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Im Meer, zwei Jungen.

© Daniel Fleischmann

Im Meer, zwei Jungen – 704 Seiten von Jamie O’Neill.

Um diese Geschichte geht es:
Irland 1915: Allerorts brodeln politische Unruhen. Der 16-jährige Krämersohn Jim freundet sich mit dem Arbeiterjungen Doyler an – und sie verlieben sich ineinander. Täglich treffen sie sich an einem Badefelsen vor Dublin. Dort schließen sie einen Pakt: Doyler soll Jim das Schwimmen beibringen. Denn am nächsten Ostersonntag wollen sie zusammen zu den Felsen der Muglins schwimmen und die irische Fahne hissen. Doch dann werden die beiden Jungen von der Realität eingeholt, und die politischen Konflikte drohen, sie wieder auseinanderzureißen.

O’Neill wurde in Dún Laoghaire geboren, zog später nach England und arbeite dort zehn Jahre lang als Nachtportier, um Im Meer, zwei Jungen schreiben zu können. Er lebt heute in Galyway, Irland.

Auf Amazon kostet das Buch 24,95 Euro. Ich stünde nun vor einer schwierigen Entscheidung; denn spricht mich der Titel des Romans und sein kurzer Inhaltstext zum einen zwar sehr an, so kann ich mir andererseits vorstellen, dass sich solch ein politisch-emotionales Thema auf knapp 700 Seiten nur sehr zäh fließend entwickeln kann, um mich abschließend ermüdet zu enttäuschen. Doch nun half mir eine der Kundenrezensionen bei der Entscheidung enorm – natürlich möchte ich sie euch nicht vorenthalten:

„Wer sich auf die 700 Seiten einlassen möchte, die „Im Meer, zwei Jungen“ konstituieren, sollte Geduld und viel Ausdauer mitbringen. Denn die Handlung zieht sich ein wenig hin angesichts der zahlreichen Figuren, anhand derer O’Neill ein Stück irischer Geschichte einfängt, ihrer Lebensumstände, die er schildert, und ihrer mentalen und seelischen Zustände, an denen er den Leser nur allzu häufig teilhaben läßt. Deutlich spürt man den Einfluß seiner Landsleute Joyce und O’Brien (und vermutlich einiger mehr), welche der Autor sicherlich hochverehrt und die ihm bei der Findung seines eigenen Stils leuchtende Wegweiser gewesen sein müssen. Es bleibt festzuhalten, daß O’Neill sein eigenes Werk, seine eigene Geschichte, trefflich gelungen ist.
Das heißt aber nicht, daß einem das Buch vorbehaltlos gefallen muß. Manch ein Leser mag irgendwann seufzen ob einer aus altem Adel stammenden und entsprechende Umgangsformen, zu denen auch zahlreiche eingestreute französische Phrasen gehören, pflegenden Eveline MacMurrough. Er mag den Kopf schütteln angesichts ihres von Oscar Wilde faszinierten und inspirierten, ja durch ihn seinen eigenen hedonistischen Lebensstil legitimierenden Neffen, für den die meisten jungen (männlichen) Menschen nichts als Lustobjekte sind. Der Leser mag entnervt den Mund verziehen über die biedere Einfalt eines Mr. Mack, der versehentlich und doch vorhersehbar ein Plakat der Royal Army beschädigt. Der Leser mag ein wenig ungeduldig werden über die Schüchternheit eines dauererrötenden Jim Mack, der sich im zweiten Teil im Hinblick auf seine Beziehung zu Doyler viel zu abrupt zum Aktiveren, Forscheren wandelt. Und er mag das Buch nach der Lektüre unzufrieden weglegen, weil das Ende zum einen schludrig und unter Zeitdruck geschrieben scheint und zum anderen so bitter und düster ausfällt. Ein Trost mag die Liebesgeschichte zwischen Jim und Doyler sein, die der Autor in meisterlicher Einfühlung in seine Charaktere zu schildern weiß.
Sehr zu loben ist natürlich die Sprache, im Klappentext ein wenig vorlaut als „eigentlicher Held“ des Romans bezeichnet. Die Sprache kann niemals Held sein, weil sie das Grundmedium jedes Romans ist, worin Helden und Figuren sich erst entfalten können. Dennoch ist sie in diesem Roman mehr als nur Medium: Sie ist Medium von ganz bestimmter Farbe, vermittelt eine Grundschwingung, scheint der Orgelpunkt in der Symphonie der Geschichte. Auch hat sie gerade in den Dialogen mitunter leitmotivische Signalwirkung: „Wohlgemut?“ oder „Bist du geradaus?“ lauten Doylers immer wiederkehrende Fragen, eine falsch aufgeschnappte „Lemancholie“ dagegen gehört zu einem sprachlich völlig unbegabten Mr. Mack. Meisterhaft die Überhöhung jeglicher Kategorien von Sprachniveau und Dialog in der Aufsplittung von Anthony MacMurrough in Hugo, Skrotes, den Kaplan und Nanny Tremble, jeweils charakterisiert durch ihre individuelle Sprechweise. Ein wenig anstrengend dagegen muten die vielen Wechsel zwischen direkter und indirekter Rede an, und auch die fehlende Kennzeichnung von Gedanken, die bestimmte Figuren haben und denen wiederum übergangslos Erzählerkommentare folgen, schaffen teilweise Verwirrung.
Daß Hans-Christian Oeser mit der deutschen Übersetzung Großes geleistet hat, bedarf gar nicht erst der Erwähnung; dennoch gibt es mitunter Stellen, welche entweder Zitate sind und ohne Kenntnis der entsprechenden Quellen daher unverständlich bleiben oder aber für den deutschen Leser einer Erläuterung bedurft hätten. Auch verlangen manche gedanklichen Schlüsse, die der Leser ziehen muß, etwas zuviel Aufmerksamkeit ab, als daß man noch von einem angenehmen Leseerlebnis sprechen könnte.
Abschließend sei bemerkt, daß der Roman trotz dieser von mir kritisierten Punkte ein Meisterwerk ist – und man daher nicht verstehen kann, weshalb der Verlag (Luchterhand / Random House) so wenig in die Werbung investiert (die Übersetzung mußte gar vom Ireland Literature Exchange, Dublin, gesponsert werden) und nun hier bei Amazon haufenweise Mängelexemplare zu Schleuderpreisen verramscht werden. Eine Schande, die dieses grandiose Buch nun wirklich nicht verdient hat.“ (ein Kunde auf Amazon)

Das sitzt! Mit solcher Kritik kann man als unentschiedene Leseratte etwas anfangen. Diese Bewertung macht einfach neugierig!
Ich selbst werde euch gern über mein Erleben mit dem Buch berichten, sobald ich damit fertig bin. In diesem Sinne wünsche ich euch – sofern ihr nun genauso interessiert seid wie ich – eine spannende Reise durch jene Welt, die O’Neill uns mit seinem Schriftgut erschaffen hat.

Nicht Worte sollen wir lesen, sondern den Menschen, den wir hinter den Worten fühlen.
– Samuel Butler

 

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