Wenn mich meine Leser fragen, was ich mit New York verbinde, dann denke ich sofort an die große Freiheit, die ich in dieser Stadt bereits lange Zeit vor meinem endgültigen Umzug im August 2009 erfahren habe. Amerika ist zwar nicht immer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, aber als schwuler Mann bin ich in New York mit offenen Armen aufgenommen worden und „anders“ zu sein hat hier nie bedeutet, weniger wert zu sein. Und eigentlich gab es hier auch nie das sogenannte „anders sein“.
Während ich bereits Ender der 90er Jahre mit Begeisterung durch die angesagten Clubs getanzt war, habe ich später als schwuler Mann den einen oder anderen meiner Träume verwirklichen können, zu denen auch ein erfüllter Kinderwunsch, eine Wall Street Karriere und die Möglichkeit gehörten, jedes Jahr mit Fundraising den Kampf gegen AIDS unterstützen und mit Hilfe meiner Sponsoren einen kleinen Unterschied im Leben anderer machen zu können.
Es fällt mir nicht leicht, mir vorzustellen, wie schwer es schwule Männer in dieser Stadt vor 50 Jahren hatten, wenn ich mit meiner Tochter am legendären Stonewall Inn auf der Christopher Street an der 7th Avenue im Greenwich Village vorbei gehe. Denn genau an dieser Bar kam es vor knapp 50 Jahren am 28. Juni 1969 zu gewalttätigen Konflikten zwischen Homo- sowie Transsexuellen und Polizeibeamten, die der Auslöser von einer Reihe von Ereignissen waren, die unsere Szene bis zum heutigen Tag positiv prägten und an die jedes Jahr weltweit mit dem Christopher Street Day, Stonewall Day oder auch Gay Pride erinnert werden.
Die legendären Regenbogen Flaggen wehen nicht nur vor dem Gebäude der Deutschen Bank auf der Wall Street in New York, sondern hängen im Pride Monat Juni überall in der Stadt und jeder spricht von World Pride in New York City, zu der in diesem Jahr über 4 Millionen Besucher erwarten werden. Es werden zu dieser Zeit mehr als 50 Events stattfinden und die Stadt ist in Feierlaune. Zahlreiche Celebrities – Madonna, Cyndie Lauper, Whoopie Goldberg werden mit uns feiern und an Opening Ceremonies, Parties, Picnics, Movie Nights, Konferenzen und natürlich der alljährlichen Parade teilnehmen.
In einer Zeit, in der die Stadt in den Regenbogen Farben unterzugehen zu scheint, ist es tatsächlich schwer vorstellbar, dass schwule Männer vor Stonewall nur von Gleichbehandlung und Anerkennung träumen konnten. Stattdessen kam es in den 1960er Jahren in New York und anderen Städten immer wieder zu gewalttätigen Razzien in Schwulenlokalen, bei der die Identität der Besucher festgestellt und oft auch veröffentlicht wurde. Was häufig folgte, waren Verhaftungen und Anklagen wegen „anstößigen Verhaltens“ (Händchenhalten, Küssen oder bloße Anwesenheit in einem dieser Lokale), was extreme soziale Folgen für die zwangsweise Geouteten hatte.
Die Razzia im „Stonewall Inn“ kam am 28. Juni 1969 gegen 1:20Uhr für viele als Überraschung, auch wenn sich an dem Tag sehr viele Schwule, Transvestiten und Drag Queens nach der Beerdigung der Schauspielerin und des Schwulenidols Judy Garland in New York City aufgehalten hatten. Mit dem Widerstand der Besucher des Stonewall Inns hatten die Polizeibeamten jedoch nicht gerechnet, die schliesslich gewaltsam vertrieben wurden.
Dabei gab es eine Reihe von Gründen, warum das Stonewall Inn der Polizei, den Politikern und einigen seiner Besucher ein Dorn im Auge war. Die Betreiber hatten keine Schankerlaubnis, spärlich bekleidete Go-Go Boys traten zur Unterhaltung der Gäste auf, Politiker wollten im Wahlkampf die Stadt wieder einmal „aufräumen“, zu den Gästen gehörten obdachlose Jugendliche, Latina und Schwarze Dragqueens, schwule Escorts, Lesben und Wall Street Banker wurden zum Teil von den Betreibern des Stonewall Inns, der Mafia erpresst.
Die Mafia zahlte Gelder an die Polizei, so dass Razzien in der Vergangenheit zu bestimmten Zeiten stattfanden. In der Regel erhielten die Betreiber auch Hinweise auf bevorstehende Razzien, aber als es in jeder Nacht zum polizeilichen Übergriff kam, gerieten die Dinge außer Kontrolle, als eine Frau namens Sylvia Rivera eine Flasche nach einem Polizisten warf, nachdem sie von dessen Schlagstock getroffen wurde. Und als sich eine lesbische Frau dagegen wehrte, mit Gewalt in ein Polizei Auto gesteckt zu werden, schloss sich ihr die umstehende Menge schnell an, was zu einer Massen Schlägerei führte.
Die Polizisten schlossen sich in der Bar ein und misshandelten deren Besucher, doch die Menge ließ nicht locker und versuchte, eine Parkuhr als Rammbock zu nutzen, während immer mehr Anwohner und Kunden von nahe gelegenen Bars zum Stonewall Inn strömten und Steine und Flaschen warfen. Die Anzahl der Prostierenden wird auf über 2,000 geschätzt, es kam zu 13 Festnahmen, 4 von den 400 eingesetzten Polizisten wurden verletzt und diese wiederum verletzten 2 Protestierende schwer. Aber mit den Protesten am 28. Juni 1969 war es nicht vorbei und der aufgestaute Zaun und die Empörung gegen die Art, wie Homosexuelle von der Polizei seit Jahrzehnten behandelt worden waren, entluden sich auch an den folgenden Nächte.
Aber was passierte danach? Stonewall hat unsere Szene geprägt und die anschließend neu gegründeten homosexuellen freundlichen Organisationen ermöglichten und standen für eine offene homosexuelle Befreiungsbewegung. Die Gay Liberation Front (GLF) startete in New York und war bis Ende des Jahres in vielen Städten und Universitäten der USA vertreten. Es dauerte nicht lange, bis ähnliche Organisationen in anderen Ländern wie Kanada, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Australien und Neuseeland gegründet wurden.
Der erste offizielle Marsch vom Greenwich Village zum Central Park mit 5,000 bis 10,000 Menschen fand im darauffolgenden Jahr, was die Tradition des Christopher Street Days begründete. Viele von uns feiern im Sommer eines jeden Jahres den Wendepunt in der Geschichte der Diskriminierung von Homosexuellen und ich gehe mit Stolz an dem Denkmal der Schwulenbewegung von George Segal am Stonewall Square vorbei. Wir sind stolz auf uns, auf unsere sexuelle Orientierung und unserem Lebensstyl und feiern diesen Stolz „Gay Pride“ öffentlich. Aber egal, wieviel die Schwulenbewegung erreicht hat, der Kampf geht weiter. Aber World Pride NYC / Stonewall50 wird uns allen genug Gelegenheit geben, all das zu feiern, was wir in den letzten fünf Jahrzehnten erreicht haben.
Zum Autoren: Der Autor und Banker Derek Meyer lebt mit seiner Tochter in New York City und engagiert sich seit 2010 aktiv im Kampf gegen AIDS. Seine Bücher „Coming Out in New York“, „Baby, Fame & Inspiration“ und „Live as Heroes“ sind im Handel erhältlich. Kontakt: derekmeyer.nycity@yahoo.com