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»It’s A Sin«: Omari Douglas – stolz und schwarz im historischen Kontext

Its a sin

Ich muss vorausschicken: Bislang war die erste Szene von Meryl Streep im Film »Die Verlegerin« die für mich grandioseste Einführung einer Filmfigur – seit »It’s A Sin« ist das aber anders.

Die Familie ist entsetzt und jammert, der Sohn sitzt – wie der Rheinländer sagt – ›bedröppelt‹ am Tisch. Die Entscheidung ist noch nicht verkündet, steht aber bereits fest: Roscoe Babatunde muss zurück nach Nigeria, nach Lagos. Ein Homosexueller in der religiös geprägten Familie? Das geht gar nicht. 

Roscoe steht auf … geht in sein Zimmer … man hört ihn werkeln … und kurze Zeit später hat er seinen unglaublichen Auftritt. Es ist ein Akt des Widerstands, des Aufruhrs, des Abschieds und der Befreiung. Und man ist erleichtert, dass sich dieser junge Mann aus den Fesseln der von der Religion schier besessenen Familie lösen kann.

Und – wow – wie er das zelebriert! Aus dem Häufchen Elend am Familientisch ist ein Wirbelwind geworden, der trotzdem mit beiden Beinen im Leben steht, der sich den Herausforderungen stellt, der Freunde findet, mit ihnen in der WG und draußen in der Subkultur lacht, trauert, tanzt, weint und feiert.

Und doch ist der Verlust der Familie, die ihn verstoßen hat, ein schwerer Schlag für ihn. Um das zu überspielen, jagt er einer Idee nach der anderen hinterher, auch wenn sie nicht immer als richtig oder gut erweisen mag, und beginnt eine Affäre mit einem Tory-Abgeordneten (hinreißend gespielt von Stephen Fry) – bis er feststellt, dass er trotz gegenteiliger Behauptungen doch nur ein Alibi ist …

Beim Interview mit Omari Douglas hat man das Gefühl, Roscoe gegenüberzusitzen, so sehr hat er die Rolle verinnerlicht. Und wenn er spricht, dann sprüht er förmlich vor Begeisterung über die Serie an sich und noch mehr über die Notwendigkeit ihrer Existenz – und nicht nur wegen des HIV-Bezugs. 

Tatsächlich erlaubte erst seine Mitwirkung in der Serie, dass in seiner Familie offen über das Thema Homosexualität und HIV diskutiert werden konnte. Aber ein anderer Punkt ist für ihn von noch größerer Bedeutung, wie er im Interview mit »The Queer Review« offenbarte: »Ich denke, es ist wirklich wichtig, einen stolz schwulen schwarzen Mann in einem historischen Kontext zu sehen.

Ich kann mich nicht erinnern, wann und obwir das in Großbritannien schon einmal gesehen haben«, sagt er. In einer alten BBC-Sitcom gab es wohl mal einen schwarzen schwulen Charakter, aber mit viel weniger Präsenz. So eine Rolle wie Roscoe in »It’s A Sin« gab es noch nie. »Das hat mich sehr beeindruckt und es ist eine schöne Sache, auf die man ein bisschen stolz sein kann.«

Stolz kann Omari Douglas auch auf sein bisheriges Schaffen sein. Aufgewachsen in Wolverhampton, beendete er 2015 sein Schauspielstudium in London mit einem Abschluss in Musiktheater und kann bereits jetzt auf eine beeindruckende Karriere verweisen. Er spielte u. a. in Cole Porters »High Society« und in Emma Rices Adaption von »Wise Guys«, er spielte in »Peter Pan« ebenso wie in »Jesus Christ Superstar«.

2018 übernahm er die Hauptrolle in dem queeren Theaterstück »Rush« von Willi Richards am King’s Head Theatre in Islington. Dieses Stück sollte eigentlich im Juni 2020 im Londoner West End Premiere feiern – aus bekannten Gründen musste die Produktion aber abgesagt werden. Stattdessen führte Douglas das Werk als Lesung gemeinsam mit Rupert Everett im Rahmen der BBC-Reihe »Culture in Quarantine« auf.

© Rakuten TV, Ep1. Roscoe

Eines hat ihn bei »It’s A Sin« sehr bewegt: Die positive Darstellung der Sexualität trotz der Epidemie und der daraus folgenden Stigmatisierung. Blickt man heute auf die 80er zurück, gehen Sexualität, besonders schwule Sexualität, und HIV fast immer Hand in Hand – und man muss konstatieren, dass sich an dieser Einstellung viel zu wenig verändert hat. 

Nach wie vor haftet dem Einen wie dem Anderen der Ruch des Zwielichtigen an. »It’s A Sin« zeigt aber, dass es anders war: »Diese Kids hatten die Zeit ihres Lebens und Sex ist ein Teil ihrer Selbstfindung. Man muss die Freude sehen, die sie dabei hatten, um zu verstehen, warum es für sie umso schockierender und unergründlicher war, als sich diese Sache [HIV] einschlich und man ihnen sagte, dass sie mit dem Sex aufhören sollten. Aber Sex ist einfach eine menschliche Sache. Es ist einfach das, was Menschen tun.«

© Rakuten TV, Ep1. Roscoe with crowd

Ja – Sex ist einfach das, was Menschen tun oder tun möchten. Und auch wenn man den Titel der Serie absichtlich missverstehen möchte: Sexualität ist keine Sünde. Aber der Umgang der Gesellschaft mit Sexualität, mit HIV und HIV-Infizierten – das ist eine Sünde.

Die Medienplattform Rakuten TV zeigt die Mini-Serie ab dem 20. Juni 2021 im Starzplay-Abonnement.

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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