Intolerantes Verhalten, Überheblichkeit, Diskriminierung, treten solche Verhaltensweisen bei Jugendlichen auf, ist der Schock bei den Eltern oft groß. Oftmals werden Eltern erst durch Lehrer oder andere Bezugspersonen ihrer Kinder mit der Nachricht konfrontiert, dass ihre Kinder an Gewalttaten wie Mobbing beteiligt waren. Spätestens jetzt setzen die Selbstzweifel und Vorwürfe ein:
Was ist in der Erziehung falsch gelaufen? Haben wir zu wenig Werte vermittelt, uns zu wenig Zeit genommen? Wann war der Punkt, als uns das Kind entglitten ist? Habe ich meiner Tochter oder meinen Sohn kein Gehör geschenkt, als der entscheidende Moment gekommen war? Habe ich als Vater nicht hingehört, weil mir gerade Formel 1 wichtiger oder ich einfach mit der Book of Dead Free Demo beschäftigt war? Oder habe ich als Mutter gänzlich versagt, weil ich damals einmal die Elternversammlung geschwänzt habe?
Lange wurde Intoleranz als etwas Normales betrachtet
Ist es nicht so, dass Intoleranz lange Zeit als etwas Normales betrachtet wurde, was als Teil der menschlichen Natur akzeptiert wurde? Es galt als normal, eine Norm zu definieren und in einer vom Darwinismus geprägten Welt die Schubladen zu öffnen und Menschen einzusortieren.
Das Recht des Stärkeren sei genau so ein Naturgesetz wie die „Normalität“ selbst. Von der Norm abweichen, das ist gut. Aber bitte nur im Sinne von „besser, stärker, dominanter“, niemals aber von „schwächer“.
Oder einfach nur „anders“. Schwäche oder Abnormität hat in diesem Weltbild keinen Platz. Immer entschied die vermeintliche „Masse“ als selbsternannte Elite, was „normal“ war, wer zur Gesellschaft gehörte und wer eben nicht. Es waren damals nicht die Randgruppen, die diskriminiert wurden, sondern es waren beispielsweise Frauen. Oder dunkelhäutige Menschen.
Lange her? Von wegen!
Heute sind wir entrüstet darüber, diese Gruppen als „schwach“ oder „anders“ zu betrachten. Es scheint aus heutiger Sicht absurd, Frauen das Wahlrecht zu verwehren oder Sklaverei zu befürworten. Wir sind nun aufgewacht und wissen es besser. Aber, und nun kommt der Punkt:
Der Aufwachprozess geht nur langsam, sehr langsam vonstatten. Nach und nach entstand überhaupt erst die Bereitschaft, über Themen wie „Menschen mit Behinderungen“ oder „homosexuelle Menschen“ zu sprechen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Es ist eben noch gar nicht lange her, dass beides als „abnormal“ betrachtet und aus der Gesellschaft verstoßen wurde. Was uns heute beschämt, nämlich die Diskriminierung von allen Menschen, die „anders“ sind, galt gestern noch als naturgegebenes Recht der ach so starken Mehrheit.
Vielleicht liegt es wirklich in der Natur der Menschen…
Denkt man so über das nach, was in der Vergangenheit passiert ist, kann man sich mächtig erschrecken. Womöglich gehört es zur bösen Seite des menschlichen Wesens, sich ständig als etwas Besseres zu definieren, indem man andere Menschen herabwürdigt – von Tieren und anderen Lebewesen ganz zu schweigen. Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, sich dieser Neigung bewusst zu werden und aktiv entgegenzuwirken. Bei sich selbst, aber besonders auch bei der nächsten Generation, den Kindern.
Die gezielte Erziehung zu mehr Toleranz ist eine Investition, die sich lohnt. Intoleranz hat in der Vergangenheit nicht nur viele Menschenseelen zerstört, sondern auch den Nährboden für ganze Ideologien geliefert, die zerstörerische Blüten getrieben und beinahe ganze Völker ausgelöscht haben. Deshalb ist Mobbing kein Kavaliersdelikt. Was das Mobbing im „Kleinen“ ist, wird im „Großen“ durchaus zum Genozid.
