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Die Lohmann-Diskussion: Wenn der Respekt verlustig geht

Feindbilder fördern den Blutdruck. Und der Blutdruck nicht weniger Fernsehzuschauer schnellte in den letzten Wochen quasi automatisch in gesundheitsschädigende Höhen, wenn der katholische Publizist Martin Lohmann zu Gast in den Talkshows dieser Republik war. Lohmann gehört zu den provokativen Menschen, bei dem Intelligente und weniger Intelligente gleichermaßen schnell und unreflektiv abwinken. So ist das eben bei Feindbildern, von denen man denkt, man wisse schon alles über sie und kenne alle ihre vermeintlich doofen Argumente. Sind Feindbilder einmal erschaffen, werden sowohl die berechtigten als auch die unberechtigten Urteile und Vorurteile geradezu aufopferungsvoll gepflegt und verstärkt. Nicht selten folgt daraus eine Respektlosigkeit dem Andersdenkenden gegenüber, was etwa während des ansonsten ja drögen Jauch-Talks vor einigen Wochen zu beobachten war, als Leute im Publikum Lohmann derart ausjohlten, dass man zeitweise den Eindruck hatte, man befinde sich zu vorgerückter Stunde am Ballermann auf Mallorca.

Die „Kathophobie“ gibt es!

Selbst die, die ihm aufmerksam zuhören, vermögen Martin Lohmanns Argumentationsketten nur schwer bis gar nicht zu folgen. Wie auch, wenn er etwa versucht, das Leid einer vergewaltigten Frau (moral)theologisch bewerten zu wollen? Das kann nicht funktionieren und führt allenfalls dazu, dass ein Günther Jauch sich erblödet, journalistisch und menschlich unanständig Lohmann danach zu fragen, was er denn als Vater wohl denken würde, wenn seine Tochter einem solchen Verbrechen zum Opfer fiele.
Auch Lohmanns Ansichten zur Homosexualität, die er nicht selten mit der offiziellen kirchlichen Lehre begründet, sind kritikwürdig und zum Teil auch abwegig. So verweist Lohmann auch im queerpride-Interview auf geltendes Kirchenrecht (siehe gesonderten Beitrag) beziehungsweise den Katechismus der Katholischen Kirche. Was er indes nicht zu bedenken scheint, ist, dass das, was die Katholische Kirche offiziell lehrt, Myriaden entfernt ist von der Lebenswirklichkeit. Ein Katechismus, den auch der zur homosexuellen Praxis zugeneigte und katholische Autor dieses Kommentars an den von Lohmann zitierten Stellen schon deshalb nicht ernst nimmt, weil das, was das steht, nicht von Gott geschrieben wurde, sondern von (fehlbaren) Menschen.


Immerhin macht Lohmann deutlich, dass er Lesben und Schwule wertschätzt, und spätestens diese Aussage wird bei vielen in der homosexuellen Community zu einem Aufschrei deshalb führen, weil sie von Martin Lohmann schon deshalb nicht wertgeschätzt werden wollen, weil ihnen dann – Oh, Gott! – ein Feindbild verlustig geht. Doch ist es gerade das Lohmann-Bekenntnis der „Wertschätzung“, das einem aufstößt, wenn man in den sozialen Netzwerken die Debatten um Lohmann oder über Benedikt XVI. nach dessen Rücktritt verfolgt. Da werden katholische Würdenträger von Schwulen in Nazi-Sprache als „Parasiten“ verunglimpft. Oder der Papst als „Obertrulla der grössten Schwuchtelorganisation der Welt“ beschimpft. Spätestens da muss einem vernünftigen Menschen doch eines klarwerden: Eine Religion muss man nicht gut finden. Auch nicht die katholische Religion. Aber es gibt keine einzige Religion und keine einzige Kirche weltweit, die sich derart unflätig und beleidigend von weitgehend intelligenzfreien Personen anpullern lassen muss, wie die Katholische Kirche. Spätestens dann etwa, wenn man sich vorstellt, was passieren würde, wenn ein Martin Lohmann Homosexuelle als „Parasiten“ bezeichnen würde, wird klar, dass der Mann völlig recht hat: es gibt sie, die Kathophobie, und wer das nicht glaubt, der blicke ins Facebook!

Die Gerüchteküche bleibt geheizt…

lohmann_papstaudienz


Man kann einem Martin Lohmann in seinen Ansichten widersprechen. Man muss das sogar teilweise tun. Doch sollte dieser Widerspruch immer argumentativ erfolgen. Und mit gegenseitigem Respekt. Beides gehört zusammen! Unter diesem Gesichtspunkt aber kann einem nur schlecht werden. Kübelweise werden Eimer mit Gülle über Lohmann ausgekippt, was soweit führt, dass in juristischer Sicht ausgesprochen raffinierte Homosexuelle genüsslich verbreiten, Lohmann führe ein „Doppelleben“. Der Name „Lohmann“ wird zwar an keiner Stelle explizit genannt, doch sieht man den Kontext dieser Diskussionen, dann muss man fast zwingend annehmen, Lohmann sei gemeint. Zum Beispiel da, wo in den sozialen Netzwerken auf der Seite eines relativ prominenten Kirchenkritikers konkret danach gefragt wird, wie denn dieser katholische Publizist mit dem „Doppelleben“ eigentlich heiße, und ein anderer Kommentator daraufhin antwortet: „Was reimt sich auf Po-Mann?“ Wie gesagt: Juristisch mag das Raffinesse haben. Menschlich aber ist diese Vorgehensweise des im Raum stehen gelassenen Gerüchts ähnlich perfide wie das unselige Treiben der Macher von abgeschalteten und bestehenden Hetzportale gegen Schwule. Ach was, es ist schlicht widerlich!

Bildquelle: flickr.com CC StarnbergerFünfseenLand

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

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