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USA: Sexuelle Orientierung ist kein Grund für Sorgerechtsverweigerung

Sorgerechtsverweigerung

Das höchste Gericht des US-Bundesstaates Washington hat einer Meldung von »Courthouse News« vom 7. April zufolge eine Entscheidung zu einer Sorgerechtsverweigerung aus dem Jahr 2014 verworfen, die aufgrund der lesbischen Orientierung der Mutter zugunsten des strenggläubigen Vaters gefällt worden war.

Die Richterin Mary Fairhurst schrieb in einer 30-seitigen Stellungnahme, dass das Gerichtsurteil jegliche gebotene Neutralität in Bezug auf die sexuelle Orientierung hätte vermissen lassen und die in dieser Hinsicht zu Tage getretene Voreingenommenheit Zweifel an der gesamten Urteilsfindung wecke. Der Fall wurde an ein anderes Gericht zur Überprüfung überwiesen.

Das Ehepaar war fast zwanzig Jahre verheiratet gewesen und hatte drei Söhne zur Welt gebracht, als Rachelle Black ihrem Mann 2011 erklärte, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühle. Als sie eine Beziehung mit einer Frau einging, setzte Charles Black die Familie seiner Frau, Freunde und Mitglieder der Kirchengemeinde über Rachelles sexuelle Orientierung in Kenntnis, nicht aber die Söhne.

Laut Aussage von Rachelle wurde sie in der Folgezeit von ihrem Mann sexuell bedrängt, was dieser jedoch abstritt. 2013 reichte Rachelle die Scheidung ein.

Der betreuende Kinder- und Jugendtherapeut erklärte in der Verhandlung 2014, dass die Kinder von der Religion sehr behütet und geschützt aufgewachsen seien und nicht wirklich wüssten, wie die reale Welt funktioniere. Auch was eine Scheidung bedeute, könnten sie sich nicht vorstellen.

Der Rechtsbeistand der Kinder, die Anwältin Kelly Theriot Leblanc, beantragte daraufhin, dem Vater das alleinige Sorgerecht zuzusprechen, da die Mutter eine Lebensweise gewählt hätte, die im Widerspruch zu den religiösen Empfindungen der Jugendlichen stehe.

Die »Wahl« bezöge sich dabei auf Rachelles Entscheidung, statt der Weiterführung der Ehe die Scheidung gewollt zu haben und nicht auf ihrer sexuellen Umorientierung. In ihrem Abschlussbericht verwies Leblanc darauf, dass Rachelle nicht erkenne, dass ihre Kinder ihre selbst gewählte neue Lebensperspektive nicht unbedingt teilen würden und die Fundamente der Familie mutwillig zerstöre.

Das Gericht folgte dieser Argumentation und übertrug dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die alleinige Entscheidung über Bildung und Religionsausübung der Kinder.

In einer internen Revision im darauffolgenden Jahr wurde allerdings festgestellt, dass es verfassungswidrig sei, wenn das Gericht einer Mutter verbiete, mit ihren Kindern über Religion oder die sexuelle Orientierung zu sprechen. Zudem sei die Argumentation der Anwältin von unzulässigen Vorurteilen gegenüber der Mutter und ihrer Lebensweise durchdrungen.

Das Gericht hätte zwar nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Rachelles sexuelle Orientierung sie zu einem ungeeigneten Elternteil mache, aber die Grundausrichtung sei klar. Für die Kinder sei Homosexualität nicht mit ihrer religiösen Erziehung zu vereinbaren, deshalb sei der Vater als Vertreter genau jener Werte besser geeignet, die religiös geprägte Erziehung fortzuführen.

Rechtssprechung zur Sorgerechtsverweigerung

Er sei das »stabilere Elternteil«. Die Rechtsprechung im Bundesstaat Washington verbietet die Beschränkung der Ausübung von elterlichen Rechten, nur weil ein Elternteil homosexuell sei. Demzufolge sei die immer wieder erkennbare Betonung der Homosexualität und der alternativen Lebensstilkonzepte unnötig gewesen; der Bericht der Anwältin lasse erkennen, dass die religiösen Glaubensvorstellungen des Ehemanns bevorzugt wurden. Es spreche auch nicht gegen die Mutter, wenn diese ihre religiösen Ansichten modifiziere.

