Maiks Augen weiten sich: „Ganz schön lang die Liste…?“ Die Liste, die der 18-Jährige Zivi meint, ist in der Tat lang: Pep, Marihuana, Koks, Speed, Ecstasy, Pilze.“ Allesamt Drogen, die er zu sich genommen hat oder aktuell zu sich nimmt. Eine Aufzählung als Ausdruck einer Drogenkarriere, die sechs Jahre zuvor mit Alkohol begann, den ihm Ältere gaben.
Wer Partydrogen nimmt, will glücklich sein. Es reicht ihnen nicht, am Wochenende auszugehen und zu feiern, sie wollen dies „verstärken, sich dabei Freiräume schaffen“, so wie der Eventmanager Dave (31), der betont, er fühle sich „für ein paar Stunden extrem glücklich“. Maik stimmt ihm zu, merkt aber an, dass man dabei auch „selbstbestimmt sein muß“. Er sei ein reizbarer Mensch, wenn er aber Drogen konsumiere, gehe er „die Dinge lockerer an“ und könne „vieles besser ignorieren“. Dann aber beendet er mit einem Satz die Attitüde des Menschen, der glaubt, alles im Griff zu haben: „Ich habe Angst davor abzurutschen!“ Und so erzählt er von seinem Suizidversuch, am 12.9.2006 schnitt er sich die Pulsadern auf, weil „mir alles zu viel wurde, mein Kopf verdreht war.“ Das Datum weiß er genau, es war der Tag nach dem Geburtstag der Mutter, und den wollte er ihr eben „nicht versauen“.
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Die Konsumenten von Partydrogen eint es, dass es ihnen scheinbar gelingt, dem Alltag zu entfliehen. Besonders Opiate führen dazu, dass sie „sich geborgen fühlen“, meint der Umschüler Ricci (27), Marihuana wiederum verstärke die jeweilige Stimmung. Koks und Speed gibt ihm ein Gefühl der Überlegenheit und ein Selbstbewusstsein, was hilft, wenn er in einem Club jemanden anmacht. Dabei bemühen alle das Credo der Abhängigen: „Ich habe es im Griff!“. Es ist der Code der Verführten und die Ausflucht derer, die ihre Sinne „bewusst entregeln“, wie es der drogenerfahrene Schriftsteller Arthur Rimbaud (1854 – 1891) einmal mit 17 Jahren in seinem „Seher-Brief“ beschrieb.
Alle also scheinen bei der Entregelung der Sinne die Dinge fest „im Griff“ zu haben, was natürlich so nicht stimmen kann. Der Modeblogger Dennis (27) etwa ist „todunglücklich“, weil sein Freund, mit dem er zwei Jahre zusammen war, vor kurzem die Beziehung beendet hat. Er konnte Dennis´ Drogenkonsum nicht mehr ertragen, wozu auch gehörte, dass Dennis am Wochenende bis zu 200 Euro ausgibt, wobei neben Alkohol, Zigaretten und Speed – in der Szene spricht man vom „Hartz-IV-Koks“ – das Gramm reiner Koks mit 60 Euro am stärksten ins Kontor haut. Ist das Koks dann wirklich rein? Sicher war sich keiner der Befragten, manche sprachen von Backpulver und gar Rohrreiniger, mit dem Koks gestreckt würde, da spiele ein gewisses Vertrauen zum Dealer eine große Rolle: „Wenn einer Dreck verkauft, spricht sich das rum, und das macht dem Dealer das Geschäft kaputt“, weiß Maik, der wie alle Konsumenten mit seinem Händler ein „Wording“ vereinbart hat: Er bestellt „Taschentücher“ oder CDs beziehungsweise DVDs. Die CD steht für Speed, die DVD für Koks, weil CDs eben billiger sind als DVDs.
