Wird das Schicksal von LGBTI-Flüchtlingen in Deutschland nur von Szenemedien wahrgenommen? Zu dem medialen Umgang mit dem Thema lesbische und schwule Flüchtlinge hat sich Sebastian Ahlefeld, LGBTI-politischer Ansprechpartner der Berliner FDP und ehemaliger Mitarbeiter des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks Gedanken gemacht. Er sagt: „Wenn ich in meinem politischen Umfeld darüber rede, dass es nicht nur verfolgte Christen gibt, die vor IS und Diktaturen flüchten, sondern viele homosexuelle und transsexuelle Menschen, dann sind meine Gesprächspartner überrascht.“ Ein Meinungsbeitrag.
Von Sebastian Ahlefeld
Schwule Opfer gibt es nicht!
Wer kennt das nicht? Wenn am Abend das Fernsehen angeschaltet wird und die Nachrichten den Tag widergeben, dass man das Gefühl hat dies schon gestern gesehen zu haben. Nein, es ist kein Déjá-vu! Es ist der tägliche Nachrichtenablauf den wir seit vielen Monaten sehen dürfen. Bilder von Flüchtlingen auf der Balkanroute, im Zug und vor dem Berliner Lageso, danach Kommentare zu Bundeskanzlerin Merkels „Wir schaffen das“ bis hin zum Stammestischgeschwätz von Horst Seehofer und dem Zynismus vom Bundesinnenminister der damit sein politisches Versagen übertüncht.
Was wir aber nicht mehr sehen, sind die Bilder die zeigen warum die Menschen flüchten, warum sie ihre Heimat verlasen müssen. Ich habe das Gefühl, dass deshalb so viele Menschen zu den Demos von Pegida und Co. gehen, weil sie diese Bilder vergessen haben.
Dabei gibt es diese Bilder weiterhin, denn das tägliche Morden und das Verfolgen von Menschen besteht weiterhin. IS, Al Qaida und Boko Haram gibt es weiterhin und sie verüben weiterhin ihr schrecklichen Taten. Und seit dem 13.11.2015 hat uns dieser Terror eingeholt und ist nicht mehr so fern.
Bilder von Tod, Vergewaltigung und Unterdrückung
Wer immer wieder die Ursachen von Flucht und Vertreibung vor Augen hat, kann die aktuelle Situation besser verstehen. Hier besteht eine zentrale Aufgabe der Massenmedien. Sie müssen das was so fern ist in die deutschen Wohnzimmer bringen. Sie müssen das Unfassbare fassbar machen. Es hört sich in erster Linie radikal an und man möge meinen, dass ich mir Bilder von Tod, Vergewaltigung und Unterdrückung wünsche. Nein, dass wünsche ich mir nicht. Denn ich wünsche mir, dass so etwas nirgends auf der Welt passiert. Kein zivilisierter Mensch will solche Bilder sehen, aber sie sind da.
Wir erinnern uns an den kleinen Jungen, der an der türkischen Küste lag. Ein Bild, das um die Welt ging und sogar Regierungen zum Umdenken bewegt hat. Die Macht der Bilder aus der Ferne kann unsere Gedanken und unser Handeln beeinflussen. Und das sollen sie auch!
Schauen wir mal an den Anfang des Jahres 2015, denn da gab es diese Bilder. Wie verfolgte Christen sich in den Bergen versteckt haben, wie Menschen in einer syrischen Stadt eingekesselt waren und hofften, dass die Mauern halten. Familien, die in Bauruinen Schutz suchten und auf Hilfe warteten. Bis zu ermordeten Männern, Frauen und Kindern.
Eine Minderheit unter den Minderheiten
Nur leider habe ich immer wieder die Bilder und Berichte vermisst, die man nur in Spartenmedien sieht. Den privaten Sendern kann ich nicht vorschreiben was sie zu senden haben und was nicht, denn nicht sie werden von Zwangebühren bezahlt und nicht mit ihnen haben die Volksvertreter einen Vertrag gemacht. Warum berichten ARD, ZDF und Co. nicht darüber, dass in Syrien und Irak schwule Männer gefesselt von Hochhäusern gestoßen und in Afrika auf Marktplätze in Brand gesteckt werden. Weil diese Gruppen zu klein sind?
Weil sie eine Minderheit unter den Minderheiten sind? Oder wollen Lobbyisten nicht, dass über diese Gruppe berichtet wird um selber mehr im Mittelpunkt zu stehen? Was geht in den Chefredaktionen vor, dass man LGBTI- Themen vermeiden will und lieber schweigt?
Die Aufgabe des Fernsehen ist es, ein gesamtes Bild wiederzugeben und somit müssen alle verfolgten Gruppe die gleiche mediale Aufmerksamkeit bekommen. Dabei ist die vergessene Minderheit die wohl größte Minderheit auf der Welt, die um ihre Leib und Leben bangen muss.
