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Capitano im Interview: Fresh out the Box

Capitano

2020 ist alles anders! Auch ihr habt in eurer Bandgeschichte mehrere Metamorphosen durchgemacht. Hat euch Corona ausgebremst oder neue Superkräfte verliehen?

Erst das eine, dann das andere! Seit 10 Jahren machen wir schon Musik miteinander und jeder kennt den anderen besser als das in den meisten Durschschnittsehen der Fall ist. Dass die Grundlage für „immer so weitermachen“ vom einen Tag auf den anderen plötzlich nicht mehr existiert, hat uns schon in eine kleine Identitätskrise geschubst.

Wir mussten vieles in Frage stellen, und vor allem mussten wir uns entscheiden: Wollen wir gemeinsam herausfinden, wie Musik nach Corona noch möglich ist, oder ist es jetzt an der Zeit, das Handtuch zu werfen? Wir haben uns dafür entschieden, zurück zum Kern der Sache zu finden: Musik machen. Erstmal nur für uns selbst. Denn wenn wir auch gerade kein Publikum haben können, haben wir doch uns, unseren Proberaum und unser Bedürfnis, Musik zu schreiben.

Anfang 2020 wolltet ihr in 12 Monaten 12 Songs herausbringen. Auch ihr musstet eure Pläne für dieses Jahr über den Haufen werfen. Konntet ihr die Zeit kreativ nutzen?

Wir sind anfangs auch auf den Verzweiflungszug der Livestreams aufgesprungen, haben aber schnell gemerkt: Wir zahlen sehr viel drauf, und am Ende stehen wir in einem leeren Raum mit uns selbst und keiner klatscht. Das ist der Tod für die Künstlerseele.

Außerdem war unsere Challenge mit 12 Songs in 12 Monaten unheimlich anstrengend. Wir haben alle dringend eine Pause gebraucht, die wir uns schlussendlich auch genommen haben. In dieser Pause ist auch eine neue Idee entstanden: Wir sind in einen neuen Proberaum gezogen, den wir gerade renovieren. Hier soll in Zukunft alles entstehen, und unsere Fans sollen dabei sein.

Wir wollen vor der Kamera schreiben, spielen, kollaborieren und noch mehr den Teil von uns zeigen, den man auf der Bühne gar nicht so mitkriegt. Das Konzept heißt „Fresh out the Box“ und so soll es auch werden: Immer neue Ideen, ungezwungen umgesetzt. Ab nächstem Jahr geht es damit so richtig los.

Hättet ihr gedacht, dass ihr mit “I Wear A Mask” den Soundtrack für das Jahr 2020 liefert?

So nicht, nein. Das war tatsächlich ein irrer Zufall. Als wir den Song Ende letzten Jahres geschrieben hatten, waren persönliche Abgrenzung, ein Mangel an Nähe und eine sich polarisierende Gesellschaft die Inspiration für diesen Song. Als wir ihn dann herausgebracht hatten, fing es plötzlich an mit der ganzen Covid-Schose.

Für uns war das erstmal aufregend, denn wir sind in kürzester Zeit auf so ziemlich jeder Lockdown-Playlist gelandet, die mein bei Spotify & co so finden kann. I Wear A Mask ist nach wie vor der international gefragteste Song von uns. Wir haben deswegen gerade ein Video zum Song gedreht, das waren wir unseren Fans noch schuldig. Es ist ein etwas schräger Twist zum Thema Abgrenzung.

Wir wollten ein Video drehen aus den Augen eines Kindes, das die eben noch normalen Erwachsenen plötzlich in einer völlig abgegrenzten Welt wahrnehmen. Die zu Ende gedachte Maske ist wie eine Tüte über dem Kopf, mit der wir nichts mehr außer uns selbst wahrnehmen.

Mit ihr fehlt uns der Kontakt zu anderen Menschen, und damit die Orientierung, um das Leben und uns selbst richtig zu begreifen. Alles wirkt plötzlich komisch und unsinnig.

Dabei wollen wir aber keinen Punkt für oder gegen etwas machen, aber ein bisschen die Bedeutung unserer Zeit für das Menschsein mit bunten Stiften ausmalen. Das Video ist bereits gedreht und kommt die Tage raus!

Ihr habt ein sehr aufregendes Set-, Kostüm- und Maskendesign! Woher nehmt ihr die Inspiration?

