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Partydrogen : Der schöne Schein

Partydrogen : Crystal Meths
© Radspunk/ CC-BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Von GHB über Crystal Meth (Foto) und Special K bis Speed – der Konsum von Partydrogen ist in einigen Teilen der queeren Szene eine Selbstverständlichkeit. Der schöne Schein – eine Reportage.

Mit „Chems“ den Alltag vergessen

Jacks Augen weiten sich: „Ui, ganz schön lang die Liste…!“ Die Liste, die der 18-jährige Schüler meint, ist in der Tat ziemlich lang: Marihuana, Koks, Speed, Crystal Meth, Pilze, Ecstasy… Allesamt Drogen, die er zu sich genommen hat in den letzten zwei Jahren oder aktuell zu sich nimmt. Eine Aufzählung als Ausdruck einer Drogenkarriere, die acht Jahre zuvor mit Alkohol begann, als der Vater dem 10-jährigen Jungen zum Vergnügen der Kumpels solange Bier einflößte, bis er sich nicht mehr rühren konnte. Jack ist kein Einzelfall: Für manche Clubgänger und Sexpartybesucher gehören Drogen wie selbstverständlich zum Wochenendprogramm. Im Chat laufen Substanzen wie GHB, Koks oder Crystal Meth ganz offen unter dem Sammelbegriff „Chems“, und viele wollen mit „Chems“, also in Laboren künstlich hergestellten Partydrogen, den Alltag vergessen. Wer Partydrogen nimmt, will glücklich sein, Spaß haben und mit Leichtigkeit etliche Stunden im Zentrum des nächtlichen Geschehens aushalten, ohne müde zu werden oder sich bei oberflächlichen Gesprächen zu langweilen. Es reicht nicht, am Wochenende einfach nur auszugehen und zu feiern, sie wollen dies „verstärken, sich dabei Freiräume schaffen“, so wie der Eventmanager Helge (32), der betont, er fühle sich dann „für ein paar Stunden extrem glücklich“. Jack stimmt ihm zu, merkt aber an, dass man dabei auch „selbstbestimmt sein muss.“ Er sei eigentlich ein reizbarer Mensch, wenn er aber Drogen konsumiere, gehe er „die Dinge locker an“ und könne „vieles besser ignorieren“.

Wenn Partydrogen zum Suizidversuch führen

Dass Jack fast im gleichen Atemzug von einem Suizidversuch berichtet, lässt seinen Bericht allerdings ad absurdum erscheinen. Am 12. September 2006 schnitt er sich die Pulsadern auf, weil „ich Angst hatte, mir alles zuviel wurde, mein Kopf verdreht war.“ Das Datum weiß er deshalb noch so genau, weil am Tag zuvor die Mutter einen runden Geburtstag hatte, und den wollte der Junge ihr eben „nicht versauen“. Die Konsumenten von Partydrogen eint es, dass es ihnen scheinbar gelingt, dem Alltag zu entfliehen. Besonders Opiate führen dazu, dass sie „sich geborgen fühlen“, wie Helge es ausdrückt. Marihuana wiederum gebe ihm „ein stärkeres Gefühl der eigenen Wahrnehmung.“ Koks und Speed stehen wiederum in dem Ruf, ein Gefühl der Überlegenheit hervorzurufen und ein Selbstbewusstsein zu bilden, was dem Umschüler Rocco (21) hilft, wenn er in einem Club jemanden anmacht. Alle bemühen das Credo: „Ich habe es im Griff!“ – es ist der Code der Verführten und die Ausflucht derer, die ihre Sinne „bewusst entregeln“, wie es der drogenerfahrene französische Dichter Arthur Rimbaud (1854 – 1891) einmal mit 17 Jahren in seinem berühmten „Seher-Brief“ beschrieb.

Arthur Rimbaud: Die Sinne „bewusst entregeln“…

Alle also scheinen bei der Entregelung der Sinne die Dinge fest „im Griff“ zu haben, was natürlich so nicht zwangsläufig auch der Wahrheit entsprechen muss. Der Modeblogger Dennis (29) etwa ist „todunglücklich“, weil sein Freund, mit dem er vier Jahre zusammen war, vor kurzem die Beziehung beendet hat. Er konnte Dennis‘ Drogenkonsum nicht mehr ertragen, wozu auch gehört, dass Dennis manchmal am Wochenende bis zu 200 Euro ausgibt, wobei neben Alkohol, Zigaretten und Speed – in der Szene spricht man vom „Hartz-IV-Koks“ – das Gramm Koks mit 60 Euro am stärksten ins Kontor haut. Ist das Koks dann wirklich rein? Sicher war sich keiner unserer Interviewpartner, deren Namen alle verfälscht sind, manche sprachen von Backpulver und gar Rohrreiniger, mit dem Koks gestreckt würde, da spiele ein gewisses Vertrauen zum Dealer natürlich eine große Rolle: „Wenn einer Dreck verkauft, spricht sich das schnell rum, und das macht dem Dealer dann auch schnell das Geschäft kaputt“, weiß Jack, der wie alle Konsumenten mit seinem Händler ein „Wording“, eine Sprachregelung also, vereinbart hat, um offen am Handy über den Drogenkauf reden zu können.

