in

Das Bauchweh der Konservativen – Volles Adoptionsrecht für eingetragene Lebenspartnerschaften

© stephaniehaynes /CC-BY-SA 2.0 (via Wikimedia Commons)

Die Kanzlerin fühlt sich wahrscheinlich immer noch nicht wohl dabei – und der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann sich sicherlich nach wie vor nicht vorstellen, dass ein Kind in einer homosexuellen Lebenspartnerschaft geborgen aufwachsen könnte: In der Frage des Adoptionsrechts für eingetragene Lebenspartnerschaften verlassen sich konservative Politiker lieber auf das subjektiv geprägte »Bauchgefühl« und den (viel zu kleinen) Tellerrand, als den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zu folgen. Tatsächlich haben die obersten Richter bereits im Februar 2013 die Nichtzulassung der Sukzessiv-Adoption durch eingetragene Lebenspartner für nicht zulässig erklärt und in den Ausführungen explizit ergänzt, es »sei davon auszugehen, dass die behüteten Verhältnisse einer eingetragenen Lebenspartnerschaft das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern können wie in einer Ehe«.

Das war der früheren Berufsvertriebenen Erika Steinbach zu viel: »Wer schützt die Verfassung vor den Verfassungsrichtern«, twitterte sie nach dem Urteil zur Sukzessiv-Adoption. Hätte sie die Zeit lieber genutzt, einen Blick ins Gesetz zu werfen! Denn das BVerfG berief sich eindeutig auf das in Artikel 3, Absatz 1 des Grundgesetzes verbriefte Recht auf Gleichbehandlung. Sowohl die betroffenen Kinder wie auch der betroffene Lebenspartner stehen damit laut Aussage des Gerichts unter dem Schutz der Verfassung. Der Steinbach-Tweet hätte also richtig lauten müssen »Wer schützt die Verfassung vor Erika Steinbach?« Aber das wäre ja Selbsterkenntnis – und die kommt im Wortschatz der streitbaren alten Dame wie auch vieler anderer Unionspolitiker bekanntlich nicht vor.

Zwei Jahre später schiebt die Regierung die Umsetzung des höchstrichterlichen Urteils weiterhin vor sich her und beruft sich gebetsmühlenartig auf das Kindeswohl, das bei gleichgeschlechtlichen Eltern angeblich nicht gewährleistet sei. Dabei muss man sich nur ein paar Zahlen vor Augen führen, um die Absurdität dieser Verweigerungshaltung zu erkennen: Jahr für Jahr nehmen Jugendämter Tausende von Kinder und Jugendlichen in Obhut – 2013 waren es mit 42.100 jungen Menschen so viele wie noch nie. »Häufigster Anlass war mit 40 Prozent die Überforderung der Eltern oder eines Elternteils«, schrieb das Nachrichtenmagazin Der Spiegel am 25. Juli 2014. »Die Jugendämter nehmen Kinder und Jugendliche in Obhut, wenn sie aufgrund von Gewalt, Sucht, Verwahrlosung, psychischen Erkrankungen oder Unterernährung in Gefahr sind« – oder kurz gesagt: zum Schutz vor den (heterosexuellen) Eltern.

»Eltern sind Serientäter«, sagt auch der Berliner Rechtsmediziner Michael Tsokos, der im Januar 2014 gemeinsam mit seiner Kollegin Saskia Guddat mit der Veröffentlichung des Buches »Deutschland misshandelt seine Kinder« Alarm schlug: Auf 256 Seiten schildern die Experten drastische Erfahrungen aus ihrer täglichen Arbeit. Einzelfälle sind das aber nicht: 2012 wurden 3.450 Fälle erfasst; statistisch werden also jeden Tag fast zehn Kinder in Deutschland misshandelt – die Dunkelziffer liegt deutlich höher; Tsokos geht bundesweit von etwa 200.000 Fällen aus. Wahrscheinlich will sich Volker Kauder auch das nicht vorstellen – und auch der Bauch der Kanzlerin hat Besseres vor, als endlich etwas gegen diese (von Heterosexuellen verübten) Straftaten zu unternehmen. Zum Beispiel, die misshandelten Kinder in die liebevolle Obhut homosexueller Paare zu geben. Natürlich sind Schwule und Lesben nicht per se die besseren Eltern – aber in eingetragenen Lebenspartnerschaften sind Kinder auf jeden Fall »Wunschkinder«.

Die hessische Landtagsfraktion der Partei Bündnis 90/Die Grünen hat aktuell wieder einmal die Umsetzung der Vorlage des Bundesverfassungsgerichtes angemahnt und damit auch ein Signal an den Koalitionspartner CDU gesendet. Das Adoptionsrecht sei zwar die Aufgabe des Bundes, sagt Kai Klose, lesben- und schwulenpolitischer Sprecher der hessischen GRÜNEN; trotzdem sei es geboten, das vollständige Adoptionsrecht auch auf gleichgeschlechtliche Paare auszuweiten. Nichts gebe Kindern mehr Kraft, Zuversicht, Mut und Zufriedenheit als die Liebe ihrer Eltern. »Liebe ist der wertvollste Schatz, den Eltern ihren Kindern weitergeben und diese Liebe vereint Eltern mit ihren Kindern, aber auch Eltern miteinander – ganz gleich, ob sie verheiratet oder unverheiratet, leibliche oder Adoptiveltern, verschieden- oder gleichgeschlechtliche Paare oder bunt gemischte Patchwork-Familien sind.« Klose wird nicht müde, die vor zwei Jahren getroffene höchstrichterliche Entscheidung anzuführen: »Mit diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht nach sorgfältiger Prüfung für zulässig erklärt, dass ein Kind, das von einer lesbischen Frau oder einem schwulen Mann adoptiert worden ist, anschließend auch von ihrer Partnerin bzw. seinem Partner adoptiert wird. Man kann niemandem erklären, warum dann nicht auch die gemeinsame Adoption durch ein gleichgeschlechtliches Paar möglich sein soll. Es gibt bereits eine Vielzahl von Kindern, die in lesbischen oder schwulen Partnerschaften, sogenannten Regenbogenfamilien, leben – sie brauchen die gleichen Rechte gegenüber den Menschen, die sie als ihre Eltern erleben.«

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

Conchita Wurst

„Ich, Conchita“ – Buch von Conchita Wurst

Mein Sohn Helen

Mein Sohn Helen – ARD Film zum Thema Transsexualität