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§175: Der lange Weg zur Entschädigung der Opfer

Entschädigung Opfer

Über 20 Jahre nach der Abschaffung des §175 kommt es nun zu einem Entschädigungsgesetz für die Opfer. Sebastian Ahlefeld, Redaktionsleiter und Moderator bei Radio QueerLive und einer der bekanntesten LGBTI-Politiker der FDP beleuchtet in einem Gastartikel den langen Weg dazu. Der Beitrag war zuerst auf Radio QueerLive zu hören.

Am 27. Mai 2008 wurde im Berliner Tiergarten das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und getöteten Homosexuellen eingeweiht.

Dieses Denkmal erinnert auch an die Opfer des Paragraphen 175 StGB nach 1945 in Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik.

Nun treffen sich Jahr für Jahr die Parteien um dort ihre Gedenkkränze niederzulegen. Je nach Wetterlage sind mal mehr, mal weniger Teilnehmer bei der Gedenkfeier dabei. Einheitlich bedauert man das Unrecht, was den Opfern angetan wurde. Und ja, den Meisten kann man es auch abnehmen, da sie keine persönliche Schuld daran tragen.
Dennoch haben alle Parteien an diesem Unrecht mitgewirkt. Sie haben sowohl Jahrelang die Abschaffung, als auch die Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer des § 175 verschoben.
Der §175 ist 1872 im deutschen Kaiserreich eingeführt, 1935 von den Nationalsozialisten verschärft und nach 1945 von der Adenauer-Regierung so übernommen wurden. Mit dem Einheitsvertrag wurde der §175 endgültig gestrichen. Der sogenannte Schwulen-Paragraph verbot die einvernehmliche homosexuelle Liebe zwischen zwei erwachsenen Männern. Nach 1945 wurden über 100.000 Männer strafrechtlich verfolgt und ca. 68.000 Männer wurden verurteilt. Heute leben noch ca. 5000 Betroffene.
23 Jahre nach der Streichung des Gesetztes hat der Koalitionsausschuss von CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der Opfer beschlossen. Dieser soll noch vor der Sommerpause im Deutschen Bundestag mit den Stimmen aller Parteien verabschiedet werden. Dieses Gesetz beinhaltet die Streichung der Urteile, sowie eine Einmalzahlung von 3.000€ pro aufgehobenem Urteil und 1.500€ pro angefangenem Jahre Freiheitsentzug.
So symbolisch wie die Entschädigung daherkommt, so symbolisch ist es auch dass der Gesetzentwurf von Seiten der CDU/CSU und der SPD kommen musste.
Die CDU und CSU waren es, die den §175 in verschärfter Form von den Nationalsozialisten übernommen haben und jede Initiativen zur Streichung verhindert und sich gegen die Rehabilitierung gestellt haben.
Die Debatte zur Streichung des §175 ist einer der ältesten Debatten in der LSBTI-Politik in der jungen Bundesrepublik. Aus dieser Debatte heraus, hat in den 80er Jahren der CSU-Politiker Franz Joseph Strauss den Satz geprägt „Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder“. Wo die CDU/ CSU heute noch mit homophober und transphober Politik ihre Stammtischwähler begeistern können, hat die SPD sich in den letzten Jahren dem 21. Jahrhundert zugewandt.
Aber auch die SPD hat ihr Kreuz der Scharm gegenüber den Opfern zu tragen. Der SPD-Altkanzler Helmut Schmidt hat als Innensenator und späterer Bürgermeister von Hamburg regelmäßig Polizei-Razzien in Parks, Klappen, und Hinterhof-Bars durchführen lassen. Als die FDP 1980 in ihrem Wahlprogramm zum ersten Mal die Abschaffung des §175 gefordert haben, entgegnete Schmidt „Ich bin doch kein Kanzler der Schwulen“.
Als 1985 Bündnis90/Die Grünen einen Antrag zur Streichung des §175 eingereicht haben, wurde dieser mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der FDP abgelehnt. Am 19.4.1993 gab es einen weiteren Versuch, der auch hier auf Drängen des Bundeskanzlers Helmut Schmidt nicht zur Abstimmung gekommen ist. Der §175 ist erst ein Jahr später und weiteren Verurteilungen von homosexuellen Männern endgültig gestrichen wurden.
Auch wenn die Grünen schon 1985 als Oppositionspartei einen Antrag zur Streichung eingebracht haben und 1993 massiv gegen die Überweisung des Antrages in dem Fachausschuss protestiert haben, haben auch sie in Regierungsverantwortung nichts getan und sich vom Koalitionspartner SPD treiben lassen.
Die Linke rühmt sich immer wieder, dass die Deutsche Demokratische Republik (DDR) auch in dieser Sache der Heilige Gral war. Tatsächlich gab es in der DDR „nur“ ca. 1000 bis 3000 Verurteilungen und ab Ende der 50er Jahre wurden homosexuelle Handlungen zwischen zwei Männern kaum noch geahndet. 1987 wurde im DDR- Strafgesetzbuch festgelegt, dass es rechtlich keinen Unterschied zwischen heterosexuellen und homosexuellen Handlungen gibt. Was die Linke, die der politische Erbe der SED ist, gerne verschweigt, sind die vielen Männer die auf Grund ihrer Homosexualität ihren Studienplatz, die Ausbildungsstelle oder den Arbeitsplatz verloren haben. Somit ist die Dunkelziffer der Betroffenen höher als die 3000 offiziellen Opfer von Homofeindlichkeit in der DDR.

