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Ehe für alle: Katholischer Realitätsverlust

Katholischer

›Es geht doch nichts über einen gepflegten Realitätsverlust‹, möchte man denken, wenn man sich die jüngsten Äußerungen des Monheimer Bundesvorsitzenden des KKV (Verband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung), Bernd-M. Wehner, zu Gemüte führt und ist versucht, es als verfrühten Aprilscherz zu bezeichnen.

Monheim ist übrigens eine kleine Gemeinde am Rande von Düsseldorf, die bislang als fortschrittlich galt: 2009 wählte sie mit dem 27-jährigen Daniel Zimmermann von der Partei »PETO« den damals jüngsten Bürgermeister Nordrhein-Westfalens ins Amt (der 2014 mit fast 95% der Stimmen wiedergewählt wurde, und der dankte es den Bürgern, indem er sämtliche kommunalen Schulden tilgte.

Aber nicht alle dort residierenden Menschen verfügen über eine vergleichbare Weitsicht: Auch ein Herr Wehner plädiert für den besonderen Stellenwert von Ehe und Familie und lehnt – ganz im Einklang mit der katholischen Tradition – die »Ehe für alle« ab. Bezeichnend ist dabei, dass auch er sich nicht entblödet, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu zitieren:

»Ehe ist auch für das Grundgesetz die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zu einer grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft, und Familie ist die umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern, in der den Eltern vor allem Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder erwachsen.

Dieser Ordnungskern der Institute ist für das allgemeine Rechtsgefühl und Rechtsbewusstsein unantastbar«, die aber bekanntlich aus dem Jahr 1966 stammt.

Die Steinzeit lässt grüßen – und 1935 auch …

In jenem Jahr war Homosexualität nicht nur strafbar, es galt zudem noch die von den Nationalsozialisten 1935 verschärfte Fassung. Wer heute noch mit einem Richterspruch von 1966 argumentiert, belegt nichts Anderes als seine geistige Rückständigkeit.

Man könnte vermuten, dass hinter diesem Argument der Wunsch nach Wiedereinführung des § 175 stehe; aber das laut auszusprechen, trauen sich wohl noch nicht einmal die Erfinder der Homosexuellenverfolgung, wie sie bereits vor 3.500 Jahren ins Alte Testament (3. Mose 18,22) geschrieben wurde.

Mit der »Ehe für alle« würde der von der Verfassung garantierte besondere Schutz von Ehe und Familie ausgehöhlt oder gar auf den Kopf gestellt, lässt sich der wackere Vorsitzende vernehmen. Dabei verkennt er wie alle Mitstreiter seines Geistes, dass das Institut der Ehe überhaupt nicht angetastet, sondern erweitert wird – ebenso wie das Institut der Familie.

Weiter führt er aus, dass Ehe und Familie keine Erfindung des Staates seien, die nach Belieben verändert werden könne. Man möge Herrn Wehner den Artikel 137 der Weimarer Verfassung ans Herz legen, der in Artikel 140 GG weiterhin gültig ist und die Trennung von Staat und Kirche vorsieht.

Hier heißt es in Satz (3): »Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes« – oder mit anderen Worten: Auch die katholische Kirche hat sich an die geltende Gesetzeslage zu halten, und die wird nun einmal von der Legislative vorgegeben. Und wer in der Bundesrepublik Deutschland nicht zur Legislative gehört, lernt man schon in der Schule: die katholische Kirche.

»Diskriminierungsvermeidung heißt nicht Förderung durch Privilegierung«

Wehner sagt zwar, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften vor Diskriminierung und Ausgrenzung geschützt werden müssten, behauptet aber im selben Atemzug wieder einmal, dass die tatsächliche Gleichstellung faktisch ein Privileg darstelle.

Auch wenn er damit bekannte Pseudo-Begründungen wiederholt – etwas Neues scheint den Gegnern der »Ehe für alle« schon lange nicht mehr einzufallen, wird es darum nicht besser. Und auch nicht richtiger. Man fühlt sich an den – mittlerweile hoffentlich zu Recht vergessenen – Krampfjournalisten Franz-Josef Wagner erinnert, der einst behauptete, dass Homosexuelle sich glücklich schätzen sollten, weil sie juristisch nicht mehr verfolgt, eingesperrt und/oder totgeschlagen werden. Das müsse reichen.

Die eingetragene Lebenspartnerschaft genüge vollauf

Es ist immer wieder bezeichnend, dass gerade diejenigen mit der geringsten Ahnung von der Materie am lautesten schreien. Der Verband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung, der sich selbst als »Sozialverband« bezeichnet, führt diesen Begriff auf das Trefflichste ad absurdum; die Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft sind nämlich immer noch so deutlich, dass viele Auswirkungen schlicht als »unsozial« bezeichnet werden können.

Und wenn der KKV – die lautmalerische Nähe der Abkürzung zur »Kakophonie« ist sicherlich nicht beabsichtigt – dazu aufruft, am besonderen Schutz von Ehe und Familie, wie ihn die Verfassung bekräftigt, ohne Wenn und Aber festzuhalten, lässt er damit alle diejenigen Männer, Frauen und Kinder, die nicht das Glück haben, dieser Begrifflichkeit zu entsprechen, sträflich im Regen stehen.

Aber seien wir ehrlich: Ausgrenzung ist seit Jahrhunderten die Paradedisziplin der katholischen Welt- und Lebensauffassung – zumindest bei jenen Amtsträgern, die sich qua Position von der Lebenswirklichkeit verabschiedet haben.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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