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Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden!

© Tomasz Sienicki /CC-BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Replik auf den Gastbeitrag von Christian Hillgruber »Wo bleibt die Freiheit der Anderen?« in der FAZ vom 20.02.2014

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Hillgruber,

um mit einem Wortspiel der deutschen Sprache zu beginnen: Sie täuschen sich – und sie enttäuschen mich. Wäre Ihr Artikel als Leserbrief, also als die Wiedergabe Ihrer eigenen, ganz persönlichen Meinung erschienen, hätte niemand etwas dagegen haben können. Aber mit dem Label »Professor Dr. Christian Hillgruber lehrt öffentliches Recht an der Universität Bonn« müssen Sie sich dem öffentlichen Diskurs stellen. Mit diesem Artikel haben Sie sich nämlich ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt.

Bezeichnend an vielen Stellungnahmen und Äußerungen zum Thema »Gleichstellung« sind bekanntlich die Kommentare. Auch unter Ihren Artikel hat sich wieder so einer eingeschlichen, dem anzumerken ist, dass der Verfasser überhaupt nicht begreift, worum es geht, sich aber Ihrer Zeilen bedient, um überalterte, falsche – ja, sogar gefährliche Vorurteile weiterzuverbreiten. Homosexuelle wollen nicht »alles«, sie wollen nur »das Gleiche«. Homosexuelle definieren in ihrem Streben nach Gleichheit nicht Heterosexuelle als »politisch inkorrekt«, sondern lehnen sich – mit Recht – dagegen auf, dass der Begriff »Normalität« nur für eine einzige von diversen sexuellen Spielarten der Natur dient. An diesen Begriff der »Normalität« klammern sich ja nach wie vor – angefeuert von konservativ(st)en Politikern und der katholischen Kirche – die ewig Gestrigen wie Ertrinkende an einen Strohhalm.

»Sodom«, »Gomorrha« und »Ekel« tönt es durch die Republik. »Deutschland stirbt aus, wenn die Homos heiraten dürfen!«, echoen politische Hinterbänkler. Und nun auch noch das: Ein Hotelier im beschaulichen England verweigert einem verpartnerten schwulen Paar aus religiösen Gründen ein Hotelzimmer mit Doppelbett! Man möge sich – Gott bewahre – nur vorstellen, ein heterosexuelles Pärchen (beide verheiratet, wenn auch nicht miteinander) hätte den gleichen Wunsch geäußert. Ich wette, mit etwas Flunkern (»Natürlich sind wir verheiratet«) wäre dem Ansinnen stattgegeben worden. Und hier liegt der Kern der Diskriminierung. »Discriminare« – Sie sind ja sicher des Lateinischen mächtig – heißt in der Urbedeutung »unterscheiden«. Wenn ein und derselbe Sachverhalt unterschiedlich bewertet wird (auch Ehebruch darf aus religiöser Sicht nicht toleriert werden), ist das – na? Richtig: diskriminierend.

Sie behaupten, dass Homosexuelle durch das Totschlag-Argument »Homophobie« die Freiheit jener einschränken wollen, die Homosexualität für etwas Ekelhaftes halten. Ich gebe Ihnen insofern Recht, als dass mit diesem Begriff derzeit recht inflationär umgegangen wird. Allerdings geben Veröffentlichungen wie die von Matthias Matussek und anderen auch reichlich Anlass dazu. Zudem ist »ekelhaft« keine Rechtsgrundlage. Ich z.B. finde einige Spinnenarten ekelhaft, ich finde Erbrochenes ekelhaft und ich finde dicke Männer ekelhaft, die sommers mit aus dem Bund der kurzen Hose hervorquellendem Wohlstandsbauch sockenbehaftet und sandalengeschnürt die Landschaft bevölkern. Aber ich muss sie erdulden. Genauso, wie ich jene erdulde, die Homosexualität immer noch – und wider besseres Wissen – als »widernatürlich« bezeichnen; bei denen sich also die jahrhundertealte Indoktrination durch Kirche und Staat als Beton in den Gehirnganglien manifestiert hat. Aber ich darf laut sagen, dass diese Meinung diskriminierend ist. Ich darf sogar sagen, dass sie homophob ist. Früher wurden nicht konforme Menschen kurzerhand verbrannt. Später in KZs gesteckt. Heute werden sie – perfide genug – zu Tätern erklärt. Man wird subtiler …

»Es ist das gute Recht Homosexueller, ihre Homosexualität zu leben. Aber sie können nicht verlangen, dass auch alle anderen ihre Lebensweise für ein gutes Leben halten und positiv bewerten oder sich andernfalls einer Bewertung gänzlich enthalten.« Völlig d’accord! Dann aber auch bitte andersherum: Es ist das gute Recht Heterosexueller, ihre Heterosexualität zu leben. Aber sie können nicht verlangen, dass auch alle anderen ihre Lebensweise für ein gutes Leben halten und positiv bewerten oder sich andernfalls einer Bewertung gänzlich enthalten.

So langsam wäre es auch mal an der Zeit, den Begriff »Minderheit« zu definieren. Die Aufteilung in Hetero-, Homo- und Bisexuelle genügt nämlich schon lange nicht mehr. Zu Minderheiten gehören Cabriofahrer, Füllfederhalterbenutzer, Vegetarier, FDP-Wähler, Linkshänder und ganz viele weitere mehr. (Übrigens war ja die Linkshändigkeit früher auch so etwas wie Homosexualität, von der man »geheilt« werden konnte. Mit zweifelhaften Methoden und ebenso zweifelhaftem Erfolg. Zum Glück sind wir in dieser Frage heute schon ein wenig weiter.) Jeder ist also Mitglied mehrerer Minderheiten; wir können konstatieren, dass es »die« Minderheit schon lange nicht mehr gibt. Also gibt es auch nicht »die« Mehrheit. Außer jener, die sich aus der Anonymität des Internets heraus die Freiheit nimmt, »Rübe ab«, »Ab ins Gas« und was noch alles mehr für Homosexuelle zu fordern. Wenn das die von Ihnen geforderte »Freiheit der Anderen« ist, dann sollte Ihnen die Lehrbefähigung aberkannt werden.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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