Wehret den Anfängen
Die Erziehung zu mehr Toleranz ist nichts, was man in ein paar Schulstunden abhandeln kann, wenngleich auch die Schulen diesbezüglich eine große Verantwortung tragen. Tatsächlich beginnt die Erziehung zu einem toleranten Menschen aber auch nicht erst im schulpflichtigen Alter, sondern sofort nach der Geburt. Menschen können nämlich nur das geben, was sie auch selbst bekommen haben.
Das mag nun kompliziert klingen, ist aber verblüffend einfach. Der ganze Trick an der Sache wurde nämlich perfekt von der Natur eingerichtet. Es ist so vorgesehen, dass eine Mutter ihr Kind liebt, und zwar bedingungslos. Diese Liebe und Akzeptanz, die nicht an irgendeine Leistung geknüpft wird, ist die Basis für ein starkes Selbst, das der heranwachsende Mensch entwickelt. Du bist gut, wie du bist.
Für die Liebe, die du erfährst, musst du nichts leisten, deine bloße Existenz genügt. Wer seinen Kindern das vermittelt, zieht einen Menschen heran, der in sich selbst ruht und glücklich ist.
Selbstliebe, Selbstachtung, Selbstwert
Leider führt unsere leistungsgeprägte Gesellschaft dazu, dass die bedingungslose Liebe ins Hintertreffen gerät. Nicht, dass Eltern ihre Kinder nicht weiterhin bedingungslos lieben würden, sobald sie den Windeln entwachsen sind.
Es wird nur oft vergessen, dieses Gefühl zu zeigen. Stattdessen übertragen Eltern oft den permanenten Leistungsdruck, den sie selbst im Berufsleben spüren, auf ihre Kinder. Ein Alltag ist heutzutage so herausfordernd, dass Kinder nur noch hineinzupassen scheinen, wenn sie kompatibel und unauffällig sind. Abweichungen werden mit einer Diagnose belegt und schnellstmöglich behandelt.
Man denke nur an das ziemlich neuartige Phänomen ADS/ADHS. Heranwachsende werden für Angepasstheit, für tadelloses Funktionieren und „Normalität“ gelobt. Was aber, wenn ein Kind aus der Rolle fällt? Dann wird stets suggeriert, es sei „problematisch“. Die Heranwachsenden haben noch kein fertig entwickeltes Selbstbild, sondern sind auf die Rückmeldungen ihres Umfelds angewiesen.
Menschen spiegeln sich in ihren Mitmenschen
Das Selbst, das von Jugendlichen noch gefunden werden muss, leidet unter dem Druck, in eine Schablone passen zu müssen. Wer nicht hineinpasst, fühlt sich an den Rand gedrängt und unzulänglich.
Der einzige Ausweg scheint dann darin zu liegen, jemanden zu suchen, der noch schwieriger in die Schablonen passt, also noch „auffälliger“ ist, als man selbst. Indem Individualität als Schwäche und Störfaktor betrachtet wird, öffnet man Intoleranz Tür und Tor. Der Konkurrenzkampf in den Schulklassen beginnt, und die vermeintlichen Qualitäts-Parameter sind mehr als fragwürdig.
Die Erziehung zu mehr Toleranz kann insofern nur erfolgreich sein, wenn man das wahre Selbst eines jeden Teenagers stärkt. Dabei sollten eben nicht die Eigenschaften eines Menschen im Vordergrund stehen, die ihn als „normal“, „bequem“ und „besonders angepasst“ erscheinen lassen, sondern genau die Dinge, die ihn einzigartig machen.
Ein Teenager, der für seine Individualität Achtung, Anerkennung und Respekt erfährt, kann das auch spiegeln und sieht in dem Spiegel, dem ihn andere Menschen vorhalten, keine Bedrohung oder etwas „Unnormales“, sondern einen interessanten Menschen, der nicht nur toleriert, sondern auch wertgeschätzt wird.