Wir hatten immer schon das Bedürfnis, aus der Normalität auszubrechen und uns selbst mal völlig neu wahrzunehmen. Masken aufzusetzen, zu schillern und auch den gelernten Dresscodes zu widersprechen ist ein gutes Mittel, um sich von Erwartungen freizuschwimmen. In meinem Fall auch von Erwartungen zum Körpertyp. Wie schillernd, wie aufgehübscht darf man im Schwergewicht sein?

Man lernt auch schnell, wie toxisch manche Männer und Frauen auf dieses querschiessen reagieren. Das ist eine wichtige Erfahrung, wie viele Menschen ein Bedürfnis nach Konformität haben, und wie sehr sich manch einer davon angegriffen fühlt, wenn man sich dieser bewusst entsagt.

Mittlerweile merken wir aber, dass sich Bühnenpersona und Privatperson immer mehr annähern. Es muss jetzt nicht immer auf Teufel komm raus bunt und wild sein. Authentizität ist manchmal auch unbesonders. Aber sich selbst diese Freiheit zu gewähren, hin und wieder auch im Auftritt herumzuspinnen, das ist wichtig für’s eigene Selbstwertgefühl.

Im Kanadischen Outback habt ihr den Grammy-Produzenten Jeff  Bova getroffen, mit dem ihr am aktuellen Album arbeitet? Wie habt ihr euch kennengelernt?

Jeff Bova war einer von vielleicht fünf Gästen am zweiten Tag eines Musikindustrie-Festivals in Neufundland. Die ganze Insel war von der Nacht davor so verkatert, dass einfach niemand sonst kam. Und wir waren trotzig und haben wirklich alles gegeben, für eine leere Halle. Jeff streamte unseren Auftritt live auf Facebook.

Ich habe ihn darauf im Internet gestalkt, und wir konnten es kaum fassen… Der Mann hat wirklich mit allen zusammengearbeitet. Wir haben ihm am dritten Tag in der Hotellobby aufgelauert. Er war wirklich nett und hat uns nach L.A. eingeladen. Es war alles schon ziemlich verrückt.

Wie fühlt es sich an, als Newcomer mit Bova zusammenzuarbeiten, der schon Größen wie Michael Jackson und Jay-Z produziert hat?

Wir arbeiten jetzt seit etwa einem Jahr mit Jeff, von daher ist es längst nicht mehr eine verrückte Promi-Story, sondern eine echte Freundschaft, die uns verbindet. Es ist fast schon eine Vater-Sohn-Beziehung. Oder vielleicht Onkel und Neffe? Auf jeden Fall ist er ein ganz besonderer Mann.

Sehr aufgeschlossen und einfühlsam und unglaublich an der Welt und Menschen interessiert. Ich war eine Woche bei ihm in L.A., Jeff war insgesamt dreimal hier in Deutschland bei uns. Ich habe Touri-Wochenenden mit ihm gemacht, wir waren beim Yoga, im Palmenhaus und beim Dönergrill.

Wir sind in unserer gemeinsamen Zeit schon sehr zusammengewachsen. Er ist unfassbar uneitel und hat eine sehr zartfühlende Art, mit der er wirklich alles aus einem herausholt. Gerade beim Gesang. Er schafft es einfach, Mauern abzubauen, ohne dass man es merkt.

Und er ist nach vierzig Jahren im Business immer noch so begeisterungsfähig wie am ersten Tag. Das ist schon echt bemerkenswert.

Wegen der aktuellen Pandemie ist er in den USA und ihr in Berlin. Wie funktioniert die Zusammenarbeit über zwei Kontinente?

Tatsächlich mussten wir die letzten zwei Songs per Fernschalte aufnehmen. Das geht ziemlich gut, denn gerade beim Gesang ist es egal, ob man aus der Booth  durch das kleine Fenster zum Studioraum mit dem Produzenten spricht, oder über einen kleinen Bildschirm mit Kamera.

Allerdings hatten wir erst nicht an die Zeitverschiebung gedacht. Jeff musste also früh aufstehen, wir hingegen haben Nachtschichten geschoben. Es ist etwas ungewöhnlich, aber geht.

Man muss etwas konzentrierter arbeiten und es können nicht immer alle gleichzeitig ihre Gedanken beitragen, aber das hat uns teilweise auch eine Struktur gegeben, die wir eher als etwas positives erlebt haben.

