Vor 20 Jahren wäre es beinahe unmöglich gewesen, nichts von der Fernsehserie “Sex and the City” gehört zu haben, die ein breit gefächertes Publikum hatte, das aus zwei wesentlichen Zielgruppen bestand. Da gab es auf der einen Seite diejenigen, die insgeheim davon träumten, ein Leben wie Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte in New York leben und schicke Designer Klamotten inklusive Manolo Blahnik High Heels tragen zu dürfen. Und dann gab es diejenigen von uns, die den Lebensstil der 4 Freundinnen schon nach kurzer Zeit begeistert adoptiert hatten.
Ich gehörte auf jedem Fall zu der zweiten Kategorie und während meine ersten Jahre in England von der Jobsuche und Finanzierung meines Studiums in London und New York geprägt waren, traf ich mich oft mit meinen Freunden, wir saßen in Cafés oder Bars und sprachen über Dating und Sex, was nach meinem Coming-out und Umzug nach England ein echter Befreiungsschlag gewesen war.
Auf einmal war es legitim, nicht nur auf der ewigen Suche nach der großen Liebe zu sein, sondern offen und ehrlich zuzugeben, dass man halt doch keine Charlotte York und so wie Samantha Jones einfach nur auf der Suche nach schnellen Abenteuern war. Wir waren in unseren 20ern oder 30ern und lernten in einer Zeit, in der es noch kein Grindr gab immer wieder neue Männer in den Bars und Diskotheken kennen.
Und als ich 2004 für ein Semester in New York studierte, waren wir alle von Berger enttäuscht, der sich mitten in der Nacht aus Carrie Bradshaw’s Apartment geschlichen und mit ihr auf einem Post-it Schluss gemacht hatte, den unsere Heldin am nächsten Morgen auf ihrem Tisch finden würde. Einfach so… Während das sogenannte “Ghosting” in der heutigen Zeit die Frage aufwirft, ob nicht jeder von uns am Ende ein paar Abschiedsworte verdient, hat Bergers Verhalten schon damals gezeigt, wie hart die Suche nach dem Richtigen sein kann.
Als sich die Serie nach 6 Staffeln und 94 Episoden dem Ende zuneigte, gab es nicht nur für Carrie und Mr. Big ein Happy End, sondern auch für Charlotte und Harry, Miranda und Steve und Samantha und Smith. Es folgten zwei weitere Kinofilme und Box Office Hits in 2008 und 2010, die zum Teil sehr gemischte Kritiken erhielten. Aber einmal ehrlich, wer hatte sich nicht über ein Wiedersehen mit unseren Heldinnen gefreut, die top gestylt auf der großen Leinwand zu sehen waren. Und dann war erst einmal Schluss mit Sex and the City. Aber war tatsächlich Schluss?
Sarah Jessica Parkers großer Erfolg hielt auch weiterhin. Sie wirkte in zahlreichen Kinofilmen mit, es gab eine weitere Fernsehserie und dank ihres Status als Mode-Ikone auch zahlreiche Jobs als Werbe-Ikone. Aber die heile Welt von Sex and the City wurde erschüttert, als die Samantha Jones Darstellerin Kim Cattrall in etlichen Interviews verriet, dass sie und die drei anderen Schauspielerinnen niemals echte Freundinnen gewesen wäre und für sie eine weitere Zusammenarbeit nicht infrage kommen würde.
Und nachdem Charlotte in der Serie irgendwann ein Baby aus China adoptiert hatte, entschied sich Kristin Davis für denselben Schritt. Aber im Gegensatz zu Charlotte schien es bei Kristin Davis mit der Partnersuche nicht geklappt zu haben und sie ist heute eine stolze und alleinerziehende Mutter von einer Tochter und einem Sohn.
Für eine der größten Überraschungen in der LGBTQ Community sorgte sicherlich Cynthia Nixon als sie den Vater ihrer zwei Kinder verließ und 2004 ihre Beziehung zu der Aktivisten Christine Marinoni bekannt wurde. Die zwei Frauen heirateten schließlich und wurden 2011 Mütter eines Sohnes. Im Juni 2018 gab Nixon bekannt, dass ihr ältester Sohn Transgender ist.
Cynthia Nixon hatte sich auch für die Wahl zum Governor von New York aufstellen lassen und immerhin 35% der Stimmen gewonnen. Nachdem ihr Konkurrent Andrew Cuomo später nach einem Sexual Harassment Skandal zurück treten musste, twitterte Nixon am 24. August 2021, dass keiner von ihnen Governor wäre, aber sie auch weiterhin ihre Emmys behalten dürfte.
Und dann und “einfach so” erfuhr die SATC Fangemeinde Ende 2021 von der Rückkehr von Carrie, Charlotte und Miranda im Reboot “Just Like That”, was sofort an die Artikel der Kolumnistin Carrie Bradshow erinnerte. Nachdem die Vorfreude der Fans am Anfang groß gewesen ist, halten die Diskussionen jedoch an, seitdem die ersten Folgen von “Just Like That” auf HBO in Amerika und Premiere in Deutschland anliefen.