„Wording“ in Zeiten der NSA

„In den Zeiten der NSA ist das ja nun besonders wichtig!“ lacht Dennis. Und so bestellt er „Taschentücher“ oder „CDs“ bzw. „DVDs“. Die CD steht für Speed, die DVD für Koks, weil CDs eben preiswerter sind als DVDs. Der Konsum von Partydrogen ist ein permanentes Kräftemessen des Geistes mit dem Körper. Gäbe es einen Beipackzettel, stünden darin die Begleiterscheinungen: Übelkeit, Schweißausbrüche, Reizüberflutung, Erbrechen, Kopfschmerzen, Angstzustände, Verwirrung, Magenbeschwerden, Gewichtsverlust, Schädigung des Kurzzeitgedächtnisses, Sozialphobien, körperlicher Verfall… Letzteres ist insbesondere beim Gebrauch von Crystal Meth (Foto) eine fast schon zwangsläufige Folge. Gerade Cannabis, das lange Zeit gemeinhin als ungefährlich galt, führt, wie das „British Medical Journal“ berichtete, nach langjährigem Konsum gerade bei jungen Menschen zu Psychosen, Verfolgungswahn bis hin zur Schizophrenie. Speed wiederum kann eine Abnahme der Libido zur Folge haben. Die Weichteile ziehen sich zusammen, wenn man ordentlich drauf ist, weshalb man in der Szene spöttisch vom „Speed-Pimmel“ spricht, wenn einer beim Sex keinen hochbekommt.

Partydrogen: Der „Speed-Pimmel“ als Nebenwirkung

Das Internet ist voll mit Erfahrungsberichten, und etwas fehlt in Jacks Liste. Die Schmerztabletten nämlich, die er zu sich nehmen muss, wenn der Körper rebelliert, oder die Antidepressiva, wenn der Kopf verrückt spielt. Alle Befragten stimmen dem zu, was Rocco ausführt: „Die Drogen, die ich nehme, sollen mir was bringen, und das ist auch so!“ Hier nennt er besonders Ecstasy, die Droge verleihe ihm „eine unendliche Leistungsfähigkeit.“ Die Problematik der Abhängigkeit spielt da im Denken durchaus eine Rolle, wenn auch eine nur untergeordnete. Sebastian etwa lässt sich zu einem Paradoxon hinreißen, wenn er sagt: „Ich habe kein Drogenproblem, aber ich glaube schon, dass ich abhängig bin…“. Paradox ist teilweise auch die Situation in den Clubs. So berichtet ein Interviewpartner, dass in manchen Clubs die Drogen sogar vom Personal selbst vertickt würden – und das, wo sich viele Locations auf die Fahnen schreiben, Drogenkonsum in ihren Räumlichkeiten nicht zu dulden. Partydrogen sind ein prima Geschäft, und wo ein Markt ist, werden die Produkte weiterentwickelt: Trance, Rave Energy, Blue Mystic oder Cloud 9 heißen die „Designerdrogen“, die hierzulande häufig aus den USA oder aus Osteuropa kommend in den Clubs und Bars Einzug gehalten haben. Der Internationale Suchtstoffkontrollrat der Vereinten Nationen (UN) hat in seinem Jahresbericht 2010 festgehalten, dass allein in Europa sechzehn neue Substanzen unter Beobachtung stünden.

Der Drogenkonsument als „Laborratte“

UN-Experten kritisieren, dass der Konsument von Partydrogen oft auch als eine Art „Laborratte“ dient, wenn es gilt, die Wirkung neuer Substanzen zu erforschen. Die Namen der Drogen klingen meist trendy und clean und weisen auf eine Entwicklung hin, die sich spätestens seit der Techno-Bewegung der 1990er Jahre flächendeckend abzeichnet: Drogenkonsum hat nichts Schmuddeliges mehr, und eklige Zeremonien wie bei „Christiane F.“ auf versifften Matratzen mit Blut und Kotze scheinen weit weg zu sein. Dazu passt es auch, dass alle Befragten den Eindruck erwecken, fest im Leben zu stehen. Alle betonen, wie wichtig ihnen „Selbstdisziplin“ sei und auch „Selbstachtung“. Für die meisten gehört zu dieser Selbstdisziplin, dass sie Drogen nur dann nehmen, wenn sie ausgehen, was nicht nur am Wochenende, sondern häufig auch innerhalb der Woche passiert. Im Alltag jedoch sei der Drogenkonsum weitgehend tabu.

Wenn der schöne Schein zur Vergewaltigung führt

Rocco berichtet auch von seinen Erfahrungen mit „Zauberpilzen“ wie dem „Kahlkopf“, der nach etwa zwanzig Minuten im besten Falle für farbenfrohe Sinneswahrnehmungen und im schlechtesten Falle für üble Halluzinationen sorgt, in deren Folge man sich auch mal nackt auf der Straße wieder findet. Der 21-jährige Rocco ist ein „It-Boy“, nach dem man sich umdreht. Das kann schön sein für ihn. Oder aber die Hölle, etwa dann, wenn er breit ist und von Leuten irgendwohin abgeschleppt und dann willenlos gevögelt wird. Dies erfüllt vom Grundsatz her zwar den Straftatbestand der Vergewaltigung, doch wo kein Kläger, da kein Richter. „Keine Ahnung, wer mich schon alles gepoppt hat“, bekennt Rocco, und so weiß er auch nicht, ob der Sex geschützt ablief oder nicht. Einen Aidstest habe er schon gemacht, „negativ“, wie er sagt. Und dann: „Ein Wunder…“. Auch auf Sexpartys, egal ob nun in einem Club oder ganz privat zu Hause, spielen Partydrogen eine große Rolle. Poppers, GHB, Crystal oder Special K stehen hier hoch im Kurs, legen das Brennglas auf sexuelle Empfindungen und sorgen für Entspannung und Enthemmung. Ob sie allerdings zwangsläufig einen Einfluss auf das Safer-Sex-Verhalten ihrer Konsumenten haben, ist fraglich. Hier spielt vor allem eine Droge eine nicht zu unterschätzende Rolle, die durch ihre Legalität von vielen noch nicht mal als solche wahrgenommen wird: der Alkohol.

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

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