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Essay: Die Folgen der Homo-Proteste in Frankreich

An diesem Mittwoch werden Vincent Autin (40) und sein Mann Bruno (30), der seinen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen will, die allerersten sein. Im südfranzösischen Montpellier werden die beiden schwulen Männer in den Stand der Ehe eintreten, möglich wurde das durch ein Gesetz, das die französische Nationalversammlung am 23. April 2013 beschlossen hat und das am 18. Mai offiziell verkündet wurde:

Die „Ehe für alle“. Vincent und Bruno setzen damit ihrer Beziehung, die seit knapp acht Jahren schon besteht, quasi die Krone auf. Mehr noch: Dass Homosexuelle in Frankreich nun Ehen miteinander eingehen und Kinder adoptieren dürfen, ist nicht nur eine Ohrfeige für die PolitikerInnen all jener Länder, die Lesben und Schwulen dieses Menschenrecht verweigern.

Länder, es ist schändlich genug, zu denen bekanntlich auch die Bundesrepublik Deutschland gehört. Nein, die Homo-Ehe mit Adoptionsrecht spaltet Frankreich, und zwar in einer Art und Weise, die weltweit einzigartig ist und wohl auch bleiben wird.

Weltweit hat es keine derart massiven Proteste gegeben wie in Frankreich

Nirgendwo in der Welt, wo die Parlamente die Homo-Ehe eingeführt haben, hat es derartige Proteste gegeben, Proteste, die zudem immer öfter in Gewalt umschlagen.

Und so wird sich jeder, der schon einmal das homosexuelle Leben in Frankreichs Großstädten erlebt hat, diese ungeheure Toleranz etwa im Pariser Marais-Viertel, wo in den Bars Homo- und Heterosexuelle es als völlig normal betrachtet haben, gemeinsam zu trinken, zu essen und zu feiern, die Augen gerieben haben ob der Massenaufläufe gegen die Homo-Ehe.

Erst am Sonntag waren es, so sagt es die Polizei, wieder 150 000 Menschen, die in Paris auf die Straße gingen, wobei die Veranstalter von einer Million Protestler_innen sprachen. Es würde aber zu kurz greifen, hier nur einen Aufstand gegen die Homo-Ehe zu sehen. Es war dies vor allem eine beachtliche Demonstration dessen, wie mächtig in Frankreich der Konservativismus insgesamt verhaftet ist.

Und welch´ immensen Einfluss die Katholische Kirche hat, die sich in der Auseinandersetzung um die „Ehe für alle“, wie die Homo-Ehe in Frankreich genannt wird, derart massiv in die Politik eingemischt hat, wie es das bisher nicht gegeben hat.

Generationsübergreifende Proteste gegen die „Ehe für alle“

Damit hat die Katholische Kirche deutlich gemacht, dass sie den Laizismus, also die Art und Weise der Beziehung zwischen Staat und Religion, offensichtlich als eine Einbahnstraße betrachtet. Der französische Staat zeigt sich neutral gegenüber den Religionen.

Die Katholische Kirche indes nimmt Einfluss auf das Handeln des Staates und der Regierenden. Das ging so weit, dass sich die Katholische Kirche auch stark finanziell engagiert hat, sodass all die Bus- und Zugfahrten der Demonstrant_innen überhaupt möglich werden konnten.

Diese Einmischung ist an sich schon unerträglich genug. Noch unerträglicher aber ist es, dass das Bild Frankreichs von einem Land, wo die Menschen eingebettet in einem modernen laizistischen System leben, offensichtlich ein Trugbild war.

Doch wäre es bei alledem ein großer Fehler, wenn man, wie es viele Homoaktivisten in Frankreich jetzt tun, die Wut ausschließlich an der Katholischen Kirche sowie an der konservativen UMP-Partei abarbeiten würde. Dies, weil die Massendemonstrationen gegen die „Ehe für alle“ vor allem eines deutlich gemacht haben:

Da sind nicht nur religiös Verbrämte beziehungsweise ewiggestrige Gestalten auf die Straße gegangen, sondern auch Künstler_innen, junge Menschen und Familien. Alle Generationen waren vertreten, und Staatspräsident Hollande hatte, als er die „Ehe für alle“ als ein zentrales Wahlversprechen verkündete, ganz offensichtlich keine Ahnung von der Verfasstheit der Franzosen und davon, dass in seinem Land generationsübergreifend Traditionen hochgehalten werden.

Er wurde also nicht für seine Pro-Haltung zur Homo-Ehe gewählt, sondern, was schwerer wog, weil die Franzosen die Schnauze voll hatten von seinem Amtsvorgänger Sarkozy.

Die Proteste gegen die „Homo-Ehe“ sind nicht nur Ausdruck einer Homophobie

Die Ablehnung der „Ehe für alle“ darf nicht nur als ein Ausdruck von Homophobie gesehen werden, sondern eher als Antwort einer Gesellschaft, die die Gleichstellung von Homosexuellen mit Heterosexuellen als einen Angriff auf traditionelle Werte begreift.

Werte, die man sich gerade in Zeiten finanzieller Einbußen infolge einer grassierenden Arbeitslosigkeit in Frankreich nicht auch noch nehmen lassen will. Am vergangenen Sonntag, wenige Stunden nach der letzten Massendemonstration gegen die „Ehe für alle“, der wohl noch etliche folgen werden, gewann in Cannes „La vie d’Adèle“ die Goldene Palme.

Der Film erzählt eine lesbische Liebesgeschichte und wurde regelrecht bejubelt. Vincent Autin und Bruno werden heute in Montpellier bezeugen, dass sie für immer beisammen bleiben wollen. Das Gesetz aber, das ihnen dies ermöglicht, wird auf unabsehbare Zeit Frankreichs Gesellschaft spalten.

Foto: doe

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

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