Auch ich habe in New York ein sehr gemischtes Feedback von meinem Freunden erhalten, was mich dazu bewogen hat, diese Story zu schreiben. Dabei habe ich erkannt, dass nicht nur Carrie und ihre zwei besten Freundinnen erwachsen geworden sind, sondern sich in den letzten 20 Jahren auch das Leben vieler schwuler Männer geändert hat. So haben wir in der Gay Community mehr Rechte erhalten, wir dürfen unsere Partner heiraten und Familien gründen, was zum Teil sehr viel Freude, aber auch etliche Herausforderungen mit sich bringt, was auch die SATC Girls für sich erkennen müssen.
Was mir schon sehr früh aufgefallen ist, ist, dass die Serie trotz all der Kritik tatsächlich wieder einmalden Nerv der Zeit getroffen zu haben scheint. Die Macher scheinen dabei sehr bemüht zu sein, politisch korrekt zu sein. Mit Chris Noth kam es schon sehr früh zum Ende der Zusammenarbeit, der mit ähnlichen Anschuldigungen wie der ehemalige Governor Andrew Cuoma konfrontiert gewesen war. Den darauffolgenden Schicksalsschlag in der Serie mussten dann nicht nur Carrie Bradshaw und ihre Fans, sondern auch der Hersteller diverser Fitness Geräte erst einmal verdauen.
Und nachdem es nach Kim Cattral’s Äußerungen keine Überraschung gewesen war, dass Samantha Jones durch Abwesenheit glänzen würde, trafen die Fans auf neue Darstellerinnen aus den Afro Amerikanschen und East Asian Communities, was eine Reaktion auf die Black Lives Matter Bewegung gewesen war.
Aber was nicht nur mich, sondern auch viele andere Fans zum Nachdenken anregt, sind die Storylines und der Umstand, dass nicht nur die Darstellerinnen, sondern auch wir selbst älter geworden sind und so gibt es in “Just Like That” heute weniger Sex und High Heels und dafür mehr ernste Themen. Natürlich möchte ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten, da viele von Euch die Serie noch nicht im Pay-TV gesehen haben.
Aber während Charlottes heile Welt vor einer großen Herausforderung in der eigenen Familie gestellt wird, Miranda sich irgendwann eingestehen muss, dass sie nicht nur in ihrer Beziehung mit Steve, sondern auch in ihrem Leben unglücklich ist und daher ein neues Abenteuer wagen muss und Carrie erkennt, dass es für sie noch einmal einen Neustart gibt, wird auch bei manchen Zuschauern die Frage aufkommen, wie unser eigenes Leben in unseren 50ern aussehen sollte, damit wir auch im Alter weiterhin so richtig glücklich und zufrieden sein werden.
Okay, die körperlichen Wehwehchen, die sich bei Carrie, nach dem Jahrzehnte langen Tragen von High Heels eingestellt hatten, spielen dabei sicherlich weniger eine Rolle, als der Umstand, dass aus manchen Beziehungen irgendwann die Luft raus ist, Partner uns verlassen oder sogar sterben und Kinder uns irgendwann weniger brauchen.
Sicherlich wollten viele eingefleischte Fans mit solchen ernsten Themen nach 2 Jahren mit Covid-19 nicht unbedingt konfrontiert werden. Aber tatsächlich ist auch unser eigenes Leben nicht irgendwann in den letzten 20 Jahren stehen geblieben, nachdem HBO uns zuerst mit der unbeschwerten Welt von Sex and the City bekannt gemacht hatte.
Eines der Kommentare, dass mich sehr zum Nachdenken gebracht hat, ist “dass Carrie, Charlotte und Miranda zu stark versuchen würden, auch weiterhin relevant zu sein”. Dieses sicherlich sehr unbedachte Kommentar wirft schnell die Frage auf, ob auch der Rest von uns für die breite jüngere Masse irrelevant sein wird, wenn wir irgendwann unsere 55. Geburtstage feiern? In einer Gesellschaft, die von Jugend und Schönheit besessen zu sein scheint, erinnert uns “Just Like That” daran, dass das Leben auch nach dem 50. Geburtstag nicht vorbei sein muss, solange wir bereit sind, uns auch weiterhin auf neue Abenteuer einzulassen.
Und während ich mich nach über 17 Jahren für einen neuen Kurs an der New York University angemeldet habe, widme ich diesen Artikel nicht nur Carrie, Charlotte und Miranda, sondern auch meinen gleichaltrigen und älteren Lesern, die immer wieder neue Eindrücke und Erfahrungen im Leben finden und nicht bereit sind, sich einfach so in den Hintergrund drängen zu lassen.
Denn “Just Like That” ist das Leben noch lange nicht vorbei.