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Wenn Täter sich als Opfer gerieren: Offener Brief an Annegret Kramp-Karrenbauer

© Staatskanzlei Saarland

Offener Brief zu den umstrittenen Äußerungen der Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften

Berlin, 18. Juni 2015

Sehr geehrte Frau Kramp-Karrenbauer,

mit Erschütterung habe ich der Presse entnehmen müssen, dass Sie sich anlässlich einer Sitzung des saarländischen Landtags darüber beklagt haben, im Internet als »homophobe Nazi-Schlampe« bezeichnet worden zu sein. Ich kann Ihre Gefühlslage sehr gut nachvollziehen, denn ich gehöre zur Bevölkerungsgruppe der Homosexuellen (zur Erinnerung: Die Größenordnung dieser »Minderheit« beträgt ungefähr das Zehnfache der Mitgliederanzahl der CDU/CSU), die seit Jahren und Jahrzehnten stetig mit Begrifflichkeiten wie »widernatürliches Dreckspack«, »bei Adolf hätte man euch vergast«, »Schwule gehören totgeschlagen, denn die haben eh alle Aids«, »Arschficker«, »Kinderficker« oder den bei Katholiken sehr beliebten »Kotstecher« bzw. »Ihr sollt in der Homo-Hölle brennen« und dergleichen mehr diffamiert werden. Diese »Kommentare« finden aber nicht nur im Netz, sondern auf offener Straße statt und sind nicht selten der Beginn tätlicher Angriffe auf Homosexuelle. Wenn wir ehrlich sind, muss die von Ihnen inkriminierte einmalig gefallene Bezeichnung da eher wie ein etwas zu rustikal geratener Gruß wirken.

Aber – wundert Sie das? Die Saarbrücker Zeitung zitiert Sie in einem Interview in der Ausgabe vom 3. Juni mit den Worten:

»Wir haben in der Bundesrepublik bisher eine klare Definition der Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau. Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen. Wollen wir das wirklich?«

Damit haben Sie bewusst Ressentiments geschürt, die die Grenze zur Volksverhetzung durchaus überschreiten. Ihre nachgeschobene Behauptung, Sie hätten lediglich Fragen aufgeworfen, ist ebenso halbherzig wie falsch, denn sie lässt sich leicht widerlegen:

Erstens:

  • Die Forderung nach der überfälligen rechtlichen Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit der Ehe enthält weder die Forderung nach Öffnung der Ehe für enge Verwandte geschweige denn die Öffnung der Ehe für mehr als zwei Personen.

Zweitens:

  • Die Heirat unter engen Verwandten ist bereits jetzt im § 1307 BGB ausgeschlossen. Eine Änderung dieser Bestimmung ist in der Forderung nach der rechtlichen Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit der Ehe nicht vorgesehen. Ein entsprechender Antrag liegt auch nicht vor.

Drittens:

  • Die Heirat von mehr als zwei Menschen schließen Sie in Ihrer Antwort bereits selbst aus (»eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen«), darüber hinaus sind die Bestimmungen des § 1306 BGB (»Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht«) – in dessen Formulierung »und einer dritten Person« ausdrücklich festgehalten ist, dass eine Ehe juristisch aus zwei Personen besteht – sowie des § 1318 BGB (»Folgen der Aufhebung«) durch die Formulierungen in Satz 2,2 (»zugunsten beider Ehegatten« bzw. »wenn beide Ehegatten«) juristisch eindeutig.

Mit welcher Begründung lassen sich Fragen aufwerfen, die sich im Verlaufe der Diskussion um die rechtliche Gleichstellung niemals gestellt haben? Dass dem Bundesbürger die eindeutige Gesetzeslage nicht bewusst ist, mag traurig stimmen, ist aber nachvollziehbar; dass eine Ministerpräsidentin wissentlich und willentlich Behauptungen aufstellt, über deren Nichtzutreffen sie auf Grund Ihrer Stellung eigentlich Kenntnis haben müsste, belegt die verfolgte Absicht der Diskriminierung und Schürung von Ressentiments in der Gesellschaft gegen eine definierte Bevölkerungsgruppe. Unsachlichkeit ist meiner Kenntnis nach nicht Bestandteil des Amtseids der saarländischen Ministerpräsidentin, »Verfassung und Recht wahren und verteidigen« hingegen schon. Dieses ist hier grundlegend missachtet worden.

In einem Artikel der Allgemeinen Zeitung vom 9. Juni, Titel: »Kramp-Karrenbauer verteidigt Äußerungen zur Homo-Ehe« werden Sie in überwiegend indirekter Rede zitiert:

»Dissens gebe es sowohl in der großen Koalition im Saarland als auch in der Saar-CDU, ob der Begriff ›Ehe‹ für eingetragene Lebenspartnerschaften geöffnet werde. Eine Änderung des Grundgesetzes müsse klug überlegt werden. Darauf habe sie mit ihren umstrittenen Äußerungen hingewiesen, ›nicht mehr und nicht weniger‹.«

Tatsache ist: Das Grundgesetz muss für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht geändert werden; es muss lediglich angewendet werden. Dies ist nach über 65 Jahren Missachtung und Diskriminierung eine berechtigte Forderung. Übrigens muss auch das Familienrecht nicht geändert werden, da bereits jetzt keinerlei Bezüge zum Geschlecht der »Ehegatten« bestehen.

Darf ich an dieser Stelle daran erinnern, mit welch vergleichbar leichter Hand 1992/1993 die Änderung des Asylrechts im Grundgesetz unter Federführung der christlich-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl möglich war? Es ist davon auszugehen, dass sich die viel zitierten »Mütter und Väter des Grundgesetzes« 1949 bei der Abfassung des Art. 16 GG etwas gedacht hatten, das durch die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl aber konterkariert wurde. Sie werden sich auch bei der Abfassung des Art. 3 (1) GG (»Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich«) etwas gedacht haben, das Sie nun erneut zu konterkarieren suchen.

Dass Sie als CDU-Mitglied ihre Wählerklientel mit Aussagen der genannten Art bei der Stange halten möchten, entspricht zwar nicht den guten Sitten, ist aber verständlich. Dass Sie aber Ihre Stellung als Ministerpräsidentin eines deutschen Bundeslandes für gezielte Desinformation und Schürung von Ressentiments ausnutzen, ist nicht nur schändlich, sondern auch eine deutliche Überschreitung Ihrer Kompetenzen sowie Ihrer Rechte.

In Erwartung einer öffentlichen Stellungnahme zu den genannten Äußerungen sowie einer Entschuldigung verbleibe ich mit freundlichen Grüßen und dem Wunsch nach Anwendung des Grundgesetzes

Matthias Gerschwitz

Anmerkung: Dieser Brief wurde am 18.6.2015 per eMail an die Staatskanzlei des Saarlandes versandt.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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