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25 Jahre Mauerfall: DDR und Homosexuelle

© SIMON NEUMANN BERLIN /CC-BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Der Mauerfall jährt sich am 9. November 2014 zum 25. Mal. Anlass genug, die Situation der Homosexuellen in der DDR zu reflektieren.

IM „Detlef“ und „After Shave“…

So war die am 15. Januar 1973 in Ostberlin gegründete Homosexuelleninitiative Berlin (HIB) der erste organisierte Zusammenschluss von Lesben und Schwulen im gesamten Ostblock. Vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) argwöhnisch beäugt traf man sich vornehmlich in Privatwohnungen und diskutierte über Möglichkeiten der rechtlichen Besserstellung der LGBT in der DDR. Oder man feierte, und das mit einem Trick: Sie meldeten sich nicht als organisierte Lesben, Schwule oder Transen an, sondern mieteten in Gaststätten Nebenzimmer für Geburtstagsfeiern. DDR und Homosexuelle – das war für die Nomenklatura um Honecker, Krenz & Co. immer etwas mit dem wahren Sozialismus Unvereinbares, auch in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) waren bekennende Homosexuelle nicht sonderlich gut gelitten. Bemühungen der HIB, öffentliche Treffpunkte für Homosexuelle einzurichten, wurden noch bis 1979 vom Ministerrat der DDR im Keim erstickt. Und so kam es vor Schwulenkneipen regelmässig zu komischen Szenen. Männer liefen zehn Minuten vor der Öffnung des Lokals auf dem Gehsteig auf und ab, als wollten sie nur frische Luft schnappen. Ging ein Licht an und die Tür wurde geöffnet, strömten die Homosexuellen binnen fünf Minuten hinein, dann wurde die Tür wieder verschlossen. „Beliebt“ waren gerade Schwule übrigens beim MfS als potentielle Spitzel, angeworben wurden sie allerdings zumeist mit der Drohung, sie bei einer Verweigerung der Mitarbeit zu denunzieren. Schwulen „Inoffizielle Mitarbeiter“ (IM) der Stasi wurden Decknamen wie „Detlef“, „After Shave“ oder „Wärme“ verpasst. Gleichwohl gab es auch in der DDR immer Cruising-Areas und inoffizielle Schwulenkneipen, in Erfurt etwa die „Johannesklause“ oder in Berlin das „Burgfrieden“. Und sogar der Staat organisierte monatlich schwul-lesbische Diskoveranstaltungen in den staatlichen Jugendklubs. Dies allerdings nicht, um ein Zeichen der Offenheit zu geben, sondern um die Szene besser beobachten zu können. Das war auch einer der Gründe für die Genehmigung der staatlichen Behörden von überregionalen Pfingstfesten der HIB seit Mitte der 1970er Jahre.

Stasi: „Homosexuelle beobachten und registrieren!“

Die HIB traf sich nach 1975 alle zwei Wochen sonntags gerne im Berliner Ortteil Mahlsdorf, und zwar im privaten Gründerzeitmuseum von Lothar Berfelde, die sich den Künstlernamen Charlotte von Mahlsdorf gab. Hier wurden Faschingsbälle und Silvesterfeiern veranstaltet, zu denen zeitweise über 200 Menschen kamen. Als 1997 Jahre herauskam, dass auch Charlotte von Mahlsdorf (1928 – 2002) seit 1971 „auf freiwilliger Basis“ für die Stasi als IM spitzelte, hat das ihrem Bild als LGBT-Ikone nicht geschadet. Doch nicht nur in Berlin gab es eine organisierte LGBT-Szene. Im April 1982 gründete sich etwa der Leipziger Arbeitskreis Homosexualität (LAH) als erster seiner Art. Obwohl es dagegen insbesondere von der Evangelischen Kirche Vorbehalte gab, stellte die Evangelische Jugendgemeinde entsprechend Räume zur Verfügung. Als immer mehr Menschen zu den Veranstaltungen des LAH kamen, wurde die Organisation 1978 verboten. Spätestens seit Beginn der 1980er Jahre nahmen dann die Bespitzelung von Homosexuellen ein immer größer werdendes Ausmaß an, das MfS, zuständig für die Homosexuellen war ab 1985 das Referat 5 der Hauptabteilung XX, hielt 1983 in einer vertraulichen Verschlusssache fest: „Es ist erforderlich, die Entwicklung und das weitere Verhalten der homosexuellen Personen zu beobachten und zu registrieren und durch ständige Übersichten und Einschätzungen ihre Tätigkeit unter Kontrolle zu halten. Von Bedeutung für die Ordnung und Sicherheit ist ferner, die Treffpunkte, die Lokale und Veranstaltungen dieser Personengruppe zu kennen und Maßnahmen der Informationsabschöpfung einzuleiten.“

Coming Out: Premiere am 9. November 1989

Ungeachtet dessen gründeten sich in den Städten weitere Arbeitkreise, in Berlin-Treptow kam zur HIB zum Beispiel der Arbeitskreis Schwule in der Kirche hinzu, der ab 1986 auch die erste Homosexuellenzeitung der DDR, den Info-Brief, herausgab. Bis 1988 gab es in der DDR insgesamt 22 kirchliche Arbeitskreise, die offen für die Besserstellung der LGBT in der DDR plädierten. In den wenigen Monaten danach bis zum Mauerfall am 9. November haben sich diese Arbeitskreise, die rasch auf 30 stiegen, immer mehr professionalisiert und sich miteinander verzahnt. Ein Treppenwitz der Geschichte ist es übrigens, dass der erste abendfüllende Spielfilm der DDR über das Thema Homosexualität des Regisseurs Heiner Carow (1929 – 1997) mit Matthias Freihof (Foto), Dagmar Manzel, Dirk Kummer und anderen großartigen Schauspielern ausgerechnet am 9. November 1989 im Ostberliner Kino „International“ seine Premiere hatte. Sehr zum Erstaunen der Crew des Films „Coming Out“ sowie den zahlreich anwesenden Stasi-IM saßen an diesem Abend nämlich überwiegend Westberliner im Publikum. Die Ostberliner stürmten derweil den Kurfürstendamm.

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

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