Höhere Entschädigung für die Opfer gefordert

Seitdem der Gesetzentwurf bekannt ist, ist es schon fast wie auf einem Basar. Wo sich CDU/CSU und SPD gegenseitig mit Weihrauch beräuchern, begrüßen die Grünen den Entwurf – fordern jedoch eine Nachbesserung. „Auch im Falle einer Einstellung eines Verfahrens oder bei einem Freispruch haben Betroffene oft ihr bürgerliches Leben, Wohnung, Beruf und sozialen Status verloren. Entsprechend müssten auch Berufs- und Rentenschäden berücksichtigt werden. Bislang bleiben diese aber leider außen vor.“ – so der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck.
Die Linke fordern eine Individualentschädigung von 9.125 Euro und die Einführung einer Opferrente für alle, auch für diejenigen Betroffenen,  die nicht in Haft waren, aber durch die Strafverfolgung beruflichen Schaden erlitten haben. Die FDP, die zurzeit nicht im Bundestag ist, ist sich noch uneins.

Aus dem Landesverband Berlin kommen gleich zwei Vorschläge. Ein Antrag aus der Parteibasis sieht eine höhere Haftentschädigung durch einen Tagessatz von 25€ vor, also 9.125€ pro Jahr, sowie eine Opferrente für alle Geschädigten und die Bildung eines zivilgesellschaftlichen Beirates. Unter der Fraktionsführung gibt es einen zweiten Antrag. Dieser befürwortet die im Gesetzentwurf angegeben Höhe der Einmalzahlung, jedoch will man den Antragsteller die Wahlfreiheit geben – statt einer Einmalzahlung eine Rentenangleichung zu bekommen. Dies bedeutet aber mehr Bürokratie durch eine Nachweispflicht, um die Rente neu berechnen zu können.
Jeder kann sich einmal selber die Frage stellen, ob man mit 80 Jahren noch den Willen hat und vor allem in der Lage ist, einen Nachweis zu erbringen, der bestätigt, was man vor 60 Jahren verdient hätte, wenn man nicht im Gefängnis gewesen wäre.
Der Gesetzentwurf der Großen Koalition bleibt symbolisch, denn das angetane Unrecht kann man damit nicht gut machen und für viele Betroffenen kommt es zu spät.
Der nächste Termin an dem die Politiker medienwirksam gedenken können, wäre der 17. Mai. Am internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie werden erneut die Kränze am Mahnmal im Tiergarten niedergelegt und das erlittene Unrecht bedauert.
Das es endlich zu einem ersten Schritt der Entschädigung gekommen ist, ist nicht den Parteien zu verdanken, sondern den zahlreichen LSBTI- Aktivistinnen und Aktivisten, den wenigen LSBTI- Politikern, den Verbänden und den Stiftungen. Denn sie haben täglich auf dieses erste wichtige Ziel hingearbeitet.

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