Ich selbst erkannte bereits in jener Samstag Nacht in der legendären New Yorker Roxy Disko im Sommer 1998, dass eine Mitgliedschaft im Fitness-Studio am besten bereits vor dem Coming-out abgeschlossen werden sollte. Denn ein durchtrainierter Körper in den Londoner und New Yorker Gay Communities wird nicht als ein “Nice to Have”, sondern häufig als ein “Must-have” betrachtet.
Als stolzer Europäer konnte ich mich jedoch niemals ganz mit dem Slogan “Looking good is not important – it is everything” anfreunden, da ein heißer Körper alleine keine Garantie für eine interessante Unterhaltung beim ersten Date ist. Und als ich dann älter wurde und oft überhörte, wie sich die jüngere Generation über den Konkurrenzdruck in der Gay Community beschwerte, konnte ich darüber nur lächeln, da ein gutes Aussehen irgendwann nicht mehr ausreichen würde, um glücklich zu sein.
Tatsächlich scheint es eine Herausforderung zu sein, nicht nur gut auszusehen, sondern auch dauerhaft glücklich zu sein. Ich selbst machte diese Erfahrung in meinen 30ern, entdeckte dann aber auch schnell meine Leidenschaft und mein Interesse für andere Dinge als Circuit Parties. Und als ich von der Dating Szene eine Pause brauchte, bin ich im Herbst 2013 durch Süd Amerika gereist und habe in Machu Picchu die Entscheidung getroffen, dass es Zeit für das nächste Kapitel in meinem Leben wurde – die eigene Familie.
Aber auch wenn der 40. Geburtstag gefeiert wurde und nach der Geburt meiner Tochter die nächste Generation in meiner Familie den Großteil der Aufmerksamkeit bekam, hörte es mit dem Sport nie auf. Meine Kollegen waren überrascht, als ich ihnen erzählte, dass ich im Grunde genommen auch weiterhin täglich zum Fitness-Studio gehen würde, das Equinox hieß.
Da ich bei einer Investmentbank auf der Wall Street arbeite, habe ich mir oft die Zeit für Workouts in der Mittagspause genommen, die es eigentlich in der Branche nicht gibt. Aber egal, der Sport hat mir immer geholfen, nicht nur von dem stressigen Arbeitsalltag, sondern auch manchmal von meinen Pflichten Zuhause abzuschalten und einmal ehrlich, was war falsch daran, das ganze Jahr über fit zu sein. Doch mit der Fitness sollte es im März 2020 plötzlich vorbei sein, als dank Covid-19 alle Fitness-Studios in New York geschlossen wurden.
Von einem Tag auf dem nächsten war ich ein von Zuhause arbeitender Familienvater , der von nun an der Kühlschrank ständig auffüllen musste, nachdem meine Tochter und ich früher immer alle Mahlzeiten in der Schule/Bank serviert bekommen hatten. Und als Single Gay Parent machte ich mir anfangs auch keine Gedanken, als ich nachgab und im Supermarkt Cupcakes und Kartoffel Chips kaufte. Und so wie viele andere auch, trank man dann halt das eine oder andere Glas Wein am Freitagabend, um einfach nur zu feiern, dass man eine weitere, verrückte Woche in den eigenen Wänden überstanden hatte.
Die neue Normalität hatte ja auch ihre Vorteile, auf einmal musste man morgens nicht mehr um 4:45 Uhr aufstehen, um zum Sport zu gehen und auch für das Fitnessstudio wurde plötzlich sehr viel Geld gespart. Aber mit dem Einzug von Joe Biden in das Weisse Haus der USA und den Meldungen, dass es irgendwann einen Impft Stoff für alle und eine Rückkehr zur alten Normalität geben würde, machte sich im Hause Meyer langsam aber sicher eine gewisse Panik breit. Und so stellte ich mir die Frage, die sich vermutlich einige von uns gestellt hatten, wie werde ich jetzt nur wieder fit?
