Seit dem Referendum zur Eheöffnung ist eine große Diskussion in der Öffentlichkeit zu unterschiedlichen queerpolitischen Themen entfacht. Wir haben in den letzten Wochen viel über das Referendum zur Eheöffnung in Irland, dem Gerichtsentscheid des Supreme Courts in den USA und vielen Reaktionen aus Deutschland zum Thema Eheöffnung bei queerpride.de berichtet. Zu einigen dieser Fragen traf Marco Steinert die Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Simone Peter zum Exklusiv-Interview in Berlin.
Du kommst wie Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem Saarland. Zu ihren ersten Äußerungen zur Eheöffnung hattest du dich bereits kritisch geäußert. Doch AKK legte einige Tage später nach. Entsprechen ihre Aussagen aus deiner Sicht ihrem Weltbild oder missbraucht sie Lesben und Schwule hier für eine falsche Debatte der Angstmacherei aus der konservativen Ecke?
Simone Peter: Annegret Kramp-Karrenbauer bedient mit ihren Einlassungen zu Homo-Ehe und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare wiederholt homofeindliche Vorurteile. Den Gegner*innen der Gleichstellung von LGBT* innerhalb der Union sind schon lange die sachlichen Argumente ausgegangen. Kramp-Karrenbauer konstruiert bewusst einen falschen Gegensatz zwischen Kindeswohl und der Ehe für alle bzw. dem gemeinsamen Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare. Das ist an den Haaren herbeigezogen. Das beweisen viele tolle und glückliche Kinder aus Regenbogenfamilien, aber auch Studien und Quellen wissenschaftlicher Natur. Entweder Kramp-Karrenbauer spricht aus Unkenntnis oder sie versucht bewusst einen falschen Eindruck zu erwecken, um am rechten Rand Stimmen zu fangen. Beides halte ich angesichts des mancherorts rauer werdenden Klimas gegenüber LGBT und Trans* für sehr bedenklich. Politik auf dem Rücken von Minderheiten ist immer die schäbigste Art und Weise, sich selbst zu profilieren.
@ marriageequatlity.ie
Die Ehe für alle hat durch die Entscheidung in Irland wieder einen Platz in der Bundespolitik und den Medien erlangt. Ihr treibt die Koalition vor Euch her. Wie schätzt du die zukünftige Entwicklung in der Frage bei der Union ein?
Simone Peter: Deutschland kann und wird sich in dieser Frage keinen Stillstand mehr leisten können. Nicht nur die positive Entscheidung aus Irland, auch das Votum des Supreme Court in den USA beflügelt die Debatte um die Ehe für alle. Das wurde zuletzt beim CSD in Berlin mehr als deutlich: Stars and Stripes, Regenbogenfahnen und Euphorie soweit das Auge reichte. Dennoch gibt Deutschland im internationalen Vergleich weiter ein schwaches und blamables Bild ab! Sogar das kleine, post-kommunistische Slowenien hat jetzt die Ehe für alle geöffnet. Die deutsche Regierung und die Kanzlerin treten bei der Gleichstellung von Schwulen und Lesben weiter auf die Bremse, obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung die Ehe für alle befürwortet. Leider verweigern sich SPD und CDU weiterhin dieser Realität, sodass wohl wieder das Bundesverfassungsgericht gefragt sein wird, Diskriminierung zu beseitigen.
Zuletzt hatte Justizminister Maas in seinem Mini-Gesetz nur 23 Nachteile der jetzigen Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe beschlossen. Laut Eurer Fraktion im Bundestag sind aber 150 Gesetzesänderungen zur Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe erforderlich. Wird es bei einer Absage der Ehe für Alle hier ein konkretes Vorgehen von Bündnis 90/Die Grünen geben?
Simone Peter: Wir Grünen lassen uns von der Bundesregierung in Sachen Ehe für alle nicht so einfach abspeisen. Falls Kanzlerin Merkel auch weiter an ihrem überkommenen Gesellschaftsbild festhält, muss wohl wieder das Bundesverfassungsgericht für Klarheit sorgen, auch wenn diese Aufgabe eigentlich der Politik obliegt. Wir Grünen werden bis zum Schluss für die Öffnung der Ehe kämpfen, das sind wir uns und der Community schuldig. Die mühsamen Trippelschritte der 150 Gesetzesänderungen wären dann überflüssig.
Die Flüchtlingssituation ist in den letzten Monaten dramatischer geworden. Viele erreichen uns aus Krisen- und Kriegsgebieten. Unter ihnen sind auch immer wieder queere Flüchtlinge, die in ihrer Heimat nicht frei leben können oder um ihr Leben kämpfen. Was muss hier konkret getan werden?
