in

Wohlfühlpapst Franziskus: Viele Worte und wenig Taten

Katholiken Papst Franziskus Gemeinde
Foto: queerpride.de

Seit sich Papst Franziskus auf dem Rückflug von Rio de Janeiro nach Rom vor den mitfliegenden Journalisten zu Homosexuellen geäußert hat, diese gar als „unsere Brüder“ bezeichnete und ein Ende der Diskriminierung von Schwulen und Lesben forderte, steht die Welt Kopf. Zumindest muss man diesen Eindruck gewinnen, wenn man in die Sozialen Netzwerke blickt. Selbst die an sich nölige Reformbewegung „Wir sind Kirche“ jubelt, sie sei „hocherfreut“ ob des Papstes Aussagen. Objektiv gesehen gibt es für diese Begeisterung allerdings kaum einen Grund.
Zwar ist es löblich, dass Franziskus das Thema von sich aus angesprochen hat. Und es ist darüber hinaus sein Verdienst, dass er homosexuellen Priestern und Ordensleuten ihre Ängste und Unsicherheiten zu nehmen versucht. Gleichwohl tat er bei genauerer Betrachtung aber nur das mit anderen Worten kund, was ohnehin die katholische Lehre ist. So müssten die katholischen Christen den Homosexuellen „(…) mit Achtung, Mitleid und Takt (…)“ begegnen. So steht es im Katechismus, und der Grund für diese Aufforderung zu Achtung, Mitleid und Takt wird auch gleich mitgeliefert:

Homosexuelle hätten sich ihre Sexualität ja nicht ausgesucht. Anders formuliert: Die Homos können eigentlich nichts dafür. Mal abgesehen davon, dass kein Homosexueller es nötig hat, bei irgendjemandem um Achtung, Takt oder gar Mitleid zu buhlen, stimmt es natürlich: ihre Sexualität haben sich Lesben und Schwule nicht ausgesucht. Und daraus darf man als gläubiger und homosexueller Christ doch wohl ableiten, dass diese Sexualität gottgegeben und natürlich ist. Warum hat Franziskus, der Stellvertreter Christi auf Erden, das nicht gesagt? Weil er das, so zeigte es schon seine ablehnende Haltung Homosexuellen gegenüber als Kardinal in Argentinien, wohl weder glaubt noch denkt. Und warum spricht sich dieser Papst gegen die Diskriminierung von Homosexuellen aus, was an sich ja etwas Selbstverständliches sein sollte, diskriminiert dann aber in den Sätzen danach doch die Homosexuellen, die ihre Sexualität ausleben?

Das ist ein einziges Ärgernis. Auch deshalb, weil Franziskus das Ganze dann auch noch bemäntelt mit dem Satz: „Wer bin ich, dass ich urteile?“, um hiernach dann doch zu urteilen. Warum können dieser Papst und vor allem die Eiferer in der Katholischen Kirche nicht endlich mal zur Kenntnis nehmen, dass Homosexuelle ihre Sexualität gerne ausleben und dies die Katholische Kirche im Grunde nullkommagarnichts angeht? Und warum hat Franziskus nicht die Aussage des Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses (!) des brasilianischen Parlaments, dem Land also, in dem er sich aufhielt, nicht kritisiert, der während des Papstbesuchs davon faselte, „Aids ist Schwulenkrebs“, und man müsse Homosexuelle „von ihrer Krankheit heilen“? Mit Sicherheit haben den Papst diese Diskriminierungen des evangelischen (!) Pastors Marco Felicano erreicht, denn des Pastors Gequatsche war während des Weltjugendtages in den Medien sehr präsent.

Papst Franziskus und die „mächtige Schwulen-Lobby“: Was soll das eigentlich sein, und warum fegt er sie nicht hinweg?

Nein, es ist wie immer bei diesem Papst: Er thematisiert Dinge, die ihm wichtig sind und sorgt dabei nicht selten für ein wohliges Gefühl. Und er produziert massenhaft Bilder. Neue Bilder. Schöne Bilder. Ein Papst mit Straßenschuhen, der seine Aktentasche selbst trägt. Ein Papst, der sich den roten Schuhen und des mit Panzerglas versehenen Papamobil entledigt hat und ständig Menschen umarmt und küsst. Das mag herzerweichend sein, doch Bilder haben nur dann einen wirklichen Wert, wenn sie etwas Vorhandenes und Substanzielles verstärken. Und da sieht die Bilanz von Franziskus bislang ziemlich mau aus.

Man könnte auch sagen, dass man den Eindruck gewinnt, dass dieser Papst im Zuge des andauernden Umarmens und Küssens von Menschen das konkrete Handeln vergisst. Ein Beispiel: Die Vatikanbank „Istituto per le Opere di Religione“ (IOR). Man könnte sagen, Obamas Guantanamo ist Franziskus‘ Vatikanbank. Beide kritisieren lautstark, beide vermelden konkreten Handlungsbedarf, doch wirklich tun tun sie beide nichts. Und so richtig ärgerlich ist die auf der Strecke Rio – Rom wiederholte Aussage des Pontifex, er habe nichts gegen Schwule, sehr wohl aber gegen die „mächtige Schwulen-Lobby“ im Vatikan, weil alle Lobbys ein Problem seien. Was soll das? Wer ist denn das eigentlich, diese „mächtige Schwulen-Lobby“, von der der Heilige Vater ständig redet? Und wenn diese „mächtige Schwulen-Lobby“ so schädlich sein soll, wer ist denn da Mitglied, was konkret tun diese Leute, die angeblich so mächtig sind und vor allem: Warum fegt der Papst sie nicht hinweg?

Eine „mächtige Schwulen-Lobby“ – das ist ja in etwa so, als würde der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Jain, davon reden, es gäbe in seinem Kreditinstitut eine mächtige Occupy-Lobby, um hiernach die Hände untätig in den Schoß zu legen. In der Bibel gibt es bei Matthäus sowie im Jakobus-Brief einen wunderbaren Satz: „Sage Ja Ja, oder sage Nein Nein. Alles andere ist von Übel!“ Dieser Ausspruch in all seiner Klarheit ließe sich auch so interpretieren, dass der Mensch sich deutlich positionieren sollte, und zwar jenseits des schwammigen „Jein“, beziehungsweise fernab des unseligen „Ja, aber…“-Relativismus‘. Papst Franziskus hat in diesem Sinne bisher leider wenig bis gar nichts geliefert, und so bleibt die Hoffnung, dass sich dies noch ändern wird. Doch ist seine Zeit begrenzt. Franziskus wird am 17. Dezember 77 Jahre alt.

Bild: queerpride.de

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

Reykjavík – kleine Stadt, großes Erlebnis

Olympiaboykott

Homosexuellenverbände wollen Olympiaboykott