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Berlin: CDU-MdA rufen zum Verfassungsbruch auf

Berliner Direktkandidaten Abgeordnetenhaus
© Beek100 /CC-BY-SA 3.0 (Wikimedia Commons)

Kennen 17 Mitglieder der CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses die Landesverfassung nicht oder ist das der verzweifelte Versuch, die drohende gesellschaftliche Niederlage durch einen bewussten Verfassungsbruch noch abzuwenden?

In einem Offenen Brief an die Berliner CDU-Mitglieder, die ab kommenden Freitag über ihre Haltung zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften in fünf Abstufungen Auskunft geben sollen, postulieren die Fraktionsmitglieder, dass »dort, wo von Natur aus ein Restbestand an Ungleichbehandlung geboten ist […] dies auch im Recht berücksichtigt werden« muss. Die Abgeordneten beziehen sich damit auf das traditionelle Eheverständnis des CDU, das im 2007 verabschiedeten Grundsatzprogramm der Bundespartei »ausdrücklich klargestellt [hat], dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann«. Ziel ist die Ablehnung der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften durch die Parteibasis. Artikel 10 (2) der Berliner Landesverfassung sieht dagegen vor, dass niemand »wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden« darf. Der Aufruf zur Ablehnung der Eheöffnung steht damit nicht nur im klaren Widerspruch zur Berliner Landesverfassung, sondern fordert über 12.000 Berliner Bürgerinnen und Bürger – die Mitglieder des Landesverbandes – zur Billigung des Verfassungsbruches auf. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften stellt keine Bevorzugung im Sinne des Art. 10 (2) BerlLV dar, sondern erfüllt lediglich die Voraussetzungen des GG und der Landesverfassungen, in denen alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Die Ablehnung der Eheöffnung hingegen ist die absichtliche Ungleichstellung einer Bevölkerungsgruppe vor dem Gesetz.

Weiterhin behaupten die Mitglieder der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses Berlin fälschlicherweise, dass in Art. 6 GG die Ehe zwischen Mann und Frau als schützenswert definiert sein. Tatsächlich sind dort »Ehe und Familie« als schützenswert definiert – und das mit Recht. Aber: Wie sich eine Ehe oder Familie zusammensetzt, wird weder dort noch in anderen Gesetzen festgelegt. Zudem: Der Mikrozensus 2013 hat festgestellt, dass nur noch 70% der Eltern verheiratet sind; 30% der Eltern sind alleinerziehend bzw. leben in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder Regenbogenfamilien. Weiterhin hat das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg in der Pressmitteilung 96 vom 11. April 2014 festgestellt, dass 2013 in Berlin 6.628 Ehepaare geschieden wurden; in 44% der Scheidungspaare waren Kinder vorhanden – in 13 Fällen sogar fünf Kinder und mehr. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die von der CDU hochgehaltene »Papa-Mama-Kind«-Familie sicherlich auch weiterhin das theoretische Ideal ist, aber die Realität nicht (mehr) annähernd widerspiegelt.

Die Mitglieder der CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses argumentieren also nicht nur bewusst mit falschen Behauptungen, sondern fordern entgegen ihrer Stellung als Abgeordnete eines deutschen Landesparlamentes zum absichtlichen Verfassungsbruch auf. Zudem missachten sie die Mehrheit von 73% der Berlinerinnen und Berliner, die sich lt. einer jüngst durchgeführten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Berliner Zeitung für eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften – im Volksmund »Homo-Ehe« genannt – ausgesprochen haben.

Der Offene Brief der CDU-MdA im Wortlaut als PDF

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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