Da ich mittlerweile Vater von zwei kleinen Kindern war, entschied ich mich gegen einige vorzeitige Rückkehr in das Fitness-Studio, da sich Bekannte auf diesem Wege angesteckt hatten und an Covid-19 erkrankt waren. Aber etwas musste passieren und so bestellte ich mir als Erstes eine Waage, die dann auch sehr schnell den Schaden des letzten Jahres in Zahlen ausdrücken würde.
Als nächstes schaffte ich mir eine Weight Tracker App auf meinem Handy an und setzte mir zum Ziel, innerhalb von 8 bis 10 Wochen mindestens 8 Kilo abzunehmen. Am Anfang machte ich eher wenig Fortschritte, stellte aber schnell kleinere Erfolge fest, als ich Schritt für Schritt meine Ernährung umstellte. Ich fing an, mehr Gemüse zu essen und entschied mich, während der Woche gesund zu leben und mir nur noch an den Wochenenden Pizza, Kuchen oder Eis zu gönnen, was das Ende der Cupcakes und Kartoffel Chips in meiner Familie bedeutete.
Wenn man älter wird, dann sucht man oft nach Entschuldigungen und Ausreden, warum der Sport eigentlich keine große Rolle mehr in unserem Leben spielen sollte. Ich glaube, dass für mich im Jahre 2020 Covid-19 diese Entschuldigung gewesen war. Aber als ich zum ersten Mal mit dem Joggen anfing, fühlte ich mich endlich nicht mehr eingeengt und auf das Leben in den eigenen vier Wänden reduziert. Ich spürte plötzlich eine gewisse Freiheit und das gute Gefühl, endlich wieder aktiv zu sein.
Ich lud mir eine Running Tracker App auf meinem Handy und hatte das Ziel, von anfangs 5 Meilen (ca. 8 km) irgendwann 11 Meilen (ca. 17 km) zu laufen, was ich niemals zuvor in meinem Leben getan hatte. Ich folgte dann auch der Empfehlung der Running App, dreimal die Woche joggen zu gehen. Wann immer ich schneller oder weiter gelaufen war, erhielt ich sofort einen Glückwunsch auf meinem Handy.
Zwei Monate später waren tatsächlich über 18 Pfund auf den Straßen Manhattans verbrannt worden und zum ersten Mal seit langem fühle ich mich wieder fit für den Sommer. Ich denke, dass es wichtig war, dieses Programm ohne Wenn und Aber durchzuziehen und so bin ich auch bei Eis und Schnee und Minustemperaturen durch New York gerannt. Um Verletzungen zu vermeiden, kaufte ich in dieser Zeit regelmässig neue Running Schuhe und war nicht zu ehrgeizig, was die Geschwindigkeit anging.
Aber es ging nicht nur darum, in Zeiten von Covid-19 wieder fit zu werden, sondern auch die Stadt New York von einer anderen und schöneren Seite kennenzulernen und sich dabei zurück in das eigene Leben zu kämpfen. Insgesamt führe ich heute wieder ein viel gesünderes Dasein und fühle mich in einem eigenen Körper wohl. Ich hatte in den letzten Jahren immer wieder Diäten scheitern gesehen, aber sich selbst ein realistisches Ziel zu setzen, das man über einen längeren Zeitraum auch tatsächlich erreichen kann, schien dieses Mal den Unterschied gemacht zu haben.
Ich hatte inzwischen meinen zweiten Impf-Termin und meldete mich vor drei Wochen auch wieder im Fitness Studio zurück. Aber ich habe während der Krise und teilweisen Isolation erkannt, das wir nur für uns selbst versuchen sollten, fit zu sein und mit uns selbst im Einklang zu sein.
Nur weil ein paar Wannabees in ihren 20ern denken, dass es nur die Gruppen “Hot” oder “Not” gibt, sollte dies kein Grund sein, uns zu verstecken wollen. Denn wir haben nur das eine Leben und Covid-19 hat vielen von uns gezeigt, wie schnell es mit dem Leben vorbei sein kann. STAY SAFE!!!