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Normal oder Super: Ein Detail zu »All you need«

All you need
© ARD Degeto/Andrea Hansen

»Männer sind … und Frauen auch«, heißt es bei Loriot – was wieder einmal bestätigt, dass die Geschlechter ebenso gleich wie unterschiedlich sind. Denn jeder Mensch hat Eigenheiten – das ist die Übereinstimmung. Doch die meisten Eigenheiten sind anders – das sind die Unterschiede. Es kommt also nicht auf das Geschlecht, auf die sexuelle Orientierung oder andere Attribute eines Menschen an, sondern schlicht auf den Menschen an sich.

Und doch ist der Mensch ein Herdentier. Die meisten möchten sich gerne einer soziologischen Gruppe zuordnen – zumeist, um sich nicht alleine zu fühlen, oft aber auch, um dazu zugehören, nicht zurückzubleiben, nicht als Außenseiter zu gelten. Dabei ist es zunächst einmal unerheblich, ob diese Gruppe eine Mehr- oder Minderheit bildet oder gar mehrheitsfähig ist. Die gefühlte, oft nicht einmal ausgesprochene Gemeinschaft genügt. Dachte ich eigentlich.

Dass sich nicht–heterosexuelle Menschen, die gerne mit einer stetig wachsenden Anzahl von Buchstaben bezeichnet werden, letztlich nicht als geschlossene Gruppe fühlen, lässt sich schon lange beobachten. Je mehr Buchstaben hinzukommen, desto weniger finden sich Einzelne darin wieder. Dabei ist die Idee, sich gemeinsam den Anfeindungen zu stellen, absolut richtig. Und – dass die »skurrile« oder »schrille« Minderheit, wie sie aus mancher politischen Ecke bezeichnet wird, in wahrscheinlich jedem Land über mehr Mitglieder verfügt als alle politischen Parteien zusammen, sollte uns stärken. Vielleicht sollte man gerade am 17. Mai, dem seit 2005 begangenen »Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter und Transphobie« (IDAHOBIT), darüber nachdenken, warum die internen Grabenkämpfe die externen Diskriminierungen mittlerweile beinahe schon übertreffen.

Manchmal ist es nur ein Wort. In der Mini-Serie »All you need«, die ab dem 16. Mai den Weg aus der ARD-Mediathek zum Sender ONE findet, fällt der Begriff »supergay«. Zunächst war ich amüsiert … der Trend zum Superlativ ist ja allenthalben gegenwärtig, warum sollte er also nicht in die sexuelle Orientierung Einzug gehalten haben? Immerhin wird in meinem Lieblingsfilm »Abschiedsblicke« (»Parting Glances«, Regie: Bill Sherwood) schon 1986 ein Protagonist als »Super-Tucke« bezeichnet, weil der sich ein heterosexuelles Lebensideal in einer homosexuellen Beziehung wünscht. Eigentlich kann das auch heute nicht verwerflich sein, insbesondere wenn man für gleiche Rechte, gleichzeitig aber auch gegen den Vorwurf, man wolle Sonderrechte in Anspruch nehmen, kämpfen muss.

Doch dann stieg ich tiefer ins linguistische Detail und musste feststellen, was sich tatsächlich hinter »supergay« verbirgt: Es ist nichts als der Wunsch nach einer Art »Sortenreinheit«. Wer sich selbst als »supergay« bezeichnet, akzeptiert ausschließlich sein eigenes Weltbild – zunächst muss der Mann ein Mann sein, dann ein Mann und ein Mann … und dann erst kommt die sexuelle Orientierung. Wäre das die Einstellung eines einzelnen Menschen, wäre sie in den Augen mancher Mitmenschen sicherlich völlig daneben, aber als Einzelfall zu unwichtig, um sich darüber aufzuregen.

Schließlich darf jeder Mensch seine eigenen Einstellungsdimensionen und Vorlieben haben – so lange keine pauschalen Verunglimpfungen daraus resultieren. Aber leider passiert genau das: Aus dem Konzept des »super …« ist eine sich in alle Gesellschaftsschichten verbreitende Transphobie entstanden, die irrlichternd nur mit sich selbst begründet wird: Es sei ja schließlich nur eine »Meinung«. War dann »hart wie Kruppstahl« oder »blond und blauäugig« auch nur … eine Meinung?

Übrigens entstammt das Phänomen der Heterosexualität. Bei Tik Tok wurde ein Video präsentiert, in dem Kyle Royce sein ganz persönliches Konzept der »super straight«-Sexualität, ausschließlich »biologische« und niemals transsexuelle Frauen zu daten, als Ideologie und »neue Sexualität« verkauft. Das macht die Sache noch erschreckender. Das Original-Video wurde zwar von Tik Tok gelöscht, aber zuvor auf 4chan, Twitter und Instagram geteilt. Die Saat ist aufgegangen, sogar innerhalb dessen, was gerne als »Community« bezeichnet wird …

Übrigens gibt es in »All you need« auch eine »Super-Tucke«. Levo, wunderbar gespielt von Arash Marandi, erfüllt viele diesbezügliche Kriterien: feminin, exaltiert, geschminkt. Dabei ist er – nach meinem Dafürhalten – allerdings der einzige der Protagonisten, der wirklich und in jeder Hinsicht ehrlich ist. Er sehnt sich nach dem, was er für »normal« hält: eine Beziehung, ein Heim, Geborgenheit, Glück und Anerkennung. Und ist nicht genau das – unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung – auch normal? 

Wer braucht dann noch Super …?

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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