in

Hervé Guibert – ein schwuler Radikalliterat

herve guibert
screenshot youtube

Im kommenden Jahr wäre der Mann 60 geworden, doch ist er schon am 27. Dezember 1991 an Aids verstorben: Hervé Guibert. Nun wird er durch einen neuen Bildband geehrt. Auch der zwischenzeitlich vergriffene Guibert-Film „La Pudeur ou l’Impudeur“ ist wieder erhältlich.

Das Motto des Hervé Guibert : „Tout dire!“

Wer eine französische Buchhandlung betritt, kommt auch fast dreiundzwanzig Jahre nach Hervé Guiberts Tod an ihm nicht vorbei. Er ist nach wie vor eine Ikone, dies nicht nur bei literaturbegeisterten Franzosen, sondern auch bei vielen in der LGBT-Community. Vierzig Bücher hat der homosexuelle Guibert geschrieben, bis er an den Folgen von Aids starb.

Sie liegen weltweit in sechsundzwanzig Übersetzungen vor. „Tout dire!“ war Guiberts Motto. Alles sagen, und selbst in den Tod ging Guibert, der nur 36 Jahre alt wurde, nicht ohne radikalen Aplomb. So war er der erste prominente Autor, der die Verlogenheit der Gesellschaft im Umgang mit HIV und Aids öffentlich anklagte. Dabei etwa warf er der Pharmaindustrie vor, aus Profitgier heraus gar kein Interesse an der Entwicklung eines Medikaments gegen HIV/Aids zu haben.

Alles dies tat der engste Weggefährte des 1984 ebenfalls an Aids verstorbenen Philosophen Michel Foucault mithilfe seiner öffentlichen Wirkung sowie seiner Radikalliteratur. Wobei „Dem Freund der mir das Leben nicht gerettet hat“ sowie der Nachfolgeband „Mitleidsprotokoll“ – in Deutschland erschienen beide Bücher im Rowohlt-Verlag – einer besonderen Erwähnung bedürfen (leider vergriffen und nur noch in Antiquariaten erhältlich – die Red.).

Guibert: Freund und Schüler von Michel Foucault

Dass Guibert, wenn es ihm um die Wahrheit ging, auch vor seinen Freunden nicht halt machte, zeigen gerade diese beiden Bücher. Diese wurden auf französisch jetzt neu beim französischen Verlag „Gallimard“ verlegt. Hinter „Marine“, die angeblich HIV-positiv ist, steckt offensichtlich die weltberühmte Schauspielerin Isabelle Adjani („Bartholomäusnacht“). Wobei erwähnt werden muss, dass Guibert es hier mit der Wahrheit nicht so genau nahm.

Eine weitere Hauptperson ist „Muzil“, und darin wiederum ist Michel Foucault unschwer zu erkennen. Die Brisanz darin: Foucault gilt bis heute als Säulenheiliger der Franzosen, und noch immer reagiert man arg verschnupft auf Guiberts schonungslose Beschreibung vom Philosophen als sexgieriger SM-Anhänger, der dem nahenden Tod „mit herrischem Gleichmut“ entgegengesehen habe.

Was Guibert-Kritiker damals wie heute unverständlicherweise unter die Decke zu kehren versuchen:

Es war Foucault, der in seinen Vorlesungen von der „Tugend der Wahrheit“ und von der „parrhesia“, der Notwendigkeit einer vollkommenen Redefreiheit also, gesprochen hatte.

Guiberts Literatur zeigt:

Er war nicht nur dessen engster Freund, sondern mit seinem Mantra „Tout dire!“ auch ein gelehriger Schüler Foucaults. Wieder erhältlich ist nun auch Guiberts zwischenzeitlich vergriffener Film „La Pudeur ou l’Impudeur“ – Scham oder Schamlosigkeit. Hierin dokumentiert Hervé Guibert schockierend offen sein eigenes Leiden.

Es ist nicht einfach, sich dies anzuschauen. Doch der Film ist die logische Konsequenz seiner Sichtweise, wonach die eigene Existenz ein künstlerisches Projekt sein kann. Das DVD-Cover zeigt in mortifizierendem Schwarz-Weiß das engelgleich-schöne Antlitz Guiberts, was sich beim Betrachten seines Verfallprozesses in dem Film kaum mehr nachvollziehen lässt. Diese Imagination wiederum gewährt ein neuer Bildband, der im Verlag „Schirmer/Mosel“ mit bisher unveröffentlichten Fotos Guibert erschienen ist.

Filmtipp: „La Pudeur ou l’Impudeur“, DVD, erhältlich in den schwulen Buchläden (z. B. „Eisenherz“ in Berlin), 62 Minuten, mit Bonusmaterial. 27,99 Euro.

Buchtipp: Hervé Guibert: „Photographien“. Mit einem Text von Jean-Baptiste del Amo. Schirmer/Mosel. 39,90 Euro.

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

Homophobie in Afrika ufert aus

Feuerzauber Gays and Friends