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»It’s A Sin«: Ritchie Tozer – das Alter Ego von Olly Alexander

Richie
Ep1. Richie

Ritchie kommt von der Isle of Wight nach London, um zu studieren. Jura – das gefällt seinen Eltern gut. Nur seine Schwester fühlt sich stetig zurückgesetzt  – und das lässt sie den älteren Bruder auch spüren.

Das Familienbild ist klassisch: der Vater bestimmt, die Mutter setzt es um, die Kinder passen sich an. Aber der Vater kann auch anders: Ganz jovial – die Mutter braucht es nicht zu erfahren – überreicht er seinem Sohn auf der Fähre zum Festland eine Packung Kondome, als Schutz vor den Verlockungen der Großstadt. Wenn der wüsste, dass sein Sohn schwul ist!

Aber er weiß es nicht. Und so entsorgt Ritchie, als der Vater sich entfernt, die Gummis über die Reling. Schwangerschaften sind das Geringste, das er zu befürchten hat.

Auf der Uni lernt er Ash und Jill kennen, Roscoe stößt dazu – und sie beziehen gemeinsam eine Wohnung – den »Pink Palace«. Und er wechselt das Studienfach, will Schauspieler werden. Mit Colin wird das Quintett komplett. Ab jetzt heißt es feiern und das Leben genießen. Sex, viel und oft, steht im Mittelpunkt. Als die ersten Meldungen über eine merkwürdige Krankheit auftauchen, weigert sich Ritchie anfänglich, ihnen Glauben zu schenken …

Olly Alexander, Frontmann von »Years & Years« wurde vom Fleck weg für die Rolle des Ritchie Tozer engagiert – die Chemie zwischen Russell T Davis und ihm stimmte von Anfang an. Für den Sänger und Schauspieler war »It’s A Sin« eine Begegnung mit sich selbst.

Genau wie Ritchie kam Olly Alexander mit 18 Jahren und großen Träumen aus dem eher ländlich geprägten Gloucestershire in die große Stadt. In einem Interview mit der New York Times offenbarte er, dass er, der seit Jahren offen schwul lebt, als Kind Opfer homophober Attacken seiner Mitschüler war. Als Neunjähriger trug er langes blondes Haar und gerierte sich eher feminin. Damit wurde er zur perfekten Zielscheibe. »Kinder können so grausam sein«, erinnert er sich. Vielleicht war auch das ein Antrieb, sich anzunehmen und zu sich selbst zu stehen.

Als er 2016, kurz nach dem »Pulse«-Massaker in Orlando/Florida, beim Glastonbury Festival mit »Years & Years« seinen Song »Sanctify« über die geheime Liaison eines schwulen und eines heterosexuellen Mannes präsentierte, stellte er sich anschließend vor das Publikum und sagte: »Ich bin hier, ich bin queer, und, ja, manchmal habe ich Angst.

© Rakuten TV, Ep1. Richie

Aber ich schäme mich nie, denn ich bin stolz darauf, wer ich bin.« Dieses Outing führte dazu, dass er für eine BBC-Dokumentation über sein Aufwachsen als schwuler Mann engagiert wurde. Er scheute sich darin nicht, über seine negativen Erfahrungen mit Mobbing und Homophobie und den daraus resultierenden psychischen Problemen zu sprechen.

Diese Offenheit begeisterte viele Menschen, die ihm von eigenen Erfahrungen berichteten – es waren so viele, dass er irgendwann nicht mehr alle beantworten konnte. Aber er war sehr beeindruckt: »Viele Menschen haben mir ihre emotional verletzliche Seite gezeigt«, sagt er. »Das ist eigentlich eine wertvolle Sache.«

Bei Dreh wurde ihm klar, wie sehr die Epidemie das leben schwuler Männer zerstört hat. Die Untätigkeit der Regierung beim Thema AIDS und die überharten Reaktionen auf die wütenden Proteste dagegen schockierten ihn.

»Als wir die Protestszene drehten, war ich nach dem ersten Take völlig fertig«, erzählt er. »Ich musste erst einmal eine Pause einlegen.« Zum Glück erkannte auch der Regisseur, welch emotionale Auswirkung die – reale – Geschichte auf die Darsteller hatte. Olly und Ritchie – es könnten beinahe Geschwister sein. So normal es für den Schauspieler war, seine Verletzlichkeit zu zeigen, ist es für sein Alter Ego, sie zu verdrängen und zu überspielen.

© Rakuten TV, Ep1. Richie

Aber in einem Punkt unterscheiden sich die beiden doch. In »It’s A Sin« kann sich Ritchies Mutter nicht vorstellen, dass ihr Sohn schwul sein könnte – Olly Alexanders Mutter aber reagierte selbst auf die sehr intimen Szenen ziemlich gelassen.

Als er ihr erzählte, dass es solche Szenen gebe, zuckte sie nicht einmal mit der Wimper. »Du hast mir davon erzählt, also wusste ich, was mich erwartet.« Einen solchen entspannten, ja beinahe selbstverständlichen Umgang wünschen sich auch heute noch viele, insbesondere junge schwule Männer …

Die Medienplattform Rakuten TV zeigt die Mini-Serie ab dem 20. Juni 2021 im Starzplay-Abonnement.

Der erste Teil unserer Reihe: »It’s A Sin«: Sündhaft ehrliche Mini-Serie über HIV im London der 80er

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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