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Die Power des Ballett

Ich glaube fest daran, dass wir in unserem Leben von sehr vielen Dingen und Menschen inspiriert werden können. Gerade in der heutigen Zeit, in der ein Großteil unserer Mitmenschen offener ist als früher und sich daran gewöhnt hat, dass wir schwule Jungs und Männer präsent und Teil ihres Lebens sind, scheint es einfacher zu sein, sich zu finden und zu sich selbst zu stehen.

Aber als ich in den 1980ern auf einem Bauernhof in Niedersachsen aufwuchs, sah das ganz anders aus und von Akzeptanz kann damals nicht wirklich die Rede gewesen sein.

Was mich in meiner Jugend geprägt hat, war die Kernbotschaft der amerikanischen Fernsehserie „Fame – der Weg zum Ruhm“, die in den USA von 1982 bis 1987 ausgestrahlt wurde und auf dem gleichnamigen oscarprämierten Film basierte. Auch wenn in Deutschland nur die ersten 26 Episoden ausgestrahlt wurden, war die Serie weltweit ein Hit.

Fame erzählte die Geschichten der Schüler der New Yorker „High School of Performing Arts“, die von einer Karriere im Showgeschäft träumten.

„Sei Dein eigener Held, arbeite hart und glaube an Dich selbst und Deine Träume“, diese Worte habe ich bis heute nicht vergessen und ich erinnere mich, wie begeistert ich von Gene Anthony Ray gewesen war, der den rebellischen Tänzer Leroy Johnson verkörpert hatte und durch den ich sicherlich mein eigenes Interesse für den Tanz im allgemeinen und das Ballett im Besonderen entdeckt hatte. Und vor allem hatte ich durch „Fame“ früh erkannt, dass es okay war, „anders“ und „schwul“ zu sein.

„Fame“ war schon bald wieder aus meinem Leben verschwunden, aber ich hatte meine Träume und verließ später den Bauernhof und kam nach einem Studium in Hannover und ein paar Jahren in London endlich selbst in New York an, wo zwar keine Karriere am Broadway aber irgendwann an der Wall Street auf mich wartete.

Was bedeutet es, Träume zu haben und bereit zu sein, alles dafür zu tun, um diese zu verwirklichen? Wenn wir die großen Namen des Ballett hören, wie zum Beispiel Rudolf Nureyev, der von vielen als der beste Ballett Tänzer seiner Zeit bezeichnet wird, oder Alvin Ailey, der als einer der ersten afroamerikanischen Tänzer seinen Durchbruch im Amerikanischen Ballett geschafft hatte oder Michael Bennett, der selbst Tänzer war und uns die Broadway Musicals „A Chorus Line“ und „Dream Girls“ gab, dann erkennen wir schnell, wie viel harte Arbeit hinter diesen Karrieren stand.

Ich habe Freunde am New York City Ballett, deren Träume nach ihrer Ausbildung an der School des American Ballett in Erfüllung gegangen waren. Sie stehen heute auf der Bühne des Lincoln Centers vor über 2,500 Zuschauern und wissen, dass das die Zeit ihres Lebens ist. Aber tatsächlich ist diese Zeit begrenzt. Die Karriere eines männlichen Ballett Tänzers endet schon sehr oft in den 30ern, nachdem sie jahrelang die Ballerinas während der Aufführungen in die Luft in die Luft gehoben haben. Was so einfach und zauberhaft von der Zuschauertribüne aus erscheint, führt regelmäßig zu Verletzungen und manchmal kann mit einem falschen Schritt alles vorbei sein.

Aber bevor es überhaupt zum Engagement kommt, ist es ein tatsächlich harter Weg. Meine Freunde Alec und Preston haben ihre Zuhause und Familien in North Carolina und Australien zurück gelassen, um in New York täglich an der School of American Ballett zu trainieren.

Viele Kinder besuchen keine normalen Vollzeit Schulen, sondern werden zuhause unterrichtet und wenn sie 6 Jahre alt sind, wird entschieden, ob sie weiter Ballett Unterricht nehmen dürfen oder aber die Schulen verlassen müssen, weil nicht genug Talent oder Leistung da ist. Zu diesem Zeitpunkt werden sie oft schon zwei oder dreimal die Woche unterrichtet.

Aber in der Regel geht es schon viel früher los: Meine Tochter und ich nahmen bereits an einem „Eltern-Kinder“ Programm der Ailey School teil, als sie gerade einmal 2 Jahre alt war. Mit Ballett hatte das nicht viel zu tun. Den Kids hat es Spaß gemacht, mit den Eltern durch das Tanzstudio zu rennen, während im Hintergrund Musik von einer Basstrommel zu hören war. Aber schon damals lernten sie die ersten Grundlagen von Rhythmus, Musik und Bewegung.

