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Bergsteigen, um Homophobie zu bekämpfen

Vor 8 Jahren, als ich gerade von meinem Studium in den USA in mein Heimatland Kirgisistan zurückkam, sagte ich meinen Eltern, dass ich ihnen etwas sehr Wichtiges zu erzählen hatte. Es ihnen aber wahrscheinlich überhaupt nicht gefallen würde. Sie machten sich wirklich Sorgen.

– Hast du jemanden schwanger gemacht?
– Nein, antwortete ich.
– Nimmst du Drogen?
– Nein, sagte ich.
– Hast du in den USA was illegales getan?
– Nein, nein.
– Hast du jemanden getötet?
– Nein, natürlich nicht!

Und dann kam endlich diese Frage auf: “Bist du schwul?”

Ich konnte diese Frage nicht beantworten, und stattdessen herrschte lange unangenehme Stille. Aber zu diesem Zeitpunkt war schon alles mehr oder weniger klar:

Ja, ich bin schwul! 

In diesem Moment zerstörte ich das Bild meiner Eltern. Ein Bild von einem braven Sohn, auf den sie absolut stolz waren. Ich zerstörte ihre Hoffnungen und ihre Träume, z. B. wie meine Familie und meine Zukunft aussehen würden.

Dies war nicht mein erstes oder letztes Mal, dass ich Coming Out gemacht habe, aber definitiv ein der schwierigsten und wichtigsten. Meine Eltern reagierten zunächst nicht gut und machten mein Studium in den liberalen USA mit zu viel Freiheit verantwortlich (obwohl Amerika nicht so liberal und immer noch ein homophobisches und rassistisches Land ist).

Meine Eltern gaben sich auch die Schuld, mich auf diese oder jene Art und Weise erzogen zu haben. Es war schwer für sie. Es war schwer für mich. Sie versuchten mich von meiner Homosexualität zu heilen. Das ist natürlich gescheitert. Ich bekam eine starke Depression und fand meinen persönlichen Ausweg, indem ich ein schwuler Aktivist wurde und Unterstützung und Fürsorge von meinen Mitaktivisten erhielt. Ich habe mich einer Gruppe von Gleichgesinnten angeschlossen, und wir haben gemeinsam und systematisch gegen Hass und Gewalt gekämpft, indem wir den queeren Opfern von Gewalt Unterstützung geleistet und uns für die Menschenrechte von LGBT+ eingesetzt haben. Dieser Aktivismus brachte mich auf den Weg, mehrmals persönliche Geschichte öffentlich zu erzählen und Coming Outs zu machen. In der Tat wurden meine Coming Outs zu meinem wöchentlichen Ritual.

Jedes Mal hatte ich Angst und machte mir Sorgen darüber, wie die Menschen um mich herum reagieren würden. Jedes Mal musste ich alles über Homosexualität erklären und Mythen darüber entlarven. Ich begann zu spüren, wie stark ich tatsächlich bin und wie drastisch ich die Einstellungen der Menschen ändern kann. Natürlich, nicht von jeder.

Es gibt immer noch Verwandte, die es vermeiden, mich zu sehen, weil sie meinen, ich sei eine Schande für die Verwandtschaft. Ich habe den Kontakt zu einigen alten Freunden verloren, die mich meiden, damit andere nicht davon ausgehen, dass sie auch schwul sind. Es gab immer noch Momente an meiner Universität, in denen ich das Gefühl hatte, dass Kommilitonen über mich diskutierten und mich ständig meiden.

Aber es gab und gibt viele andere, die mich unterstützten und an mich glaubten. Ich habe viele coole neue Freunde gefunden und meine Beziehung zu meinen Eltern vertieft.

Ich konnte die Werte, den Geist und das Herz von Menschen verändern und ich konnte sogar Menschen ermutigen, am Aktivismus teilzunehmen, einschließlich meiner Mutter und meiner Schwester. Ich veränderte die Welt, aber auch veränderte ich mich selbst. Anstatt mich selbst zu hassen, fing ich an, mich wirklich zu lieben. Und stolz auf mich selbst zu sein.

Soziale Veränderungen geschehen nicht schnell. Ich glaube, sie treten allmählich in Phasen auf und jede diese Phase beginnt mit einem spezifischen sozialen Diskurs. Ich habe als LGBT+ Aktivist in Kirgisistan, in meinem kleinen konservativen Land in Zentralasien, einen plötzlichen Sprung in den Mainstreamnarrativen erlebt.

Weil ich öffentlich bekannt wurde, als ich auf einer von Human Rights Watch organisierten Pressekonferenzen gegen Polizeigewalt aussprach, haben sich die dortigen Medienberichte plötzlich geändert: von „Es gibt keine Schwule in unserer Nation“ zu „Es gibt Schwule auch hier, in Kirgisistan! „

Dies war eine spannende Zeit für uns, LGBT+ Aktivisten. Zum ersten Mal in der Geschichte Kirgisistans trat ein junger Kirgiser als schwul auf. Eine Gegenreaktion folgte aber schnell. Am Tag nach meinem Coming Out gab eine halbstaatliche religiöse Autorität ein Fetwa, religiöses Gesetz, heraus.

Die Fetwa besagte, dass schwule Menschen zu Tode gesteinigt werden müssen. Meine Mitaktivisten und ich haben unmittelbar danach viel Hass und Gewalt erlebt. Das Parlament begann mit der Erörterung eines russisch anmutenden „Propaganda“ -Gesetzes, das die Homosexualität in Kirgisistan de facto rekriminalisieren würde. Mein Coming Out brachte damals viel Gegenreaktion mit sich und es schien, als ob es unserer Bewegung nicht half, sondern nur neue Gefahren für meine Gemeinde mit sich brachte.

