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Michael: Wenn Schwule unsägliche Bücher schreiben

Der Autor dieser Rezension war durchaus gespannt auf dieses Buch von einem Eric Ritter: „Michael – Ein schicksalhaftes Leben“, so der Titel, und auf dem Umschlag prangt der „Rosa Winkel“. Endlich also ein Buch, in dem ein Schwuler beschreibt, wie er im Nationalsozialismus und womöglich in der nachfolgenden Adenauer-Ära um sein Leben bangen musste beziehungsweise diskriminiert wurde. Nichts anderes impliziert die Gestaltung des Buchumschlags. Ein Irrtum. Ein fürchterlicher Irrtum gar, denn „Michael“ ist ein unsägliches Buch, peinlich, handwerklich daneben und somit völlig unnötig.

Beginnen wir mit einer der vernichtendsten Kritiken, die man an einem Buch üben kann: Ein verantwortlicher Lektor hätte „Eric Ritter“ – hierbei handelt es sich sehr wahrscheinlich um ein Pseudonym, was gut wäre für den, der sich dahinter verbirgt – sagen müssen: Kürzen! Straffen!! Das Buch beinhaltet nämlich 336 bleierne Seiten, doch hätten knapp einhundert Seiten auch gereicht, um dieses „schicksalhafte“ Leben des „Eric Ritter“ zu beschreiben. Ein Leben übrigens, das indes überhaupt nicht schicksalhaft ist, sondern eine öde Aneinanderreihung von Nebensächlichkeiten und uninteressantem Kram. Schnell wird klar: Der „Rosa Winkel“ auf dem Buchumschlag mag in Verbindung mit dem Titel verkaufsfördernd sein, doch kommen Wörter wie „Nationalsozialismus“ oder „Konzentrationslager“ in diesem Buch im Sinne von Verbrechen der Nationalsozialisten an Schwulen schlicht und ergreifend nicht vor. „Eric Ritter“ berichtet also nicht über Konzentrationslager, sondern über Michaels Konzentrationsschwierigkeiten. Wie sollte dieser Ritter die Naziverbrechen an Homosexuellen auch beschreiben, denn „Eric Ritter“ musste eben jenen „Rosa Winkel“ niemals tragen. Er beschreibt stattdessen Diskriminierungen im Alltag, unter anderem in der DDR, aber das haben schon viele vor ihm getan, und das wesentlich besser. Dabei faselt der Autor seitenweise über „Einblicke in die Probleme und Nöte der Homosexuellen“ und – als sei das Schwulsein eine Behinderung – von „Homosexualität als Lebenslos“.

Ein Lektorat scheint es nicht gegeben zu haben

Das alles tut der Autor auf eine Art und Weise, die einen ob der Langeweile, die dieses Buch beim Leser entfaltet, allenfalls als Einschlafhilfe nützlich sein kann, wobei dämliche Zwischenüberschriften wie „Einige positive und negative Bilanzen in Michaels Berufsleben“ durchaus unterstützend wirken. Alles kommt dabei auf eine geradezu fürchterliche Art und Weise bemüht und konstruiert daher, manches ist gänzlich entbehrlich, vieles offensichtlich unglaubwürdig, vor allem die zum Teil seitenlangen und vor allem sinnfreien Dialoge und Beschreibungen. Ein Lektorat scheint es nicht wirklich gegeben zu haben, was man auch daran erkennen mag, dass in dem Buch ständig für die Unterhose das Wort „slipp“ verwendet wird anstatt „Slip“. Oder aber es erschreckend ungelenke Sätze gibt wie „Dem wiederum gefiel dieses kleine Spielchen wunderbar, (…)“. Und dann diese Dialoge – Kostprobe, erster Teil: „Wolfgang fragte Michael: „Wohnen Sie in Wiesbaden?“ „Nein, ich wohne in Frankfurt, und Sie?“ „Ich wohne ganz hier in der Nähe; bin aber viel in Frankfurt. Ich habe gerade Semesterferien. Ich studiere Biologie und Deutsch und will einmal Lehrer werden.“ Ein unerträgliches Blablabla, das sich durch das gesamte Buch zieht, hartnäckig wie Kaugummi an der Schuhsohle. Bei manchen Beschreibungen könnte man sich schier totlachen, der Kostprobe zweiter Teil: „Er küsste ihn und tastete nach seinem Glied und berührte es kräftig, aber dennoch sehr gefühlvoll.“ Oder: „Sie (der Autor beschreibt die Brust eines Mannes) war von dunkelblonden kurzen lockigen Haaren geschmückt, die exakt in der Form eines Dreiecks angeordnet waren, dessen Spitze genau bis zum Bauchnabel reichte. Quasi fast als obere Endpunkte dienten die beiden Brustwarzen, die auf einer leichten Anhöhe die jeweilige Krone bildeten. Er verspürte plötzlich Lust, diese beiden Brustwarzen zu küssen und die Haare in Wachstumsrichtung zu streicheln.“

Die Beschreibung von Erotik hat Züge von ungewollter Comedy

Da, spätestens da, fragt man sich, wie viel „Eric Ritter“ dem Verlag überweisen musste, damit er diesen zwischen zwei Buchdeckeln gepressten Mist veröffentlicht. Überhaupt: Das Beschreiben erotischer Vorgänge gehört zu den Königsdisziplinen in der Literatur. Doch was macht „Eric Ritter“? Er beschreibt, wie sich zwei Männer „leidenschaftlich küssen“, sich hierbei eine „aufgestaute Lust entlud.“ Und wie entlud sie sich? Indem der eine der beiden Leidenschaftlichen, ein Joannis, aufhörte mit der leidenschaftlichen Knutscherei und dann davon redete, dass der andere „ein prima Kerl“ sei und man nun „etwas essen“ und eine Flasche Wein kaufen müsse. In der Tat erträgt man solche literarischen Ergüsse nur in einem vollumfänglich ausgeprägtem Alkoholrausch. Das ist unglaubwürdiger Nonsens, irgendwann blättert man so nur noch gelangweilt in diesem Buch umher, denkt, vielleicht passiert ja noch was, vielleicht erhellt uns dieser „Eric Ritter“ ja doch noch. Aber man liest dabei immer wieder denselben Quatsch. Daraus folgt die nun wirklich vernichtendste Kritik zum Schluss: „Eric Ritter“ beziehungsweise sein Verlag bewirbt „Michael“ mit dem „Rosa Winkel“. Doch darum, um es zu wiederholen, geht es überhaupt nicht in diesem Buch. Stattdessen verrät der Text auf dem Rückendeckel, ebenfalls unterlegt mit dem „Rosa Winkel“, dass dieser Michael „in seinen besten Mannesjahren Sex und Liebe verschiedenster Art“ erfahren habe. Was soll dieser Schwachsinn? Wen interessiert das? Damit werden die Homosexuellen, die in den Konzentrationslagern ermordet wurden, auf eine geradezu erschreckende Art und Weise ein weiteres Mal diskriminiert. „Michael“ mit dem „Rosa Winkel“ auf dem Titel ist somit eine nicht hinnehmbare Verharmlosung dessen, was Menschen, die den „Rosa Winkel“ wirklich als Zeichen der Schmach am Revers tragen mussten, erlitten haben. Das alles ist neben der vollkommenen Talentfreiheit des Autors „Eric Ritter“ der eigentliche Skandal dieses Buchs.

Michael – Ein schicksalhaftes Leben. 336 Seiten. 19,80 Euro. Erschienen im „Frankfurter Literaturverlag“, ISBN 978-3-8372-0980-8

Foto: queerpride.de

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

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