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Was bist denn du für eine*r?

Die angebliche Toleranz der heterosexuellen Mehrheit

Demi Lovato

Das Outing von Demi Lovato als »nicht-binär« hat wieder einmal deutlich gemacht, wie es um die angebliche Toleranz der heterosexuellen Mehrheit bestellt ist. Die entsprechende Meldung auf dem Social Media-Kanal der »Tagesschau« wurde von mehr als 16.000 Menschen kommentiert, von denen sich die überwältigende Mehrzahl als absolut intolerant geoutet haben.

Ausgesprochen typisch sind dabei jene User, die behaupten, das Thema interessiere niemanden – oft ergänzt um den Klassiker »Ja, haben wir denn keine anderen Probleme?« Doch – wir haben auch andere Probleme. Sehr viele sogar. Die meisten Probleme haben zwei Beine, bevölkern das Internet und belästigen andere Menschen mit dem, was sie für ihre Meinung halten.

Wenn’s denn nicht interessiert, warum wird dann kommentiert? Etwa aus Desinteresse? Nein … es steckt natürlich etwas ganz Anderes dahinter: Mittlerweile glaubt jede und jeder, die eigene Meinung sei mehrheitsfähig, man müsse sie nur einmal öffentlich machen. Damit machen sie genau das, was sie anderen zum Vorwurf machen: Sie suchen Öffentlichkeit.

Nur – wer außer »Das interessiert mich nicht«, nichts zu sagen hat, sollte besser vom Grundrecht auf Schweigen Gebrauch machen. Schon der alte Lateiner sagt: »Si tacuisses, philosophos mansisses«. Da aber die Lateinkenntnisse drastisch zurückgegangen sind oder jene, die den Inhalt zwar verstehen, ihn aber nicht umsetzen, ist die Zahl der Philosophen in Deutschland verschwindend gering geworden. 

Als mir am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit, auf dem Weg zu einer Veranstaltung am Rendsburger Bahnhof ein Geschöpf entgegenkam, das ich weder aufgrund der Kleidung, noch der Frisur oder der Körperhaltung geschlechtlich identifizieren konnte, schoss es mir durch den Kopf: Ja, das ist es! Genau das! Es geht nämlich nicht darum, als was ich einen Menschen identifiziere – es geht immer darum, wie sich der Mensch selbst identifiziert. Und das ist sein gutes Recht – und keines intoleranten Kommentars würdig.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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