Dies war eine Zeit, in der wir uns stark mobilisierten. Wir als aktivistische Gemeinschaft wurden vereint und lautstarker. Es gibt jetzt mehr offene queere Stimmen. Massenmedien schreiben häufig über uns. Wir sind jetzt sichtbar. Die Geschichten über uns sind jedoch fast immer negativ. Wir werden bestenfalls als minderwertige Opfer und im schlimmsten Fall als Perverse und Schande für unsere Nation dargestellt.

Dies spiegelt natürlich unser tägliches Leben voller Diskriminierung, Hass und Gewalt wider. Ja, unser Leben ist hart, aber trotzdem machen wir auch viele coole Dinge. Wir sind nicht nur verletzliche Opfer, sondern auch erstaunliche Helden. Wir brauchen neue Narrativen und neue Geschichten über uns!

Unsere Waffen gegen die negativen Narrativen sind unsere Stimmen und unsere Actions. Ich habe meinen eigenen Weg gefunden, meine Geschichten als mächtige Waffe gegen Vorurteile und Hass einzusetzen: Ich bin von Kirgisistan nach Deutschland geradelt und habe Geschichten von LGBT+ Personen in der gesamten Region gesammelt.

Ich wurde von einem Mann aus Schottland inspiriert, der bei Bishkek Feminist Initiatives mitwirkte und von Bishkek bis nach Edinburgh mit seinem Fahrrad fuhr. Ich habe auch viele andere Radfahrer getroffen, die meisten waren jedoch weiße Männer mit westlichen Privilegien.

Ich habe noch nie von einem Kirgisen gehört, der eine so lange Strecke mit einem Fahrrad gefahren ist. Deshalb habe ich mich genau für eine Fahrradreisekampagne entschieden, um die Sichtbarkeit von LGBT+ zu erhöhen. Nach dieser dreimonatigen Radtour begann ich ein neues Projekt durchzuführen. Mein Ziel ist jetzt so gennate Seven Summits, die höchsten Berge aller Kontinente, einschließlich Everest, zu besteigen.

Es geht nicht nur darum, die Regenbogenfahne auf diesen Gipfeln zu hissen, sondern auch darum, zusammenzuarbeiten, um die inspirierenden Stimmen der LGBT+ Gemeinden sichtbarer zu machen.

Bergsteigen wurde ein großer Teil meines Lebens, als ich mit meinem LGBT+ Aktivismus begann. Die Berge boten mir Schutz, einen sicheren Ort vor Polizei und Staat, vor Gewalt und Hass, vor Schmerzen und Leiden, die ich aufgrund meiner sexuellen Orientierung empfand. Dort in den Bergen fühlte ich mich immer sicherer als unter Menschen.

Bergsteigen half mir auch, Burnout zu vermeiden, eine Work-Life-Balance zu finden und auf mich selbst aufzupassen. Die Berge erlaubten mir, an mich selbst zu glauben und auch unter den grausamsten Bedingungen stark zu bleiben.

Das Besteigen von Bergen ist gefährlich, aber ein LGBT+ Aktivist zu sein birgt noch mehr Gefahren. Ich habe immer Adrenalin, einen Sturm von Emotionen, Angst, Verzweiflung, Hoffnung, Freude und Glück, sowohl in meinem Aktivismus als auch im Bergsteigen erlebt.

Im Rahmen der Pink Summits Kampagne habe ich bereits drei Berge bestiegen, darunter Elbrus, den höchsten Berg Europas. Elbrus befindet sich in Russland im Kaukasus und in unmittelbarer Nähe zu Tschetschenien, wo Hunderte schwule in tschetschenischen Gefängnissen gefoltert und getötet werden.

Deshalb war es ein besonderer, unbeschreiblicher Moment des Stolzes, auf der Spitze des Elbrus zu stehen und die Regenbogenfahne im konservativsten und homophobsten Teil Russlands zu hissen.

Wir haben gerade unsere Kampagne begonnen, aber wenn es mir gelingt und ich alle sieben Gipfel besteigen kann, bin ich dann der erste Kirgiser, der den Mount Everest bestiegen hat und der das gesamte Programm der Sieben Gipfel abgeschlossen hat.

Der erste Kirgiser ist auch schwul. Ist das nicht cool für ein konservatives Land? Meine sexuelle Orientierung spielt für das Bergsteigen wahrscheinlich keine große Rolle, aber für Kirgisistan und den russischsprachigen Raum ist sie entscheidend um die Sichtbarkeit von LGBT+ zu stärken.

Pink Summits ist eine langfristige Kampagne. Jeder Berg braucht eine sorgfältige Vorbereitung. Ich glaube, dass ich die Kampagne mit dem Aufstieg zum Endgipfel Everest in den nächsten 5-7 Jahren abschließen werde. Dies ist jedoch nicht das Ende, sondern der Anfang: ich dokumentiere meine ganze Reise und möchte einen Dokumentarfilm, einen Podcast und sogar ein Buch schreiben. Ich hoffe, dass ich auf diese Weise mehr Menschen inspirieren kann.

Sie können unsere Reise durch unsere Blogs verfolgen: pinksummits.com, facebook.com/pinksummits oder mein Instagram: instagram.com/dastanik.

Bild: Dastan Kasmamytov.

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