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PROUD to prevent HIV

AIDS Schleife HIV
© Sham Hardy /CC-BY-SA 2.0 (via Flickr Commons)

Auf der CROI (Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections) im Frühjahr 2015 in Seattle wurde sie einem Fachpublikum präsentiert – nun wurde sie veröffentlicht: die englische PROUD-Studie, die sich mit der Wirksamkeit der Prä-Expositionsprophylaxe, kurz PrEP, bei HIV befasst. Mit PrEP bezeichnet man die Möglichkeit, als HIV-Negativer pro-aktiv Medikamente zu nehmen (in diesem Falle Truvada®), um eine HIV-Infektion beim ungeschützten Sex mit einem positiven Partner zu verhindern. An der Studie beteiligten sich 545 Probanden; 276 Teilnehmer begannen sofort mit der PrEP, 269 begannen die Behandlung mit einer Verzögerung von zwölf Monaten. Das Sexualleben und -verhalten blieb in der gesamten Zeit unverändert. In der ersten Gruppe wurden im Beobachtungszeitraum drei Neuinfektionen festgestellt, in der zweiten dagegen 19. Insgesamt zeigen die Ergebnisse eine Risikoreduktion um 86% – und den deutlichen Vorteil des frühen PrEP-Starts zur Verhinderung von Neuinfektionen. Allerdings – und das darf man nicht verschweigen – gab es eine hohe Fallzahl anderer STIs, da bei ungeschütztem Sex eben nicht nur HIV übertragen werden kann.

Prävention oder Behandlung?

Im Zusammenhang mit der PrEP wurde bei der darauf folgenden Welt-Aids-Konferenz in Melbourne im vergangenen Juli die provokative Frage gestellt, warum man überhaupt noch Schutzmaßnahmen ergreifen müsse, wenn HIV mit Zwangstests und der folgenden antiretroviralen Kombinationstherapie unter Kontrolle zu bekommen sei. Die Frage war natürlich rhetorisch gemeint; Schutzmaßnahmen sind die weitaus einfachere Lösung. Allerdings gehen nach wie vor die Meinungen auseinander, was die Bevorzugung der PrEP gegenüber anderen Schutzmaßnahmen betrifft. Schließlich gibt es noch das gute alte Kondom; und vor gar nicht langer Zeit überschlugen sich die Meldungen, dass die antiretrovirale Therapie (ART) sogar noch einen »Tick« sicherer sei als die Verwendung eines Präservativs (96% zu 95%). Als Argumente gegen die PrEP werden die hohen Kosten angeführt: Bei täglicher Einnahme werden etwa € 800/Monat fällig. Darüberhinaus befürchtet man Verständnisprobleme, wenn die gleichen Medikamente, die der Behandlung einer existenten HIV-Infektion dienen, nun auch vor ihr schützen sollen. Und auch die Ethik kommt nicht zu kurz: PrEP statt Kondome sei eine »Luxuslösung«; die zur PrEP benötigten Medikamente sollten lieber den Ländern zur Verfügung gestellt werden, die bislang noch beschränkten Zugang zur ART haben.

Eine neue Situation

Mit der PrEP verändern sich die Spielregeln speziell innerhalb der MSM-Gruppe, also der Männer, die Sex mit Männern haben. Auf der einen Seite sinkt das Infektionsrisiko signifikant – die genannten 86% sprechen eine deutliche Sprache – , auf der andern Seite steht die Befürchtung einer »Normalisierung« im Umgang mit einem zumindest noch theoretisch vorhandenen Infektionsrisiko, von den anderen STIs mal ganz abgesehen. Und was passiert, wenn’s doch passiert? Sind dann Resistenzen gegenüber Truvada® zu befürchten? Es sind noch viele Fragen zu klären, aber eins steht fest: Die PrEP ist auch bei Abwägung aller Für- und Wider-Positionen ein weiterer Schritt auf dem Weg zum unaufgeregten Umgang mit HIV. Und damit auch ein wichtiger Mosaikstein in der Bekämpfung von Diskriminierung und Stigmatisierung. Und – nicht zuletzt – dürfte eine PrEP auch für die Krankenkassen auf lange Sicht günstiger sein als die antiretrovirale Therapie.

Vorreiter USA

In den USA ist die PrEP bereits seit 2012 verfügbar, einige Krankenkassen bezahlen sie sogar. Mit der offiziellen Zulassung durch die FDA (Food and Drug Authority) wurde das bis dahin ausgeübte illegale Spiel mit der Prophylaxe beendet. Noch vor wenigen Jahren kursierte der sogenannte »MTV-Cocktail« in der Szene. Mit einer Kombination von Methamphetaminen, Truvada® und Viagra® machten sich vor allem in den Großstädten schwule Männer auf den Weg ins geile Wochenende. Die US-Zulassung rief in Europa zunächst Kritiker auf den Plan; diverse Studien wie die nun vorgestellte PROUD-Studie belegen aber die Wirksamkeit.

Schutz mit klarem Kopf

Eins spricht natürlich beim direkten Vergleich zwischen PrEP und Kondom für die medikamentöse Lösung: Im Moment der absoluten Lust kann man leicht vergessen, das schützende Gummi zu benutzen; die Tablette hat man aber schon lange davor eingenommen. Und im Gegensatz zur antiretroviralen Therapie kann man die PrEP jederzeit gefahrlos unterbrechen, z. B. wenn – aus welchen Gründen auch immer – eine Zeit ohne sexuelle Kontakte bevorsteht. Das spart nebenbei auch Kosten.

Egal, für welche Form des Schutzes man sich entscheidet: Wichtig ist, dass die Sexualpartner vorurteilsfrei und vorbehaltlos miteinander kommunizieren. Letztlich gilt nach wie vor das Prinzip der geteilten Verantwortung; jeder ist für seine eigene Gesundheit selbst verantwortlich. Diese Verantwortung kann und sollte niemand delegieren. Auch nicht an Medikamente.

Bild: © Sham Hardy /CC-BY-SA 2.0 (via Flickr Commons).

Written by Matthias Gerschwitz

Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt, ist seit 1992 in Berlin mit einer Werbeagentur selbständig. Seit 2006 schreibt er Bücher zu verschiedenen Themen (»Ich erzähle gerne Geschichte anhand von Geschichten«); vorrangig wurde er aber mit seinen Büchern über HIV (»Endlich mal was Positives«) bekannt. Matthias hat schon in der Vergangenheit gelegentlich und aus aktuellem Anlass Artikel für Queerpride verfasst. Anfang 2015 ist er fest zum »netzdenker«-Team gestoßen.

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