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Schonmal eine Coming-Out-Studie interviewt?

Coming-Out-Studie
© CC0

Sie ist endlich da! Mit Antworten von über 5000 Jugendlichen und 40 qualitativen Interviews ist „Coming-out – und dann?“ die erste deutschlandweite Studie, die sich mit der Lebensrealität von nicht heterosexuellen Jugendlichen in unserer Gesellschaft auseinandersetzt. Ich hatte das Glück mich exklusiv zu einem kurzen Interview zu treffen.

Jens: Ich freue mich so sehr, dass Sie heute da sind.

Studie: Ja, allein das ist schon ein Erfolg. Denn als das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend noch von Ministerin Kristina Schröder (CDU) geführt wurde, war die vielsagende Position des Hauses, dass ich schlichtweg unmöglich sei. Aber auch hier wurde die CDU Gott sei Dank von der Realität eingeholt. Die aktuelle Ministerin Manuela Schwesig (SPD) hat mich immer gefördert.

Jens: Ich muss ganz ehrlich sein. Ich war von Ihren Ergebnissen nicht überrascht.

Studie: Das war wohl leider niemand. Dennoch ist es gut endlich eine wissenschaftliche Grundlage zu haben. 80% der Jugendlichen geben an aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität Diskriminierung erlebt zu haben. 50% geben an beleidigt worden zu sein und 10% geben sogar an, dass sie physische Gewalt erleben mussten. 18% der befragten Jugendlichen geben an bereits mindestens einen Suizidversuch hinter sich zu haben.

Jens: Sie werden aber wohl keinen der angeblich der „besorgten“ Eltern überzeugen.

Studie: Ich bin da unentschlossen. Vielleicht werden sie von ihrer Unlogik überwältigt. Die Fakten sprechen eine sehr klare Sprache. Wenn es einen wirklich um das Wohl von Jugendlichen geht und nicht darum allen Menschen das eigene enge Weltbild aufzuzwingen, muss man nicht weniger, sondern mehr Vielfalt in unseren Schulen fordern.

Coming Out Studie


© DJI Studie Coming Out 2015

Jens: Was mir bei Ihnen besonders aufgefallen ist, ist, dass zwei Drittel der Jugendlichen angeben in der Schule Diskriminierung erfahren zu haben. Sie werfen kein gutes Licht auf die Lehrer*innen.

Studie: Und das mit Recht! Nur 20% der Jugendlichen geben an, dass die Verantwortlichen regelmäßig zeigen, dass sie einschlägige Schimpfwörter nicht hinnehmen, und sogar nur 17,7% der Lehrkräfte greifen konsequent ein, wenn Diskriminierung in ihrem Umfeld stattfindet. Im Umkehrschluss heißt das, dass über 80% der Jugendlichen keine Unterstützung erfahren. Darüber hinaus geben mehr als 50% der Jugendliche an, dass Vielfalt niemals im Unterricht thematisiert wurde. Diese Zahl ist meiner Meinung nach umso enttäuschender, wenn man bedenkt, dass, mit der Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern, das Thema in den Lehrplänen aller Bundesländer zu finden ist.

Jens: Sie setzen sich intensiv mit dem Prozess des Coming Out auseinander. Welche Herangehensweise haben sie dabei bei Jugendlichen erlebt?

Studie: Zunächst ist jede Coming out Erfahrung individuell. Dennoch lassen sich statistisch Muster erkennen. Die Strategie, die Jugendliche für ihr Coming Out in der Regel verfolgen, ist sich selbst ausführlich zu informieren, einen genauen Plan aufzustellen und sich zunächst Menschen anzuvertrauen, von denen man sich mit der höchsten Wahrscheinlichkeit Rückhalt verspricht. Ich möchte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Prozess schwierig ist. 66,6% der LSB-Jugendlichen geben an, dass das äußere Coming Out mittel schwierig bis schwierig war. Bei Trans*- und genderdiversen Jugendlichen liegt dieser Wert sogar bei 90%.

Jens: Warum entscheiden sich Jugendliche dennoch für ein Coming Out?

Studie: Als Hauptmotivationen für ein Coming Out geben 52,2% das Bedürfnis an über die eigenen Gefühle reden zu können und 48,9% entscheiden sich für diesen Schritt, um endlich sie selbst zu sein.

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© DJI Studie Coming Out 2015

Jens: Wann entscheiden sich Jugendliche für ein Coming out?

Studie: Das innere Coming Out findet im Durchschnitt mit 13 Jahren statt. Das äußere Coming Out folgt im Durchschnitt mit 18 Jahren. Zwischen innerem und äußerem Coming Out liegt bei Trans*- und genderdiversen Jugendlichen mit 4,1 Jahren die längste Zeit. Bei schwulen und bisexuellen Männern sind es 3,0 Jahre und bei lesbischen und bisexuellen Frauen 1,5 Jahre. Als Hauptgründe für das verspätete äußere Coming Out werden die Befürchtung von Ablehnung durch Freund*innen 73,9 % und Familie 69,4% angegeben.

Jens: Mich macht es wütend wieder einmal lesen zu müssen, dass unsere Gesellschaft auch weiterhin kein Umfeld schafft, in dem Jugendliche nicht für Jahre aus ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ein Geheimnis machen müssen. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit sich die Situation endlich verbessert?

Studie: Es ist ja nicht so, dass wir nicht alle wüssten, welche Maßnahmen die Situation verbessern. Es gilt digitale Medien als Ressource auszubauen, spezifische Freizeit- und Beratungsangebote weiterzuentwickeln, Vorbilder bekannter zu machen, Vielfalt an Ausbildungsorten sichtbarer zu machen, Fachkräfte zu qualifizieren und endlich die rechtliche Gleichstellung umzusetzen. Es ist meiner Meinung nach ermutigend, dass viele Landesregierungen in Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Vereinen sich genau diesen Aufgaben bereits stellen.

Jens: Was ist Ihr persönliches Ziel?

Studie: Ich habe weiterhin den Traum, dass wir irgendwann in einer Gesellschaft leben können, in der alle Jugendliche unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität unbesorgt aufwachsen können. Wenn ich dazu beitragen kann auf diesem langen Weg einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen, bin ich glücklich.

Jens: Vielen Dank für das Interview.

Die Studie findet ihr hier.

© Jens Christoph Parker
© Jens Christoph Parker

Dieser Gastbeitrag stammt von Jens Christoph Parker, Sprecher der BAG Schwulenpolitik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Er brennt darüber hinaus für die Themen: #Vielfalt, #Finanzen & #Europa. Zwitschert unter @JensParker

Written by Jens Christoph Parker

Sprecher der BAG Schwulenpolitik der #Grünen. Themen: #Vielfalt , #Finanzen & #Europa .

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