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Drittes Geschlecht: Wenn Menschen sich nicht einordnen lassen (wollen)

Drittes Geschlecht: In Indien heißen sie "Hijras"
© TurkMSIC

Drittes Geschlecht: Menschen, die sich nicht in „Frau“ und „Mann“ einordnen lassen (wollen). Am sichtbarsten sind sie in Indien, hier leben drei Millionen „Hijras“.

Drittes Geschlecht – in Indien heißen sie „Hijras“

„Hijras“ sind Männer, die sich als Frauen fühlen. Viele von ihnen werden diskriminiert, weshalb es ein Meilenstein ist, dass sie in Indien neuerdings als „drittes Geschlecht“ anerkannt worden sind und somit endlich wichtige Dokumente beantragen können, die ihnen zuvor vorenthalten wurden. Nicht mal einen Pass konnten sie beantragen, wenn sie sich weigerten, sich zu einem bestimmten Geschlechtsstatus zu bekennen. „Es ist das Recht eines jeden Menschen, sein Geschlecht frei zu wählen“, so hat es der Oberste Gerichtshof in Dehli jetzt entschieden und stellt weiter fest, dass „über Generationen hinweg (…) diese Menschen diskriminiert und kriminalisiert“ worden seien. Daraus folgt: Seit wenigen Tagen haben sie also dieselben Rechte wie indische Männer und Frauen, doch sind sich die „Hirjas“ einig darin, dass es sich zeigen wird, ob die indische Gesellschaft sie auch im alltäglichen Leben als gleichwertig behandeln wird: „Es gibt zu viele Vorurteile gegen uns“, zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ, Ausgabe vom 31. Mai 2014) Anjan Joshi, Eigentümerin des „Zeenat“-Clubs für Homo- und Transsexuelle in Khajuri im Nordosten von Neu Dehli. Und für Transgender besteht der indische Alltag im Wesentlichen aus Hohn, Spott, Diskriminierung und Missbrauch bis hin zur Vergewaltigung. Ähnlich ist es in Ländern wie dem Irak oder der Türkei.

Zeigen „Hijras“ ihr Geschlecht, bedeutet das sieben Jahre Fluch

Weibliche Seelen in männlichen Körpern – das ist etwas, womit viele in der indischen Machogesellschaft, wo Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind, wenig bis gar nichts anfangen können. Deshalb sind „Hijras“ in ihren Augen minderwertige Geschöpfe, und so finden es auch die meisten der Inder völlig in Ordnung, dass „Hijras“ kein Eigentum haben, nicht heiraten und dass die Menschen mit dem dritten Geschlecht von Krankenhäusern abgewiesen werden durften, wenn sie medizinische Versorgung benötigten. Was dazu nicht passt: Nicht wenige Inder buchen Transgender-Menschen bei einer Geburt oder im Rahmen einer Hochzeit, damit sie das Ereignis mit ihrem Segen versehen. Wird allerdings zuwenig gezahlt, dann heben die „Hijras“ flugs ihren Rock hoch, denn der Anblick operierter Genitalien soll sieben Jahre Fluch bedeuten. Mindestens. Davon sind gläubige Hindus fest überzeugt. Dass „Hijras“ in Indien diskriminiert werden, war übrigens nicht immer so. Im Gegenteil: Bevor die Kolonialherren in Indien einfielen, waren sie durchaus anerkannt. Das änderte sich im 19. Jahrhundert, als die Briten Transgender als Perverse und Kriminelle abstempelten und rigoros dafür sorgten, dass sie aus dem indischen Alltag verbannt wurden.

Homo- und Bisexuelle werden in Indien weiter verfolgt

Nun also haben „Hijras“ vollen Anspruch auf staatliche Leistungen und können bei der Vergabe von Studienplätzen gar bevorzugt werden. Und: Eine staatliche Aufklärungkampagne soll mit den bestehenden Vorurteilen aufräumen. Damit ist Indien weltweit ein Vorbild. Problem: Die Rechte, die Transgender-Menschen nunmehr haben, haben Homosexuelle weiterhin nicht, und Paragraph 377 des indischen Strafgesetzbuchs beschreibt die Liebe von Schwulen, Lesben und Bisexuellen unverändert als „gegen die Ordnung der Natur“. Bestraft wird dies im schlimmsten Falle mit bis zu zehn Jahren Haft. Dieser Teil des Strafgesetzbuchs, der noch aus der Kolonialherrenzeit stammt, wurde zwar schon einmal aufgehoben, doch vor einigen Monaten wieder eingeführt (queerpride.de berichtete). Doch nunmehr gehen die Richter des Obersten Gerichtshofs fest davon aus, dass das „Hijras“-Urteil auch den Paragraphen 377 hinwegfegen könnte: „Aus meiner Sicht hat das aktuelle Urteil das Potential, den Paragraphen 377 zu zerstören“, zitiert die FAZ eine Richterin. Gleichwohl könne man gesellschaftliche Akzeptanz nicht mit Gesetzen verordnen, sie müsse von den Menschen selbst kommen.

Informationen: Wer den „Zeenat“-Club nahe Neu Dehli besuchen will, sollte vorher Kontakt aufnehmen unter spacezeenat@gmail.com. Dann erfahrt Ihr die genaue Adresse. Auf Facebook kann man den Club auch liken, Ihr findet ihn unter SPACE-‚Zeenat‘-Club für Transgender.

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

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