Eine gerade veröffentlichte Studie der Drexel University in Pennsylvania kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass heterosexuelle Elternteile in Sorgerechtsprozessen oft begünstigt würden. Studien und Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Elternschaft Homosexueller würden zu wenig oder gar nicht berücksichtigt. Dabei zeigten sie, dass Kinder aus Regenbogenfamilien sich nicht von jenen Kindern unterscheiden, die in klassischen Familien aufwachsen.

Das 2013 gegründete »International Journal of Birth and Parent Education« veröffentlichte 2016 eine Studie der Psychologinnen Rachel H. Farr (University of Kentucky) und Samantha L. Tornello (Penn State Altoona), in der (wieder einmal) festgestellt wurde, dass die sexuelle Orientierung der Eltern keinerlei Einfluss auf das Aufwachsen von Kindern habe.

Lesbische, schwule und heterosexuelle Paare machten als Eltern absolut vergleichbare Erfahrungen. Es käme bei der Erziehung weniger auf die sexuelle Orientierung der Eltern an, als vielmehr auf den Umgang der Eltern miteinander, was z. B. Stressfaktoren, Beziehungszufriedenheit und psychische Gesundheit beträfe. Zu diesem Schluss kam die »American Psychological Association« zwar schon 2004, allerdings würde dem juristisch kaum Bedeutung beigemessen.

In Deutschland gibt es vergleichbare Erkenntnisse. 2009 wurden die Ergebnisse der ersten repräsentativen wissenschaftlichen Studie in Deutschland über »Kinder in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften« vorgestellt. Sie zeigen, dass sich Kinder schwuler und lesbischer Eltern nicht anders entwickeln als ihre Altersgenossen aus traditionellen Familien.

Sogenannte Regenbogeneltern sind genauso gute Eltern wie heterosexuelle Paare. Das Kindeswohl ist bei ihnen ebenso gewahrt wie in anderen Familien. Die Kinder entwickeln sich positiv, der schulische und berufliche Werdegang ist normal, und es gibt keine erhöhte Neigung zu emotionalen Unsicherheiten. Wenn es Unterschiede in der Entwicklung von Kindern in Regenbogenfamilien zu beobachten gebe, »dann eher in positiver Weise«, heißt es in der Studie. Das bezieht sich u. A. Auf Toleranz und Offenheit.

Trotzdem wird das Adoptionsverbot hierzulande immer noch damit begründet, dass Kinder aus Regenbogenfamilien einer sozialen Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt seien, die zu psychischen Schäden führen könnten.

In der Tat berichtet die Bamberger Studie von Diskriminierungserfahrungen, die befragte Kinder erlebt haben. Hier sind es vor allem gleichaltrige Kinder aus traditionellen Familien, die hänseln, beschimpfen, aus der Clique ausschließen oder Schläge androhen.

Entscheidend sei aber, wie die Kinder damit umgingen. Fast 70 Prozent der Kinder mit Diskriminierungserfahrungen sprechen mit ihren Eltern darüber. Diese Offenheit wirke möglichen negativen Entwicklungen entgegen.

Regenbogenfamilien haben einen entscheidenden Vorteil, schreiben Rachel H. Farr und Samantha L. Tornello in ihrer Studie. Gleichgeschlechtliche Paare müssen auf dem Weg zum Kinderwunsch umfangreiche medizinische und juristische Wege beschreiten, haben sich also ganz bewusst für ihr Kind entschieden. Bei heterosexuellen Paaren dagegen könne ein Kind auch mal versehentlich gezeugt werden.

Mit Spannung wird erwartet, wie der neu aufzurollende Sorgerechtsprozess um die Kinder von Rachelle und Charles Black ausgehen wird. Direkt nach der Entscheidung des Washington Supreme Courts hat Rachelle Black ihr Facebook-Profilfoto geändert. Es zeigt nun den Spruch »LOVE WINS«, wobei das O ein Herz in Regenbogenfarben darstellt.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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