Das sechsköpfige Kuratorium des Lesben- und Schwulenverbandes hat sich entschieden: Nominiert für den Respektpreis 2015 sind drei Personen und eine Arbeitsgruppe. Sie alle haben sich auf ganz besondere Weise für die Akzeptanz von homosexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen eingesetzt. Dieser Einsatz soll nun entsprechend gewürdigt werden.
„Unter vielen spannenden und würdigen Kandidatinnen und Kandidaten haben wir uns in einer anregenden Sitzung für drei Personen und eine Personengruppe entschieden, die mit ihrem Engagement richtungsweisende Signale für die Gesamtgesellschaft aussenden“, so Kuratorin Christa Arnet vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD).
Nun liegt es an den mehr als 80 Mitgliedern des Bündnisses. Durch eine einfache Mehrheit entscheiden sie wer schlussendlich den Respektpreis 2015 erhalten wird. Überreicht wird die Auszeichnung dann am 2. Dezember durch die Senatorin Dilek Kolat im Radisson Blu Hotel Berlin.
Im Vorjahr wurde der Respektpreis an den türkischen Schiedsrichter Halil İbrahim Dinçdağ vergeben.
Die nominierten sind der Mediziner Dr. Jörg Woweries, der Aktivist Nasser El-Ahmad, die Arbeitsgruppe des UdK-Studiengangs „Kunst im Kontext“ um Wolfgang Knapp und die Aktivistin Annet Audehm.
Der ehemalige Kinderarzt Dr. Jörg Woweries:
Seit über 10 Jahren engagiert sich Dr. Jörg Woweries mit seinem medizinischen Fachwissen für den Schutz und die Selbstbestimmungsrechte intergeschlechtlicher Menschen, speziell für ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit. Insbesondere hat er dazu beigetragen, die jahrelange Praxis der geschlechtsangleichenden Operationen an Neugeborenen zwecks Zuweisung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht und ihre körperlichen und psychischen Folgen öffentlich zu problematisieren und anzuprangern.
Woweries setzt sich für die Rechte intergeschlechtlicher Menschen ein, stellt aber auch grundsätzlich die Polarisierung der Gesellschaft auf lediglich zwei Geschlechter in Frage. Er lässt nichts unversucht um aufzudecken, welches Leid intergeschlechtlichen Menschen zugefügt wurde. Sein Ziel ist es, gegenwärtig geschehende Menschenrechts- und Körperverletzungen zu stoppen und für die Zukunft zu verhindern.
Mit Dr. Woweries wird erstmals eine Person für den Respektpreis nominiert, die sich für die Rechte intergeschlechtlicher Menschen einsetzt. Damit macht das Bündnis deutlich, dass es über den Kampf gegen Homophobie hinaus auch für die Rechte im Zusammenhang mit der Geschlechtsidentität eintritt. Schließlich wurzeln Menschenrechtsverletzungen, denen trans- und intergeschlechtliche Menschen ausgesetzt sind, in Gründen, die auch für Homophobie mitverantwortlich sind, nämlich in starren Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit mit den entsprechenden Rollenvorstellungen.
Der junge Berliner Aktivist Nasser El-Ahmad:
Nasser El-Ahmad, Sohn einer libanesischen, streng muslimischen Familie, hat sich erfolgreich gegen die Unterdrückung durch seine Verwandten gewehrt. Durch den offensiven Umgang mit seiner Entführung ins Ausland hat er in einer breiten Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für die schwierige Situation schwuler Männer in muslimischen Familien geschaffen.
Unter den jährlich in Berliner Beratungsstellen bekannt werdenden Fällen von versuchter Zwangsverheiratung befinden sich auch lesbische und schwule Opfer. Aus Furcht vor drohender Gewalt in ihren eigenen Familien, für die Homosexualität völlig inakzeptabel ist, halten viele Betroffene ihre sexuelle Orientierung geheim.
Mit seinem erfolgreichen Widerstand gibt Nasser Beispiel und Ermutigung für viele betroffene junge Männer und Frauen, holt sie aus der Anonymität und der Isolierung und setzt unter großer persönlicher Gefahr ein unübersehbares Zeichen gegen Homophobie und Transphobie.
Die Arbeitsgruppe des UdK-Studiengangs „Kunst im Kontext“ um Wolfgang Knapp:
Seit 2013 beschäftigt sich Wolfgang Knapp und seine studentische Arbeitsgruppe an der Universität der Künste mit großem Engagement und Zeiteinsatz für die Realisierung eines Denkmals für die weltweit erste homosexuelle Emanzipationsbewegung, die im Berlin des 19. Jahrhunderts ihren Ursprung hat: Mutige Frauen und Männer um den Arzt und Sexualforscher Dr. Magnus Hirschfeld schufen vor über 100 Jahren mit dem Wissenschaftlich-humaniären Komitee eine soziale und politische Bewegung, um eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zu bewirken und Rechte zu erkämpfen, die Lesben und Schwulen ein freies und offenes Leben ermöglichen sollten.
Dieses Thema hat den Dozenten und seine Arbeitsgruppe beflügelt. Im Laufe der Recherchen für die Entwürfe haben sie sich intensiv mit Hirschfeld und seinem Wirken beschäftigt. Die neun internationalen Künstlerinnen und Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht, einen Ort zu gestalten, der den Stolz auf das Erreichte in den Fokus rückt und sich auf Empowerment statt eine Opferrolle konzentriert.
Herauszustellen ist, dass sich die Studentinnen und Studenten freiwillig neben ihrem Postgraduiertenstudium bzw. ihrer Arbeit für dieses Projekt engagieren. Sie erhalten lediglich ihre Materialkosten ersetzt – ansonsten wird ihr Einsatz von Idealismus und Neugier getragen sowie dem Wunsch, einer beispielhaften Bewegung buchstäblich ein Denkmal zu setzen.
Die Berliner Aktivistin Annet Audehm:
Annet Audehm ist auf Events gegen Homophobie, Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art zu finden. Sie setzt ihr Engagement mit kreativen, liebevollen Ideen in Szene, ob mit Regenbogen-Outfit, selbstgemalten Demo-Plakaten oder Seifenblasen. Annet ist überall. Dabei stellt sie sich und ihre Privatperson immer in den Hintergrund, um anderen zu helfen, um für andere da zu sein. Fast täglich ruft sie zur Unterstützung sozialer Projekte auf, sammelt Spenden und schenkt anderen Menschen Trost und Halt – und bereitet vor allem ganz viel Freude. Sie verteilt ihr Engagement auf zahlreiche LGBT-Projekte in der Stadt, jedoch nicht ohne dabei auch kritische Punkte zu hinterfragen. Gerechtigkeit und Ehrlichkeit ist ihr höchster Anspruch. „Nicht nur labern – auch was machen“, das ist ihr Motto.
Annet Audehm versteht es, in vielen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen das Thema LGBT einzubringen und so zu erreichen, dass man sich damit aktiv auseinanderzusetzen muss. Sie lebt zivilgesellschaftliches Engagement und Menschlichkeit und inspiriert andere, es ihr nachzumachen.
Das Bündnis gegen Homophobie ist die Allianz der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft für die gesellschaftliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen. Um aktiv gegen Homophobie einzutreten, setzt der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg im Auftrag der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen – Landesantidiskriminierungsstelle (LADS) das von ihm initiierte Bündnis gegen Homophobie im Rahmen der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ um.
Titelbild: © Tatjana Meyer