur die – im selben Atemzug als Sünder gebrandmarkten – Homosexuellen näher zu Gott geführt werden sollen, wenn alleine die katholische Kirche in Deutschland in den letzten 25 Jahren mehr als 3,5 Millionen Mitglieder, und sicherlich nicht nur homosexuelle, durch Austritt verloren hat. Das Angebot der Kirche hat schon lange nicht mehr viel mit den Bedürfnissen ihrer Mitglieder, unabhängig deren sexueller Orientierung, zu tun. Trotzdem gibt es immer noch viele offen homosexuelle Menschen, die ihren Glauben in einer Kirchengemeinde ausüben. Obwohl sie (nicht nur) der Papst mit steten Diskriminierungen düpiert.

Rundumschlag im Flugzeug

Auf dem Rückflug von einem Besuch im Kaukasus hat Franziskus zu einem Rundumschlag ausgeholt. Auf der einen Seite will er zwar – siehe oben – Homosexuelle nicht mehr ausgrenzen, auf der anderen Seite hat er die »hinterlistige Indoktrinierung mit der Gendertheorie« als »Teil eines weltweiten Kriegs zur Zerstörung der Ehe« scharf verurteilt. Die FAZ schreibt am 3.10.: »In seiner fliegenden Pressekonferenz berichtete er am Sonntagabend von einem französischen Vater, der ihm erzählt habe, wie der zehnjährige Sohn eines Tages auf die Frage, was er einmal werden wolle, geantwortet habe: ›Ein Mädchen.‹ Da sei dem Vater klar geworden, ›dass in Schulbüchern weiterhin die Gendertheorie unterrichtet wird, obwohl diese gegen die natürliche Ordnung ist‹, sagte der Papst und warf den Schulen den Willen zur ›Änderung der Mentalitäten‹ und eine ›ideologische Kolonisierung‹ vor.« Nun gibt es ja den alten Witz, in dem ein zwölfjähriger Junge gefragt wird, was er einmal werden wolle, und er »dreizehn« antwortet – aber mir wäre nicht bekannt, dass der aus dieser Antwort doch so klar hervorstechende Jugendwahn als »gegen die natürliche Ordnung« gerichtet empfunden wird. Es ist immer dasselbe alte Spiel.

Pars pro toto

Es genügt ein Fall, um das Ende der Welt herbeizurufen. Wäre es doch bei den Missbrauchsfällen in der katholischen Welt ebenso gewesen! Sämtlichen Äußerungen des Papstes, seiner Kardinäle oder Bischöfe wohnt eine Bigotterie inne, die zum Himmel schreit (und dort endlich einmal erhört werden müsste): Macht die Kirche Fehler oder begehen kirchliche Mitarbeiter Sünden, ist das lässlich. Lebt ein Mensch aber außerhalb der vom Mittelalter und dem Absolutismus geprägten kirchlichen Regeln, ist er ein Aussätziger. Ende Juni 2016 hatte der Papst angeregt, die Kirche möge sich bei Homosexuellen, Armen und anderen vernachlässigten Menschen, darunter auch vergewaltigten Frauen und ausgebeuteten Kindern entschuldigen.

Nota bene: bei ausgebeuteten Kindern – nicht etwa bei jenen, die von Funktionsträgern und Seelsorgern missbraucht wurden. An dieser Anregung kann man feststellen, wie realitätsfremd der zu Antritt seiner Amtszeit noch hochgelobte Papst Franziskus ist: Homosexuelle werden von der Kirche nicht vernachlässigt, sie werden stigmatisiert. Sie werden diskriminiert. Sie werden verfolgt. Im Namen der Religion wie auch im Namen der Kirche – zwei Dinge, die nur selten so viel miteinander zu tun haben wie bei der Ausgrenzung Andersdenkender – wird die sogenannte »Homo-Heilung« propagiert. »›Entscheidend ist, dass er am Ende glücklich sein kann mit der Situation‹ relativiert der Blogger im Studio-Interview wohlwollend verharmlosend die in einem Einspieler vorgestellte Konversionstherapie zur ›Heilung‹ homosexueller ›Verhaltensmuster‹«, wird ein homosexueller und deshalb aus langjährigen Kirchendiensten entlassener ehemaliger Religionslehrer zitiert (reiserobby.de, 12. Juli 2015), der die Reparativ-Therapie an sich selbst aber wohl nicht zulässt. Hier möchte man am liebsten Friedrich Hollaender zitieren: »Wenn ich mir was wünschen dürfte …«