Zweifel, ob Fernsehredaktionen wirklich tolerant sind
LGBTI’s müssen in ca. 13 Ländern mit der Todesstrafe rechnen und in ca. 30 Ländern mit hohen Gefängnisstrafen. In zahlreichen Ländern ist Homosexualität und Transsexualität nicht strafbar, aber es besteht eine große Gewaltbereitschaft aus der Gesellschaft heraus, mit der Tolerierung des Staates.
Warum wollen die TV- Sender die Bilder und Berichte von schwulen Männern die mitten auf dem Dorfplatz in Afrika aufgehängt werden oder von IS- Mörder die Augen verbunden um sie dann vom Hochhaus zu werfen, nicht gezeigt, nicht thematisieren? Diese Bilder und Taten gibt es, sie kommen fast täglich vor. Dies lässt mich zweifeln, ob die Chefredaktionen von ARD und ZDF wirklich so tolerant sind, wie sie es behaupten. Zurecht klagen einige LGBTI- Verbände den mangelnden Anteil an LGBTI- Themen.
„Du und deine Homo-Themen!“
In meiner Zeit beim Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk war es immer schwer, Themen dieser Art „durchzubekommen“. Einmal meinte eine Kollegin bei der Themenbesprechung „Du und deine Homo-Themen“. In meiner Bachelorarbeit habe ich Journalisten dazu gefragt, was in den deutschen Nachrichten- und Informationsmedien zu wenig thematisiert wird. Die Mehrheit antwortete, dass LGBTI- Themen zu wenig im Programm sind.
Die meisten Journalisten sind neugierig und offen für LGBTI- Themen, aber anscheint sind die Chefredaktionen noch nicht so weit oder die Senderpolitik gibt dies nicht her. Dabei ist ARD und ZDF mit dem Rundfunkstaatsvertrag verpflichtet auf Minderheiten einzugehen. Tausende LGBTI’s sind auf der Flucht, nicht nur vor IS oder Boko Haram sondern auch vor den eigenen Regierungen und vor der eigenen Gesellschaft.
Deutsche Mehrheit kennt diese Schicksale nicht
Wir, die auf Queer-Medien unterwegs sind, erfahren von diesen Taten und kennen die Schicksale, aber die deutsche Mehrheit kennt diese Schicksale nicht. Es fehlen die Bilder, es fehlen die Berichte.
Wenn ich in meinem politischen Umfeld darüber rede, dass es nicht nur verfolgte Christen gibt, die vor IS und Diktaturen flüchten, sondern viele homosexuelle und transsexuelle Menschen, dann sind meine Gesprächspartner überrascht. Meist kommt ein „Davon habe ich noch nichts gehört“ Und da ist es wieder: Was in den Massenmedien nicht vorkommt, das gibt es auch nicht!
LGBTI- Flüchtlinge in Deutschland
Ein weiteres Thema was nicht in den Medien vorkommt, ist die Situation der LGBTI- Flüchtlinge in Deutschland. Denn ihr Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung ist mit erreichen der Deutschen Grenze nicht beendet. In den Flüchtlingsaufnahmestellen und Massenunterkünften geht ihr Kampf weiter. Sie müssen weiter ihre Identität verbergen, sie müssen weiter damit rechnen verbal und körperlich Angegriffen zu werden, bis hin zu schweren Misshandlungen.
In den letzten Wochen wird immer wieder darüber debattiert, ob Drittländer zu sicheren Herkunftsländer um kategorisieren werden. So zum Beispiel die Türkei. Hier ist Homosexualität und Transsexualität nicht strafbar, aber in vielen Teilen der Gesellschaft geächtet. Zwangshochzeit, Gewalt und Ehrenmord sind die drohenden Gefängnisgitter die ein schwuler Mann oder eine lesbische Frau umgibt. Der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte Marcus Löning hat einmal gesagt, dass es in Deutschland zwei Gruppen gibt die noch diskriminiert werden. Das eine sind Migranten und das andere sind Homosexuelle/ Transsexuelle.
Es stimmt mich traurig an dem Gedanken, dass ich zu der größten Minderheit auf unserer Erde gehöre, die am wenigsten frei und in Selbstbestimmung leben kann, die in den meisten Ländern diskriminiert und verfolgt wird. Die von den ach so toleranten Medien vergessen oder ignoriert wird. Es stimmt mich stolz, dass es in dieser Minderheit viele Menschen gibt die sich täglich für unsere Freiheit und Selbstbestimmung engagieren und den Kampf gegen Homophobie und Ausgrenzung nicht aufgeben werden. Danke dafür!