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Gendergerechte Sprache: Stern, auf den ich schaue

© CC0 Public Domain (via Pixabay)

Er ist allenthalben ein Thema – von Stammtischen über Leserbriefe bis in alle möglichen Foren: der Genderstern, der als Synonym für die Idee der gendergerechten Sprache steht. Ich hätte auch das Binnen-I, den Doppelpunkt oder eine andere Schreibweise wählen können … aber der Titel trifft auf den Punkt: Ein Zeichen als Stein des Anstoßes.

Leider muss man den meisten Fällen konstatieren, dass es bei der Diskussion über die gendergerechte Sprache gar nicht um die gendergerechte Sprache geht. Es ist auch noch nicht mal eine Diskussion. Es geht um nichts Anderes als Deutungshoheit.

Wo immer das Thema aufgeworfen wird, dauert es nämlich nicht lange, bis ein männlich-dümmlicher Kommentar à la »Ich liebe die Frauen und das wissen sie auch, daher brauche ich keine Sprachpolizei« oder ein wahnsinnig lustiger Einwurf à la »Fernseher und Fernseherinnen« fällt – und schon ist das eigentliche Thema nicht nur vom Tisch, sondern wird abgelöst von einem Dauerfeuer fest betonierter Positionen ohne auch nur die geringste Bereitschaft, eine andere Meinung zumindest anzuhören, wenn nicht sogar anzuerkennen.

Das erinnert mich fatal an die Aussagen der Gegner der Gleichstellung der Ehe, in denen immer von den Problemen »hart arbeitender Menschen« gefaselt wurde, so als hätten nicht-heterosexuelle Menschen den ganzen Tag lang Sex und würden nachts feierngehen.

Die Opferrolle hilft nicht

Auch bei der gendergerechten Sprache wird der Diskurs vor allem von jenen vermieden oder gar verhindert, denen die Argumente fehlen. Im Zweifelsfall verfallen sie sofort in die Opferrolle: »Dann bin ich eben ein alter, weißer Mann, ein Rassist und ein Sexist.« Und auf einen Schlag wird alles, was gar nicht zusammengehört, in einen Topf geschmissen und zu einer unverdaulichen Melange verkocht.

Rassismus ist gar kein Anliegen der gendergerechten Sprache, sondern eine ganz eigene Baustelle, die man mit ein wenig Anstand und Nachdenken locker lösen könnte, wenn man denn wollte. Aber der Verzicht auf althergebrachte Verhaltensweisen fällt schwer … schließlich ist das mit Verlust und Verlustängsten verbunden. Ein Schaumkuss macht eben weniger satt …

Was als Erstes verloren geht, ist die Ehrlichkeit in der (nicht-existenten) Debatte: Statt sich auch nur ansatzweise mit der Idee zu befassen, wird mit Scheingefechten abgelenkt: 

Die unausweichliche Folge gendergerechter Sprache seien hölzerne Formulierungen, sprachliche Probleme, Störung des Informationsflusses durch Kunstpausen, der Verrat an unseren Dichtern und Denkern und natürlich die dann nicht mehr mögliche Vermittlung der deutschen Sprache (ich vermeide an dieser Stelle das vorangestellte »Herren-«) an Menschen aus anderen Kulturkreisen. Dabei wäre schon einmal viel gewonnen, wenn die Verteidiger der deutschen Sprache wenigstens deren Grundregeln beherrschten …

Ein Blick ins Grundgesetz könnte helfen

Eigentlich hätte der Staat die Aufgabe, die gendergerechte Sprache einzuführen, denn im Artikel 3 des Grundgesetzesheißt es: • (2) Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. • (3) Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.

Solange sich Frauen als knappe Mehrheit der deutschen Gesellschaft (2018: 50,7% zu 49,3%) nicht in der tägliche Sprache wiederfinden, werden sie aber benachteiligt. Das Argument, das Frauen ja »mitgemeint seien, auch wenn sie nicht extra genannt werden« ist keine Benachteiligung, sondern kommt einer Unterdrückung gleich. Das wird sich nicht ändern, solange keine einheitliche Vorgabe besteht, was denn unter gendergerechter Sprache zu verstehen sei. Und solange diese Vorgabe nicht existiert, spielt das nur den Ewiggestrigen in die Hände.

Kehren wir zum Diskurs zurück

Hier (m)ein Vorschlag: Verwenden wir die gendergerechte Sprache so, wie wir in der Grammatik den bestimmten und den unbestimmten Artikel einsetzen. Dann hieße es z. B. »Journalistenschule«, weil es hier abstrakt um den Beruf oder eine Funktion geht – aber in den Vorlesungen sitzen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, da man sie konkret benennen kann.

Auf einer solchen oder auch gerne anderen Basis kann man dann gerne weiter diskutieren und die Inhalte festlegen. Nur: Schaffen wir einen Ausgangspunkt! Und über die Umsetzung – also Stern, Doppelpunkt, Binnen-I oder was auch immer – darf dann gerne im Anschluss gestritten werden, getreu der alten Bauhaus-Regel: Form follows function.

Und nun – das Wetter.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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