Religion ist Ideologie

Ich kann zwar nicht nachvollziehen, warum sich Homosexuelle rechtspopulistischen Politikern, Parteien oder Ideologien andienen, obwohl sie wissen müssten, dass sie die ersten sind, die bei einer – hoffentlich niemals stattfindenden – Machtübernahme über die Klinge springen werden – aber ich kann verstehen, wenn homosexuelle Menschen ihre Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft nicht von den Äußerungen der Konfessionsobersten abhängig machen. Im Gegensatz zu AfD & Co., wo umso mehr getreten wird, je weiter es in der Hierarchie nach unten geht, ist der Umgang mit Homosexuellen oder Homosexualität in den christlichen Gemeinden »vor Ort« oftmals deutlich unproblematischer. Hier zählt der Mensch mehr als die Ideologie, als welche sich Religion immer wieder in den Äußerungen von Bischöfen aufwärts darstellt.

Religion ist wie Tango: heute Schwur und morgen Verrat

Der Papst wäscht – ganz nach dem Vorbild Pontius Pilatus’ – seine Hände in Unschuld. Er selbst habe während seiner gesamten Laufbahn als Geistlicher Homosexuellen oft die Hand gereicht und sogar einen Transsexuellen aus Spanien mit seiner Partnerin zu einer Audienz im Vatikan empfangen, sagt er den staunenden Journalisten. Boah, ey. Mir bleibt die Spucke weg. So viel Volksnähe hätte ich dem katholischen Oberhaupt gar nicht zugetraut! Er steht damit in direkter Linie zu Papst Pius X., der Anfang des 20. Jahrhunderts ein von ihm selbst erlassenes Tangoverbot wieder aufhob, nachdem der argentinische Tangotänzer Casimiro Aín vor dem Heiligen Stuhl getanzt hatte. Sollten Homosexuelle diesem Beispiel folgen und während einer Audienz kopulieren? Vielen geistlichen Würdenträgern würden sie damit allerdings keine Neuigkeiten vermitteln. Es gab ja, wie Benedikt XI. emeritus jüngst verlautbaren ließ, diese sagenumwobene »Schwulen-Lobby« im Vatikan, die er erfolgreich zerschlagen haben will. Wer’s glaubt, wird selig.

Man muss Franziskus fragen was er eigentlich will. Im selben Atemzug, in dem er behauptet, das Leben sei, wie es sei und man müsse die Dinge so nehmen, wie sie kommen, sagt er, dass Homosexualität kein Grund zum Jubeln sei. Ich kenne keinen, der aufgrund seiner Homosexualität jubelt. Ich kenne aber auch keinen, der aufgrund seiner Heterosexualität jubelt. Aber manchmal kommen die Dinge eben so, wie sie Franziskus oder/ und die katholische Kirche nicht wollen: Die FAZ berichtet in der oben genannten Ausgabe von zwei früheren Missionsschwestern, die sich im Rathaus von Pinerolo bei Turin hatten zivil trauen lassen – ganz ohne zu jubeln. »Dafür aber mussten Isabel und Federica, die beide 44 Jahre alt sind und sich bei ihrer Arbeit in Afrika trafen und verliebten, ihren Orden verlassen. Noch in dieser Woche wollen sie sich auch kirchlich binden. Die Trauung nimmt freilich Don Franco Barbero vor, der 2003 wegen dieser Praxis exkommuniziert worden war.«

Es ist so langsam an der Zeit, dass das Leben die katholische Kirche missioniert.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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