Der Konsum von Partydrogen ist ein permanentes Kräftemessen des Geistes mit dem Körper. Gäbe es einen Beipackzettel, stünde darin die Begleiterscheinungen: Übelkeit, Schweißausbrüche, Reizüberflutung, Erbrechen, Kopfschmerzen, Angstzustände, Verwirrung, Magenbeschwerden, Gewichtsverlust, Schädigung des Kurzzeitgedächtnisses, Sozialphobien. Gerade Cannabis, das gemein hin als „ungefährlich“ gilt, führt, wie das „British Medical Journal“ berichtet, nach langjährigem Konsum gerade bei jungen Menschen zu Psychosen, Verfolgungswahn bis hin zur Schizophrenie. Speed wiederum kann eine Abnahme der Libido zur Folge haben, weshalb man in der Szene auch spöttisch vom „Speed-Pimmel“ spricht, wenn einer beim Sex keinen hoch bekommt. Das Internet ist voll mit Erfahrungsberichten, und deshalb fehlt etwas in Maiks Liste, die Schmerztabletten nämlich, die er zu sich nehmen muss, wenn der Körper rebelliert, oder die Antidepressiva, wenn der Kopf verrückt spielt.
Alle Befragten stimmen dem zu, was Ricci ausführt: „Die Drogen, die ich nehme, sollen mir was bringen, und das ist auch so!“ Hier nennt er besonders Ecstasy, die Droge verleihe ihm „eine unendliche Leistungsfähigkeit.“ Die Problematik des Abhängig-Werdens spielt da im Denken durchaus eine Rolle, wenn auch eine untergeordnete. Jörn etwa lässt sich zu einem Paradox hinreißen, wenn er sagt: „Ich habe kein Drogenproblem, aber ich bin abhängig!“. Eine Unaufrichtigkeit vor sich selber, die zur Verlogenheit von Clubs passt, in denen Drogen verkauft werden. Fassungslos sind die „Erwischten“ etwa dann, wenn sie von demselben Angestellten vor die Tür gesetzt werden, der ihnen die Drogen vorher verkauft hat. Ein prima Geschäft, und wo ein Markt ist, werden Produkte weiterentwickelt: „Trance“, „Rave Energy“ oder „Cloud 9“ heißen die „Designerdrogen“, die aus den USA kommend in den Clubs hierzulande Einzug halten. Allesamt auch ein neuerliches Beispiel dafür, dass der Drogenkonsum nichts mehr Schmuddeliges hat, und eklige Zeremonien wie bei „Christiane F.“ auf versifften Matratzen mit Blut und Kotze Myriaden weit weg zu sein scheinen. Dazu passt es auch, dass alle Interviewpartner fest im Leben zu stehen scheinen, und alle betonen sie, wie wichtig ihnen „Selbstdiszplin“ sei und auch „Selbstachtung“. Für die meisten gehört zu dieser Selbstdisziplin, dass sie Drogen nur dann nehmen, wenn sie ausgehen, was nicht nur am Wochenende, sondern nicht selten auch innerhalb der Woche passiert. Im Alltag jedoch sei der Drogenkonsum weitgehend tabu.
Maik berichtet auch von seinen Erfahrungen mit „Zauberpilzen“ wie dem „Kahlkopf“, der nach etwa zwanzig Minuten im besten Falle für farbenfrohe Sinnwahrnehmungen und im schlechtesten Falle für üble Halluzinationen sorgt, in deren Folge man sich auch mal nackt auf der Straße wiederfindet. Maik ist ein It-Boy, nach dem man sich umdreht. Das kann schön sein für ihn. Oder die Hölle, etwa dann, wenn er breit ist und von Leuten, die sich in den Clubs auf hilflose Männer spezialisieren und sie geradezu ausspäen, irgendwohin abgeschleppt und gevögelt wird. Dies erfüllt zwar den Straftatbestand der Vergewaltigung, doch wo kein Kläger da kein Richter. „Keine Ahnung, wer mich schon alles gepoppt hat“, bekennt Maik, und so weiß er auch nicht, ob der Sex geschützt ablief oder nicht. Einen Aids-Test habe er schon gemacht, „negativ“, wie er sagt. Auch auf Sexparties spielen Drogen eine große Rolle, „Poppers“ etwa erhält man legal und wirken gefäßerweiternd. Allerdings hält die Wirkung nicht lange an, längstens drei bis vier Minuten. In Internetforen sprechen die „Poppers„-Konsumenten von Schmerzunempfindlichkeit und davon, dass es „berauscht“ und dabei helfe, sich beim Sex von Hemmungen zu befreien.
(Namen sind allesamt geändert)
Von: HOLGER DOETSCH