in

Russell T Davies – der kreative Kopf hinter »It’s A Sin«

Ohne ihn wäre »It’s A Sin« nicht möglich geworden: Russell T Davies – eigentlich Stephen Russell Davies, das »T« (tatsächlich ohne Punkt!) dient lediglich der Unterscheidung von einem gleichnamigen Autor – hat die Mini-Serie nicht nur erfunden, sondern mit ihr ein Stück seiner eigenen Geschichte aufgearbeitet.

Davies bezeichnet sich selbst als Kind des Fernsehgeneration: Geboren 1963 und aufgewachsen im walisischen Swansea, verbrachte er viele Stunden vor der Flimmerkiste, aber las auch viele Comic-Hefte … beiden Medien entnahm er Ideen für eigene Geschichten. Seine erste konkrete TV-Erinnerung ist die 1966 ausgestrahlte Folge »The Tenth Planet« aus der Serie »Doctor Who«. Lange Zeit wollte er Zeichner, vorzugsweise Comic-Zeichner werden, bis er mit 20 Jahren feststellte, dass ihm professionelles Schreiben viel mehr liegt.

Seine ersten Arbeiten richteten sich an ein Kinderpublikum, so z. B. die Science-Fiction-Serie »Dark Season« (1991), in der Kate Winslet ihre erste Hauptrolle spielte. Neben vielen anderen Projekten schrieb er auch Episoden für die langlebige und beliebte Soap Opera »Coronation Street«, die sich genau wie die von ihr 25 Jahre später inspirierte »Lindenstraße« auch schwierigen Themen wie Homo- und Transsexualität und Verbrechen wie Vergewaltigung und Serienmord widmete. Schon hier zeigte Davies, dass reales Leben viel mehr Stoff für fiktionale Darstellung liefert, als sich viele Leute vorstellen können.

Eine seiner bekanntesten Produktionen ist die von ihm auch geschriebene Serie »Queer as Folk« über schwule Männer in Manchester. Sie gehört noch heute zu den Sendungen im britischen Fernsehen mit den meisten Zuschauerbeschwerden: Die Verführung Minderjähriger, explizite Sex-Szenen und Drogenmissbrauch erregte die heterosexuellen Zuschauer, die etwas stereotype und klischeehafte Darstellung der handelnden schwulen Figuren verärgerte manche Homosexuelle. Trotzdem gilt »Queer as Folk« auch heute als Meilenstein – nicht zuletzt durch das gleichnamige US-Remake, das von Fachleuten zwar gerne als weichgespült und mainstreamfähig kritisiert wird, nichtsdestotrotz aber bei allen Zielgruppen als großer Erfolg gilt.

Mit »Doctor Who« gelang Russell T Davies seine bis dahin wohl persönlichste Produktion. Er, der die Serie von Kindesbeinen an mit großer Begeisterung verfolgt hatte, schaffte eine Fortsetzung, die sowohl die älteren Fans als auch die an neue Maßstäbe gewohnten jüngeren Zuschauer begeisterte. Zu den weiteren Highlights seiner Arbeit zählen u. a. eine Adaption von Shakespeares »Sommernachtstraum« (BBC, 2016), der Dreiteiler »A  Very English Scandal« (2018) und die sechsteilige Serie »Years and Years« (2019).

Die besondere Begabung Davies’ liegt in der unmittelbaren Abfolge tragischer und komischer Momente innerhalb subtil angelegter Handlungsstränge – und in der Fähigkeit, Dialoge zu verfassen, die nicht nur echt wirken, sondern es auch sind. Nathaniel Curtis, der in »It’s A Sin« die Rolle des »Ash« verkörpert, hat es in einem Interview wunderbar formuliert: »Ich habe mich sofort in das Skript verliebt. Ich machte den Fehler, es in öffentlichen Verkehrsmitteln zu lesen und war natürlich völlig fertig! Russell schreibt so schön und ich konnte nicht anders, als mich innerhalb der ersten Hälfte der ersten Folge in die Charaktere zu verlieben.« 

Schauspielerische Begabung hat sicherlich einen wichtigen Anteil am Gelingen einer Produktion, aber ohne ein gutes Buch sind auch die besten Darsteller verloren. Dies ist auch bei Russell T Davies’ aktueller Produktion »It’s A Sin« deutlich zu spüren. Denn hier schrieb er aus eigenem Erleben fast vier Jahrzehnte später eine Geschichte, die so lebensecht wirkt, als sei sie gerade erst passiert.

Viele Charaktere basieren auf Freunden aus dieser Zeit, die Geschichten haben einen realen Hintergrund – und auch die Orte gibt oder gab es. So lebten einige seiner Freunde in London-Hampstead in einer schwulen WG, die sie »Pink Palace« nannten. Die Figur »Jill Baxter« wurde von einer Freundin inspiriert, die auch einige eigene Erlebnisse als Inspiration zum Plot lieferte.

AIDS spielt in der Davies’ Biographie eine genau so große Rolle wie in fast jeder Biographie junger erwachsener Schwuler in den 80ern und 90ern. Die stete Präsenz, die Bedrohung und die Folgen der Immunschwächekrankheit haben auch bei ihm Spuren hinterlassen. Aber es gibt eben nicht nur AIDS: Sein langjähriger Freund und späterer Ehemann Andrew Smith litt an einem bösartigen Hirntumor, der Davies 2012 dazu bewegte, sich für zwei Jahre von aller Arbeit zurückzuziehen und seinen Partner zu pflegen, der allerdings 2018 verstarb. Davies nutzte sie Abschlussfolge von »Years and Years«, um den zwanzig gemeinsamen Lebensjahren Tribut zu zollen.

Mit »It’s A Sin« zieht er den Hut vor den vielen Opfern einer Epidemie, die von den offiziellen Stellen aller Staaten lange Zeit sträflich vernachlässigt wurde, und die von der Gesellschaft immer noch viel zu oft diskriminiert und ausgegrenzt werden.

Die Medienplattform Rakuten TV zeigt die Mini-Serie ab dem 20. Juni 2021 im Starzplay-Abonnement.

Bild: ewen and donabel, CC BY 2.0.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

CBD

Ob Mensch oder Tier – CBD ist vielfältig einsetzbar

»It’s A Sin« – Schon wieder HIV?