Simone Peter: Deutschland kann und muss mehr für den Schutz von LGBT*-Flüchtlingen tun. Das fängt schon bei der Anerkennung der sexuellen Identität als Fluchtgrund an. Es ist ungeheuerlich, wie manchen LGBT*-Flüchtlingen hierzulande mit Unwissenheit, Skepsis und bürokratischer Kälte begegnet wird, obwohl die Rechtsprechung zum Schutz von LGBT* eindeutig ist. In vielen Amtsstuben herrscht die Annahme vor, eine aus Kamerun geflüchtete Lesbe oder ein schwuler Flüchtling aus dem Iran würde nach der Ankunft in Deutschland gleich das ganze bisherige Sexualleben ausbreiten wollen. Hier fehlt es oft an kultureller Sensibilität und Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Betroffenen. Eine weitere Baustelle ist die Frage des Wohnraums für LGBT*-Flüchtlinge. Viele Schutzsuchende fühlen sich in den Sammelunterkünften diskriminiert, sei es durch das Betreuungspersonal oder durch andere Flüchtlinge. Hier bedarf es besonderer Rückzugsräume für LGBT*, Frauen, Kinder und weitere besonders schutzbedürftige Gruppen. Das Zauberwort lautet hier wie anderswo: dezentrale Unterbringung. Zudem ist es nicht nachvollziehbar, dass Asylsuchende, die mit Deutschen verheiratet sind, nicht in einer Sammelunterkunft leben müssen, verpartnerte Asylsuchende hingegen schon. Leider erwarte ich hier nicht mehr viel von dieser Regierung aus CDU und SPD, die weiter Schwule, Lesben, Bisexuelle und Trans*personen diskriminiert und Flucht per Gesetz zu einem Verbrechen machen will.
In den einzelnen Bundesländern gibt es seit einigen Jahren Auseinandersetzungen über Bildungspläne und -reformen. In Berlin ist dazu die Initiative sexuelle Vielfalt sehr weit vorangekommen. Es wird von Bildungsplan-Gegnern viel Falsches verbreitet und Ängste geschürt. Sollte mehr Aufklärung über die Pläne in dieser Frage erfolgen oder ist hier mehr politische Überzeugungsarbeit nötig?
Simone Peter: Derzeit steigt durch das Erstarken extrem rechter Parteien die Gefahr eines gesellschaftspolitischen Backlash in vielen Politikfeldern, so auch in der Bildungspolitik. Das Prinzip ist hierbei oft ähnlich, sei es im Bereich Schwule, Lesben, Bi und Trans* oder in der Flüchtlingspolitik: Ängste schüren und der aufgebrachten Menge scheinbar einfache Lösungen präsentieren. Die Bildungsplangegner*innen verbinden ein erzkonservatives Weltbild mit oft falschen Fakten und Zerrbildern. Es geht bei der Vermittlung sexueller Vielfalt nicht um Sexualisierung im Vorschulalter, sondern um das dringend nötige Empowerment von LGBT*-Jugendlichen und der Vermittlung grundlegender Menschenrechte. LGBT*-Rechte sind Menschenrechte, für die es sich jeden Tag zu streiten lohnt. Politik, Schulen und Lehrer*innen dürfen nicht vor den ewiggestrigen Bildungsplangegner*innen einknicken. Wir sind mehr denn je gefragt, für die Idee einer offenen Gesellschaft einzustehen. Das Erstarken rechtspopulistischer Parteien wie der AfD oder offen rassistischer, menschenfeindlicher Bewegungen wie Pegida macht deutlich, wie fragil der Konsens über gleiche Rechte in unserer Gesellschaft mancherorts noch immer ist. Dabei wissen wir die LGBT*-Community stets an unserer Seite, wie auch die LGBT*-Community uns stets an ihrer Seite wissen kann. Gemeinsam mit anderen Betroffenen kämpfen wir gruppen- und parteiübergreifend gegen Diskriminierung, Homophobie, Transphobie, Antisemitismus, Rassismus und Islamfeindlichkeit. Ein Angriff gegen eine Minderheit ist immer auch ein Angriff gegen die ganze Gesellschaft.
Beim CSD in Berlin am vergangenen Wochenende warst Du dabei. Finden wir Dich noch auf dem einen oder anderen CSD in Deutschland?
Simone Peter: Ich bin in Berlin in meine diesjährige CSD-Saison gestartet und freue mich jetzt schon auf die Parade in Saarbrücken. Mit Rückenwind vom Supreme Court in den USA und vielen Gästen aus der ganzen Welt haben wir ausgelassen demonstriert und gefeiert: für gleiche Rechte für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Trans* weltweit.