Im Dezember werdet ihr wieder vor echtem Publikum auf der Bühne stehen. Während des Lockdown habt ihr digital für eure Fans performt. Wie waren die digitalen Konzerte für euch? 

Den ersten Teil müssen wir leider streichen: Die Tour wird aus denkbaren Gründen dieses Jahr nicht stattfinden. Verdammte Axt. Danke, Corona. Was die digitalen Konzerte angeht: Die finden wir blöd.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass das eine tolle Erfahrung ist. Ist es nicht. Es ist beschämend und schmucklos und irgendwo für alle beteilligten unwürdig. Aber natürlich greift man nach jedem Strohhalm und versucht, das Beste aus der Situation zu machen.

Und es gab natürlich auch viele Fans, die sich Zuhause mit Vino und Capitano einen schönen Abend gemacht haben, und das ist ja auch was wert. Trotzdem, gerne machen wir das nicht. Da fehlt einfach der Kontakt zum Gegenüber.

Haben die Konzerte euren Performance-Hunger stillen können?

Leider keine Konzerte, und daher leider kein Hungerstillen. Wir warten ab und hoffen auf eine Festivalsaison 2021. Mehr kann man dazu gerade nicht sagen. Aber natürlich fehlt uns die Verbindung zum Publikum.

Mittlerweile wollen wir aber keine halben Sachen mehr. Entweder richtig, oder gar nicht. Deswegen suchen wir nach neuen Rezepten, um unseren Hunger stillen zu können. Wir nehmen jedes Problem jetzt nur noch als Chance wahr, sonst kommt man sowieso nicht vom Fleck.

Ihr seid noch neu im Musikbusiness aber habt schon einen Kooperations-Deal mit Lautsprecher Teufel an Land ziehen können. Wie ist es zur Kooperation gekommen?

Wir haben uns einfach maximal kommerziell prostituiert. Eigentlich wollten wir zusammen mit dem Wendler was für Kaufland machen und uns dann in den Verschwörungsuntergrund absetzen.

Aber Teufel ist natürlich eine tolle Alternative! Nein, Spaß beiseite…Teufel sind Überzeugungstäter, die wollen Musik unterstützen und fanden unseren Sound spannend. Wie die Kooperation jetzt ohne Tour aussehen wird, ist noch nicht ganz klar. Hoffentlich ist Teufel das hochauflösende Megaphon, um unsere Musik auch mal Menschen um die Ohren zu pfeffern, die bisher noch nichts von uns gehört haben.

© Fresh Out The Box GbR!

Eingetütet hat den Deal unser Booker Christoph „gnadenlos“ Wendland. Er sitzt wie wir alle in den Startlöchern, um endlich wieder loszulegen. Mal gucken, was er noch so an Land zieht, wenn die Luft da draußen wieder rein ist.

Was macht guten Sound für euch aus?

Ein Verzicht auf Glaubenssätze! Wir schmeissen teures Equipment und billigen Krempel auf einen Haufen und drehen so lange an den Knöpfen, bis es gut klingt. Im Studio ist vor allem Fuzz für den Sound verantwortlich. Er hat den Sachverstand, um den Sound zu finden, der uns alle kitzelt.

Wir legen viel Wert darauf, dass alle Instrumente eine klare Rolle zugewiesen bekommen. Was macht Stress, was bietet Zärtlichkeit? Was setzt sich durch, was hört man erst auf den zweiten Durchlauf heraus?

Das wichtigste ist Authentizität. Wir achten nicht mehr auf perfekte Spielweise. Das können andere sowieso immer besser als man selbst. Nur was nach uns klingt landet auch im Track.

Werdet ihr euch 2021 neuen Herausforderungen stellen und habt ihr schon Ideen für neue Challenges? 

2020 war uns Challenge genug. Wir wollen uns wieder der Liebe zur Musik widmen. Dafür senden wir ab 2021 aus unserem neuen Proberaum regelmäßige Videos. „Fresh out the Box“ heißt das Format.

Wir wollen unseren Fans mehr Einblicke geben, wie unsere Songs entstehen. Weniger wochenlanges tüfteln im Geheimen, und mehr „Der Weg ist die Kunst“. Und das bringen wir auch wieder live auf die Bühne, wenn Corona endlich das Feld geräumt hat.

Beantwortet von John / Capitano

Bild: Fresh Out The Box GbR!.

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