in

Europäischer Gerichtshof präzisiert das Asylrecht für Homosexuelle

Sitzungssaal
Sitzungssaal des EuGH

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) präsiziert bestehende Möglichkeiten in der Frage, ob und wann verfolgte Homosexuelle (automatisch) ein Recht auf Asyl haben.
Dazu gehört, dass der EuGH definiert, wann Homosexuelle überhaupt unter die Kategorie „Flüchtling“ fallen. So können Mitglieder der LGBT-Community dann einen Asylantrag stellen, wenn sie nachweisen können, dass sie in ihrem Land verfolgt werden und dabei um ihr leibliches Wohl oder gar um ihr Leben fürchten müssen. Wie im Fall des Russen Pawel, dem man in Deutschland Asyl gewährt hat (queerpride.de berichtete). Der EuGH antwortet auch Kritikern, die meinen, eine sexuelle Ausrichtung könne nichts mit (politischen) Flüchtlingen zu tun haben. Als Flüchtling gilt insgesamt ein Mensch, „der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (…).“ In einem Grundsatzurteil führen die europäischen Richter aus, dass immer dann, wenn ein bestimmtes Land gegen Teile der EU-Grundrechtscharta verstößt, automatisch ein zu prüfender Asylgrund vorliegt. Das gilt nicht nur in dem Falle, wo Menschen Asyl bekamen, weil sie in ihrem Herkunftsland aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt wurden (Artikel 10 Absatz 1 der EU-Grundrechtscharta – die Red.), sondern vom Grundsatz her auch im Falle der Verfolgung aufgrund vorhandener sexueller Neigungen. Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, dass – siehe oben – in der Flüchtlingsdefinition der Hinweis auf eine sexuelle Zugehörigkeit sichtbar fehlt. Somit werden die europäischen Richter in jedem Einzelfall zu prüfen haben, ob der asylsuchende Homosexuelle „zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ gehört. Ist sie/er in einer Homosexuellenvereinigung tätig und wird deshalb verfolgt, solche Fälle hat es im Iran oder in afrikanischen Staaten gegeben, dürfte die Asyl-Entscheidung leichter zu fällen sein. Was aber ist mit der homosexuellen Frau oder dem homosexuellen Mann, die/der keiner LGBT-Organisation angehört, sich aber in einem homophoben Klima insgesamt nicht mehr sicher fühlt? Bei Menschen, die aus einem Land geflüchtet sind, in dem Homosexualität mit Gefängnisstrafen oder gar der Todesstrafe geahndet wird, im Iran etwa, Jemen, Mauretanien, Saudi-Arabien oder Sudan, wäre das unproblematisch. Bei allen anderen könnte ein wohlwollend gesinnter Entscheider sich ebenfalls auf den EuGH berufen, der im Falle einer Verfolgung wegen Religionsangehörigkeit geurteilt hat, dass man von der betroffenen Person nicht verlangen kann, einer Verfolgung bzw. Verurteilung dadurch entgehen zu können, in dem man zu seiner Religiösität öffentlich nicht steht beziehungsweise diese nicht auslebt, zum Beispiel durch den Kirchgang. So hatte es in einem bestimmten Fall ein deutsches Gericht entschieden, ein Urteil, das aufgehoben werden musste. Auch Homosexuellen, so der EuGH, sei ein Verleugnen, in diesem Fall ihrer sexuellen Neigung, nicht zuzumuten.

Wer mehr Informationen haben möchte, kann diese in den diesem Beitrag zugrundeliegenden Gesetzen bzw. Urteilen finden, etwa in der Rechtssache C-71/11 und C-99/11 des EuGH beziehungsweise im EU-Amtsblatt 2012, C 326, Seite 391ff.

Bild: © Stefan64 /CC-BY-SA 2.0 (via Wikimedia Commons)

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

Internationaler Transgender Day of Remembrance

USA: Kein Trinkgeld für angebliche Lesbe