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Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Community, in der er lebt!

„Dafür bin ich nicht auf die Straße gegangen!“ hatte Hans wutschnaubend ausgerufen und unterstrich seine Empörung damit, indem er hektisch mit der schwulen Zeitschrift „Siegessäule“ (Berlin) herumfuchtelte.

In ihr hatte er eine Anzeige gelesen, mit der eine schwule Bibliothek Mitstreiter sucht, die „Lust auf Bücher und Spaß an der Teamarbeit“ mitbringen sollen. Es ist der Nachsatz in dem Anforderungsprofil, der Hans in seinen arg erregten Zustand befördert hat: „Du solltest nicht älter als 26 sein!!!“ Ein rechtswidriges Bewerberprofil, das bei der Suche nach Pornodarstellern ja noch okay wäre. Aber für eine Bibliothek? Für ein Umfeld, in dem gerade die schwulen Männer interessant sein könnten, die mehr als 26 Lenze zählen und infolgedessen auch mehr Bücher gelesen und dabei Erfahrungen gesammelt haben dürften, die für die unter 26-jährigen Schwulen interessant sein können? Absurd, und immer mehr schwule Männer fragen sich da zu Recht, was in der schwulen Community eigentlich los ist, wenn schon schwule Bibliotheken ältere Schwule – nichts anderes sagt diese Annonce aus – mit gleich drei „!“ schamlos ausgrenzen, ein Aufschrei darüber jedoch gänzlich ausbleibt.
Es ist so manches faul in der schwulen Community. So mündet seit längerem schon das, wofür Leute wie Hans einmal gekämpft haben mögen, für Toleranz und vor allem für Akzeptanz, zunehmend in einen Wettbewerb im kollektiven Hirnaufweichen. Es ist in einen übersexualisierten Zustand abgedriftet, in dem schwulen Männern ab spätestens 35 mit abweichendem Body-Mass-Index allenfalls noch das Recht zum aufrechten Gang zu einem Abdecker zugestanden wird.
Diesen Eindruck gewinnt man etwa beim Blick ins „www.“. Ist es nicht arg merkwürdig, dass man beim schwulen Date-Profil „Gayromeo“ kaum Annoncen findet, in denen attraktive Männer um die 50 andere attraktive Männer um die 50 suchen? Auf diesem Marktplatz der Eitelkeiten, szeneintern spöttisch „Die Blauen Seiten“ genannt, tummeln sich auf der Pirsch nach knackigen Junx in den 20ern massenhaft 50-jährige „Jeansboys“. Diese sehen nach eigenem Ermessen natürlich viel, sehr viel jünger aus, sie verweisen – wenn überhaupt – auf ein „gaaaaaanz kleines Bäuchlein“, sehen dabei in Wirklichkeit aber aus wie Dirk Bach, und versehen das ganze dann mit einem photoshopbearbeiteten Bild, das in Zeiten aufgenommen worden ist, als Willy Brandt noch Bundeskanzler war. Was, so fragt man sich, bringt manche schwule Männer eigentlich dazu, ihren Verstand an einem Internetportal abzugeben?
Es ist so manches faul in der schwulen Community. Und es sind die Objekte der Begierde, die hier eine prima Projektionsfläche bieten. Jene 20-jährigen also, die die Verlogenheit der älteren Schwulen in den Chats kräftig befördern. Für die ausschließlich das Hier und das Jetzt zu zählen scheint, der Kick also und die Reizüberflutung. Wo Fragen nach dem Morgen lästig sind und Diskussionen um die Hinrichtung von Schwulen im Iran oder anderswo exotisch. Sie genügen sich selbst, gehen dafür einmal im Jahr auf den Christopher Street Day (CSD), dies oft, ohne zu wissen, an was der CSD eigentlich erinnert („Who the fuck is Mister Christopher Street?“). Da rufen sie dann tanzend auf den wummenden Wagen aus, stolz zu sein, schwul zu sein, was intellektuell indes genauso dämlich ist wie das Bekenntnis zum Stolz darauf, ein Deutscher zu sein, weil man weder für das eine noch für das andere etwas kann, was aber nun einmal eine wesentliche Voraussetzung für ein jegliches Stolz-Sein ist. Bei den Prideparaden halten sie ihre knackigen Hintern in jede TV-Kamera und nachts in den Darkrooms zum ungeschützten Vögeln hin, weil Kondome uncool sind und AIDS weit weg zu sein scheint, AIDS also, „inzwischen heilbar“, wovon etliche Gayromeojunx überzeugt sind, und wo man dann wirklich langsam die Frage danach stellen darf, inwieweit diverse Partydrogen das Gehirn beeinträchtigen und im Umkehrschluß die Blödheit forcieren.


Es ist so manches faul in der schwulen Community. Da, wo viel von Toleranz gefaselt, sie aber selten gelebt wird. Als das damalige Gaymagazin „DU&ICH“ vor einigen Jahren durchaus mutig Fotos von einem korpulenten Schwulen gezeigt, der überdies auch noch nackt war: „Eklig!“ – das war noch eine der freundlichen Reaktionen der Leser der „DU&ICH“, und solch ätzende Intoleranz müsste all die vielen Schwulenverbände eigentlich zu einer kritischen Selbstreflexion treiben. Aber: Fehlanzeige! Im Gegenteil, fast hat man den Eindruck, mancher dieser mit Gutmenschen vollgepropfte Verein ist geradezu froh darüber, wenn jemand „Schwule Sau!“ ausruft oder aber ein Köter an ein Homodenkmal pisst, denn dann können LSVD & Co. die Redaktionen mit ihren vor Wehleidigkeit triefenden Pressemitteilungen, in denen sie neue Planstellen fordern, zumüllen, dies freilich, ohne zu bemerken, dass sie dabei wirken, als würden sie bei ihrer Erregung posttraumatische Belastungsstörungen aufarbeiten, weil ihnen mal jemand – ach Gottchen! – das böse Arschfickerwort hinterhergerufen hat. Schwule Toleranz wird auch allzugern mit einer überzogenen Nabelschau verwechselt, dann etwa, wenn sich Lederaktivisten in Ego-Gefurze ergehen und laut „Toleranz!“ skandieren, weil sich – Skandal! SKANDAL!! – Anwohner des Fugger-Kiezes in Berlin im Sommer 2009 darüber beklagten, dass sich zwei Lederkerle ausgerechnet einen Bürgersteig zum Bumsen ausgesucht hatten.
Ja, es ist so manches faul in der schwulen Community. Und das schlimmste an dieser Diagnose ist, dass es eine schwule Community, die diesen Namen wirklich verdient und die auch weiterhin gebraucht würde, seit langem schon nicht mehr gibt.

Bildquellen: flickr CC Guillaume Paumier

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

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