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Wenn das Blut nicht genügt …

Man kommt sich vor wie ein blutiger Anfänger. Da behauptet der Präsident eines nach Europa strebenden Landes – das aber alles dafür tut, sich von den europäischen Werten zu entfernen – dass Blut der Ausdruck von Nationalität und Weltanschauung sei. Da behaupten rechtspopulistische Meinungsmacher, dass Fußballspieler ohne rein deutsches Blut keine Berechtigung hätten, für Deutschland aufzulaufen – und dann haben zwei von eben diesen die Chuzpe, im Auftaktspiel gegen die Ukraine ein Tor und eine Vorlage zum Sieg beizusteuern.

Und nun kommt der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und behauptet, er danke »allen Menschen, die bereit sind, Blut zu spenden.« So jedenfalls steht es in der Pressemitteilung der BZgA zum morgigen Weltblutspendetag. Jawohl – am 14. Juni eines jeden Jahres wird die Welt darauf hingewiesen, dass Blut ein besonderer und vor allem ein besonders dringend gefragter Saft sei. Die Zielgruppe, an die sich die Aktivitäten der BZgA wendet, wird in der Pressemitteilung klar definiert: »Blut spenden kann in Deutschland jeder gesunde Erwachsene im Alter von 18 bis 68 Jahren.«

Anteil von MSM an der Gesamtbevölkerung

Schade, dass das nicht stimmt: Schwule Männer dürfen ungeachtet ihres gesundheitlichen Status’ kein Blut spenden. Grund: Laut EU-Recht – und damit auch in Deutschland – sind Personen mit hohem Risiko für Infektionskrankheiten wie HIV ausgeschlossen. Das ist im Transfusionsgesetz festgelegt, in dem aber keine Ausschlusskriterien genannt werden. Hier versteckt sich der Gesetzgeber nämlich hinter dem Paul-Ehrlich-Institut, das die Ausschlusskriterien sehr schwammig formuliert.

Zum einen heißt es dort, es sei »zweifelsfrei belegt, dass Sexualverkehr unter Männern mit einem besonders hohen Risiko einer HIV-Übertragung behaftet ist.« Zum anderen heißt es kurz darauf: »Da der Anteil von MSM an der Gesamtbevölkerung auf ca. drei bis fünf Prozent geschätzt wird, aber etwa zwei Drittel aller HIV-Infizierten umfasst, ist das Risiko, sich in diesem sexuellen Netzwerk zu infizieren, besonders hoch.«

Stigma der HIV-Infektion

Rechnen wir mal kurz nach. Laut Robert-Koch-Institut – auf dessen epidemiologische Zahlen sich das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) beruft – sind aktuell 83.000 Menschen in Deutschland von einer HIV-Infektion betroffen. Zwei Drittel davon sind MSM, das entspricht – legt man die Mathematik zugrunde – einer Zahl von aufgerundet 56.000 Menschen. Der Anteil von MSM beträgt laut PEI (Quelle siehe oben) 3 – 5% der Gesamtbevölkerung, die knapp unter 82 Millionen Bürgern liegt. Nach Angaben des PEI gehören also zwischen 2,5 und 4 Millionen Menschen zur Gruppe der MSM. Ein wie auch immer geartetes »Risiko« geht also von 1,35% – 2,2% einer willkürlich mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner als homogen definierten Bevölkerungsgruppe aus.

Ist dieses Risiko wirklich besonders hoch? Nein, aber der Grad der Diskriminierung ist es, denn einerseits wird das Stigma der HIV-Infektion befeuert – positive Schwule wissen nämlich im Gegensatz zu ungetesteten Heteros verantwortlich mit der Infektion umzugehen. Andererseits werden mal eben locker zwischen 2,45 und 3,95 Millionen Menschen unter Generalverdacht gestellt. Herzlichen Dank!

Blut reicht nicht aus

Wohin eine solche Ausgrenzung führt, zeigt der gestrige Anschlag auf das »Pulse« in Orlando/Florida. »In den Krankenhäusern von Orlando kämpfen Ärzte und Helfer um das Leben Dutzender Patienten, die bei der Schießerei im Nachtclub Pulse von Kugeln getroffen wurden. Der Vorrat an Blutkonserven reicht für so eine große Zahl von Menschen nicht aus«, schreibt die Süddeutsche Zeitung heute. Trotzdem sind schwule Männer auch hier von der Blutspende ausgeschlossen, obwohl sie sich freiwillig gemeldet haben. Anderslautende Meldungen entpuppten sich als Falschmeldung.

Helfen sollte, wer helfen will. Und wer helfen kann. Und nicht, wer helfen darf.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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