Mit drei Jahren ging es dann darum, während der Probierstunde bei der Jacqueline Kennedy Onassis School des American Ballett Theaters einen guten Eindruck zu machen, was irgendwie nicht geklappt hatte. Aber die damalige Lehrerin musste schon damals etwas in meiner Tochter gesehen haben und so war die Freude groß, als sie für das Programm für die ganz Kleinen aufgenommen wurde.

Inzwischen ist mein kleines Mädchen dort in ihrem zweiten Jahr, jeden Samstagmorgen muss ich mich mit meinem nicht tatsächlich vorhandenen Talent als Haar Stylist auseinandersetzen und gegen 8:30 Uhr verlassen wir dann schon das Haus und machen uns auf dem Weg zu der 890 Broadway Location.

Am Ende ihres ersten Jahres hatten die jüngsten der Jacqueline Kennedy Onassis School dann vor knapp 1,000 Zuschauern ihren ersten großen Auftritt, was einfach nur fabelhaft war. Die Mädchen und zwei Jungen hielten sich gegenseitig an den Händen, bevor sie auf die Bühne kamen und zeigten, was sie gelernt hatten. Ich saß in der ersten Reihe und als sie mir strahlend zuwinkte, hätte der Junge von damals, der auf dem Bauernhof in Niedersachsen aufgewachsen war, nicht stolzer sein können.

Aber trotz all der Begeisterung für das Ballett habe ich ihr immer gesagt, dass wir das nur weiter machen, solange sie Spaß am Ballett hat. Ich bin froh, dass sie auch andere Interessen hat und später entscheiden wird, wie lange sie Ballett Stunden nehmen möchte.

Ich werde sie dabei immer unterstützen egal wie sie sich entscheiden wird. Denn ich weiß, dass nur 2% der Ballett Schüler später Karrieren und Jobs in der Branche finden werden. Als sie mir vor kurzem berichtete, dass sie später Lehrerin werden möchte, spürte ich sicherlich so etwas wie Erleichterung.

Aber was macht die sogenannte „Power des Ballett“ eigentlich aus? Wenn wir als Zuschauer die attraktiven und jüngeren Tänzer auf der Bühne bewundern, dann erinnert uns da oft an unsere eigene Jugend und an unsere Träume. Für viele von uns hat das Ballett etwas Magisches an sich, wenn die Geschichte von Odette vom „Schwanensee“ durch Musik und Tanz erzählt wird.

Das Ballett gibt uns einen Zugang zu einer anderen Welt und eine Pause vom Alltag. Die Zuschauer werden das Ballett entweder lieber oder können nichts damit anfangen.

Ich habe in meinem Leben bereits sehr viele Aufführungen in London und New York gesehen und wenn ich mich im Theater umschaue, dann sehe ich keine Zuschauer, die auf ihren Handys unterwegs sind oder Pop Korn und Cola neben sich auf den Sitzen stehen haben.

Und gerade in New York gibt es sehr viele Möglichkeiten, hinter den Kulissen des Ballett zu schauen, als Volontär zu arbeiten oder am Samstagmorgen mit seinen Kindern anderen Schülern beim Training zuzuschauen, die kurz davor stehen, feste Engagements angeboten zu bekommen.

Michael Bennet, Gene Anthony Ray, Alvin Ailey und Rudolf Nureyev sind bis heute unvergessen und ihrer Arbeit beeindruckt auch weiterhin eine ganze Generation von Tänzern. Ich traf irgendwann Gene’s Kollegen von Fame auf einem Réunion Konzert in Italien im Dezember 2017 und lernte sie während eines Abendessens besser kennen.

Meine Tochter und ich waren ganz am Anfang bei Alvin Ailey’s School dabei und ihre jetzige Ballett Schule befindet sich im Gebäude 890 Broadway in New York, aus dem einst Michael Bennet eine Trainingseinrichtung für Tanz und Theater gemacht hatte.

Und im Juli 2019 legten wir Blumen an Rudolf Nureyev’s Grab in der Nähe von Paris nieder und ehrten den vermutlich in der Tat besten Ballett Tänzer seiner Zeit, der die Welt des Balletts über 50 Jahre lang dominiert hatte.

Written by Derek Meyer

Derek Meyer wird im Rahmen einer Artikel Serie über das Leben in New York schreiben. Er hatte bereits in seinem Debüt Roman „Coming Out in New York“ die Auf und Abs des Lebens in der New Yorker Gay Szene beschrieben und meldete sich knapp 2 Jahre später mit seinem zweiten Buch „Baby, Fame & Inspiration“ zurück. Beide Bücher sind auf www.tredition.de und Amazon erhältlich.

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