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Alt, weiß – und trotzdem tolerant?

alte weisse Mann

»Alle Intoleranz geht vom alten weißen Mann aus«, ruft es aus den Reihen jener, denen die Intoleranz das größte Übel ist. Und leider muss man auch festhalten, dass in diesem Credo viel Wahres steckt – denn der alte weiße Mann versteht die Welt nicht mehr. Für ihn sind viel eher diejenigen intolerant, die Toleranz einfordern.

Wer ist eigentlich dieser alte weiße Mann? Schon 2017 schrieb der Autor Enno Park in einem Beitrag zur Genderdebatte für den Deutschlandfunk: »… der alte weiße Mann ist ignorant, lässt jede Empathie vermissen und stilisiert sich dann auch noch selbst zum Opfer.« Das ist zunächst einmal ein Pauschalurteil, aber in ihm liegt auch Wahrheit – und weit mehr als ein Gran.

Denn nach wie vor bestimmen Männer die Debatte – und meist sind sie tatsächlich alt und weiß, wobei »alt« nicht nur das biologische Alter meint. Ich kenne genügend  Männer, auf die die Zuspitzung »mit 20 gestorben, mit 80 begraben« perfekt passen würde. Aber ich habe aufgehört, mit ihnen zu diskutieren. Denn immer dann, wenn die Argumente – und seien sie noch so schlecht – ausgehen, kommt die Opferrolle ans Tageslicht: »Dann bin ich eben ein alter weißer Mann.« Stimmt man dann zu, ist es auch wieder nicht recht …

Den alten weißen Mann gab es übrigens schon immer, er fiel nur nie so destruktiv auf wie heute. Aufgewachsen in einem patriarchalischen Weltbild, hat er zwar so manche Errungenschaften z. B. der 68er mit Wohlwollen betrachtet, aber nicht wirklich übernommen.

Er betrachtete sich schon als fortschrittlich, weil er die Emanzipation der Frau unterstützte – solange sie ihm nicht die Position streitig machte. Er betrachtete sich schon als tolerant, weil er Homosexualität nicht mehr verdammte – solange sie nicht in der eigenen Umgebung stattfand. Und dort blieb, wo sie hingehörte: unter der Bettdecke. Das passiert, wenn man Menschen auf ihre Sexualität reduziert, aber Sexualität für unmoralisch hält …

Doch der alte weiße Mann war nicht immer alt. Irgendwann war auch er mal jung, hat geheiratet und Kinder gezeugt, deren männlichen Nachkommen – wenn man Pech hatte – wieder zu alten weißen Männern mutierten. Denn das Patriarchat ist keine Einstellungsdimension; es wird vererbt. Was sich so lange mit Erfolg gehalten hat, kann man nicht ändern. Sollte man nicht ändern. Und darf es erst recht nicht.

Übrigens: Auch unter Frauen gibt es alte weiße Männer. Das sind zumeist jene, die für die Emanzipation der Frau gekämpft oder von ihr profitiert haben, aber nun der Auffassung sind, da sie ihre Rechte erkämpft haben, reiche es nun mit der Emanzipation …also der Emanzipation anderer.

Lustig wird es immer dann, wenn Frauen Homosexuellen die Bibel, insbesondere 3. Mose 18,22 vorhalten: Schon im ersten Kapitel ist es bekanntlich Eva, die das Paradies opfert. Und auch an anderen Stellen stellt sich die Frau quer (z. B. Frau Lot, die nachmalige Salzsäule). Vielleicht sollte man das an geeigneter Stelle mal in die Diskussion einführen …

Die Welt hat sich geändert. Aus einem klassischen Schwarzweißbild wurden Grautöne … dann teilte sich das Licht in Primär- und Komplementärfarben … und heute ist die Welt so bunt, dass das Farbsystem so manchem Menschen keinen Halt mehr gibt.

Und dann wird auch noch der Regenbogen okkupiert – was in England 2019 sogar dazu führte, dass ein Busfahrer sein Arbeitsgerät nicht bedienen wollte, weil die in regenbogenfarbig angezeigte Liniennummer die Homosexualität fördern würde. Section 28 (der britische Vorläufer der osteuropäischen Anti-Homopropagandagesetze) lässt grüßen. 

Man kann aber auch alt und weiß sein – und das als Chance begreifen. Intoleranz ist lediglich die Folge von Unsicherheit oder Verlustängsten. Die größte Angst besteht darin, nicht mehr wahrgenommen zu werden, nicht mehr wichtig zu sein, sich abgeschoben zu fühlen. Diese Angst ist immer dann am größten, wenn es keinen qualifizierten Unterbau gibt, wenn »alt« und »weiß« die einzigen Attribute sind, die einen noch über Wasser halten.

Wer aber weiß, warum er privilegiert ist, kann teilen, ohne zu verlieren. Kann teilen, um zu gewinnen. Aber mach‘ das mal jemandem klar, der sonst nichts hat …

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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