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Einsatz für die Öffnung von Ehe und Adoption: Besonders jetzt!

Ehe
© Bart Vis /CC-BY-SA 2.0 (via Flickr Commons)

Im vergangenen Jahr waren Themen wie die Öffnung von Adoption und Ehe für Nichtheterosexuelle medial weitaus präsenter: Im Nachhinein betrachtet waren es fast seichte Themen – verglichen mit denen, die Demokratie und Gesellschaft heute herausfordern und sie dazu zwingen, sich zu beweisen. Sollte es jetzt wirklich sinnvoll sein, nach der Ehe für alle zu fragen? Ist es nicht angebracht, darauf zu warten, dass andere Spannungsfelder sich beruhigen, bevor wir erneut um die Akzeptanz für neue Familienformen ringen? Robert Ziegler, Autor der soziologischen Streitschrift „Die Mauer muss weg!“, meint, dass dagegen einiges spricht: Die Gesellschaft sollte gerade dann Reife und Mut zur Weiterentwicklung besitzen, wenn sie unter Behauptungszwang steht. Demokratische Fortentwicklungen hintan zu stellen leistet hierfür keinen Beitrag.

In der vergangenen Woche war die Ehe für alle erneut ein Beratungsthema im Bundestag – erzwungen durch die Opposition. Ersichtlich wird, dass vor allem die SPD sich zunehmend davon genervt fühlt, dass die Diskussion eher nur einseitig mit ernster Lösungsbereitschaft und Zielorientierung geführt wird. Der Union wird vorgeworfen, noch nie aus eigenem Antrieb heraus an der Verbesserung der Situation und Rechtslage Nichtheterosexueller interessiert gewesen zu sein. Tatsächlich drückt der Ton, den die SPD in dieser Debatte wählt, zunehmend ihren Frust aus: Auch die Androhung, eine freie Abstimmung ohne Fraktionszwang zu diesem Thema zu initiieren, fiel in diesem Kontext mehrfach. Deren Ergebnis wäre wahrscheinlich eine Mehrheit für Öffnung von Ehe und Adoption, wie sie sich auch in der Bevölkerung insgesamt längst entwickelt hat.

Generell bewegt sich die Union in den Fragen der Ehe- und Adoptionsöffnung für nichtheterosexuelle Paare wesentlich langsamer als der Bevölkerungsdurchschnitt und fordert immer weitere Bedenk- und Beratungsphasen – also genau wie bereits vor 25 Jahren. Ist es derzeit überhaupt sinnvoll, Zeit und Energie in die Forderung der Öffnung von Ehe und Adoption zu investieren? Ist der aktuelle Zeitpunkt hierfür der geeignete?

Zugegeben: Ein Blick in aktuelle Nachrichten vermag in letzter Zeit oft negative Gefühlslagen zu erzeugen. Die Herausforderungen, die durch die hohe Zahl an Menschen, die in Not nach Deutschland flüchten, auf die Gesellschaft zukommen, bestimmen Wort und Bild. Die Märkte zeigen teilweise erneute Anzeichen eines bevorstehenden Kollapses. Rechtes Gedankengut kann in Deutschland wieder fußfassen und überschreitet dabei längst die Grenzen zur reinen Zukunftssorge und zum Konservatismus. Ängste werden auch durch die notwendige Abwehr terroristischer Gefahren geschürt. Sollten wir also genau jetzt darüber nachdenken, die Konzepte von Ehe und Familie zu erweitern?

Es geht um die Anerkennung von Menschenrechten.

Integration und Inklusion sind derzeit bedeutungsstarke Begriffe. Sie haben ebenso viel mit der Situation Nichtheterosexueller in Deutschland zu tun, da deren Gleichberechtigung auch heute noch nicht vollständig hergestellt ist. Hierbei geht es sowohl um Aspekte des sozialen Miteinanders, als auch um die strukturelle Anerkennung der Gleichberechtigung durch den Staat. Fest steht: Nichtheterosexuelle Paare haben weniger Gestaltungsfreiheit für ihre Zukunft als verheiratete Mann-Frau-Paare. Dies meint sowohl die gemeinsame Kindesadoption, als auch die medizinisch unterstützte Fortpflanzung.

Noch immer gibt es also festgeschriebene und immer wieder verfestigte Unterschiede zwischen heterosexuellen und LGBTTI-Paaren. Die Diskussionen darum sind oft nicht weniger leidenschaftlich als jene um die Integration von Menschen verschiedener Religionsgemeinschaften (z.B. Muslime) oder die Aufnahme von Flüchtlingen. Immer noch können sich Figuren in Politik, Kirche und anderen gesellschaftlichen Ebenen durch die Akzeptanz, die Ablehnung oder das Ausblenden von sexueller Vielfalt profilieren. Auch Nichtheterosexuelle sind in Deutschland Gegenstand von Inklusion; eine eigene soziale Gruppe, die erst nach und nach in einer langen und leidvollen Geschichte zum zunehmend selbstverständlichen Teil des Sozialbunds und der gelebten Alltagsvielfalt wird. Dennoch sind sie noch nicht am Ziel der vollständigen Gleichberechtigung und des Gefühls einer Gleichwertigkeit angelangt, die selbstverständlich ist und nicht hinterfragt wird.

Gegenströmungen zur voranschreitenden Liberalisierung stammen aus allen Bereichen der Gesellschaft: Sie verschleiern jedoch nicht, dass sich mittlerweile eine überdeutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland für die Eheöffnung und neue Möglichkeiten der Familienplanung auch für Nichtheterosexuelle ausspricht. Die Unverletzlichkeit der Menschenrechte, die auch aus sexueller Identität und Orientierung heraus erwachsen, wird hier also zunehmend anerkannt und auch praktisch gelebt. Leider müssen Menschen auch in Deutschland dennoch Diskriminierung, physische und psychische Gewalt und Ausgrenzung aufgrund ihrer Sexualität erleben: Eine Studie zeigte Ende 2014 auf, dass in Deutschland im EU-Vergleich überdurchschnittlich viele transsexuelle Personen Opfer hassmotivierter Gewalt in den fünf Jahren zuvor waren. Damit verknüpft sind die Probleme im Arbeitsleben, von denen befragte Trans*-Personen trotz ihrer vergleichsweise überdurchschnittlich hohen Bildung in einer weiteren Studie aus dem Jahr 2014 sprechen. Der Europarat kritisierte im selben Jahr den hohen Grad an Rassismus, Homophobie, Transphobie und Intoleranz in Deutschland: Dazu kommt das hohe Niveau körperlicher Gewalt gegenüber Nichtheterosexuellen. Die Anstrengungen zur Emanzipation sind also alles andere als überflüssig: Sie sind nach wie vor notwendig und zur Behauptung relevant.
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Written by Robert Ziegler

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