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„Lebensort Vielfalt“ feiert sein einjähriges Bestehen

Vor einem Jahr hat das Haus „Lebensort Vielfalt“ in Berlin seine Pforten geöffnet, gleichzeitig zog die Schwulenberatung Berlin von der Mommensenstraße in die Niebuhrstraße 59/60. Am 8. Juni 2013 wird dies mit einem „Tag der Offenen Tür“ gebührend gefeiert. Mit dieser Veranstaltung soll auch an die mehr als 30-jährige Geschichte der Schwulenberatung in Berlin erinnert werden.

Eine Zeit, die geprägt ist „von großem Engagement, vielen Diskussionen, Rückschlägen und Erfolgen“, so der Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin, Marcel de Groot. Entstanden ist die von ihm geleitete Institution aus der Selbsthilfe heraus hin zu einer professionellen Hilfsorganisation für schwule Männer. Im Mai 1980 wurde die Beratungsstelle gegründet. In einer Zeit, in der es noch heftigen Widerstand gegen homosexuelle Menschen gab. So weigerte sich 1981 die damalige „Deutsche Post“, einen Eintrag ins Telefonbuch aufzunehmen in dem das Wort „Schwulenberatung“ vorkam …

Schwule beraten Schwule, doch Hilfe können alle bekommen

Zwar stehe bei der Schwulenberatung Berlin das Schwulsein nicht zwingend im Vordergrund, doch sei das Engagement für schwule Männer eine Selbstverständlichkeit, so Marcel de Groot weiter. Es gelte dabei der Grundsatz „Schwule beraten Schwule“. Dass man mit diesem Programm richtig liege, zeige „der enorme Zulauf, den wir gerade in den vergangenen Jahren verzeichnet haben.“ Doch richte sich das Hilfsangebot grundsätzlich an alle Menschen, „ganz gleich ob schwul, bisexuell, transident oder auch hetero“. Dass die Macher der Schwulenberatung Berlin dabei nicht nur darauf warten, bis Hilfesuchende zu ihnen in die Niebuhrstraße kommen, zeigen etwa Aktionen wie „manCheck“: Nachts klappern die Helfer schwule Bars und Parties ab, die Zielgruppe sind Männer, die Sex mit Männern haben. Ihr Thema: Gesundheit, vor allem der Schutz vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Ihre Werkzeuge: Kondome, Flyer, manchmal auch Spiele. Die Männer der Schwulenberatung Berlin drängen sich dabei keinem auf, der das nicht will, doch unterbreiten sie das Angebot, Fragen zu beantworten und Hilfestellung zu geben. Wer das nicht will, wird eben in Ruhe gelassen.

Die Schwulenberatung Berlin hat weltweit ein einzigartiges Konzept

Seit ihrem Bestehen hat sich die Schwulenberatung Berlin immer mehr zu einem Kompetenzzentrum rund um die psychische Gesundheit der beratungsbedürftigen Personen und auch ihrer Angehörigen entwickelt – von der Sozialberatung bis hin zur therapeutischen Wohngemeinschaft. Einige Zahlen (Stand 2012): 120 Ehrenamtler_innen arbeiten in den verschiedenen Projekten der Schwulenberatung Berlin. 113 Menschen sind angestellt, darunter 94 Männer, 16 Frauen, 1 Transident, 6 Trans*, 20 mit Migrationshintergrund und 28 mit einer anerkannten Schwerbehinderung. 4.000 Quadratmeter Nutzfläche umfasst der „Lebensort Vielfalt“ und 4.000 Beratungsgespräche werden jedes Jahr durchgeführt. Sage und schreibe 40.000 Menschen haben die „manCheck-Teams“ (siehe oben) im Jahr 2011 auf ihren Touren durch die Berliner Schwulenszene angesprochen. 0 Euro kostet ein Beratungsgespräch. Stillstand gibt es in ihrer Arbeit nicht, Marcel de Groot, der seit 2001 die Geschicke der Schwulenberatung Berlin leitet, sagt dazu im vereinseigenen Magazin: „Wir dürfen uns nicht auf unseren Erfolgen ausruhen!“ Dass dies wirklich so ist, zeigt der „Lebensort Vielfalt“, eine Fortführung der weltweit ersten therapeutischen Wohngemeinschaft für schwule Männer. Entstanden ist die Idee vor rund zehn Jahren in einer Runde älterer Männer, die sich regelmässig in der Schwulenberatung Berlin im Gesprächskreis „Anders Altern“ trafen. Im Sommer 2012 war es dann endlich so weit: In der Berliner Niebuhrstraße zogen mehrere Generationen in ein Haus, und die neuen Mieter_innen stehen für eben jene Vielfalt, die der Ort stolz in seinem Namen trägt. Etwa 60 Prozent der Hausgemeinschaft sind schwule Männer über 55. 20 Prozent sind Frauen. Weitere 20 Prozent sind jüngere schwule Männer, davon vier unter 35. Der Mieter Bernd Gaiser bringt die Philosophie des Hauses trefflich auf den Punkt: „Es macht einfach mehr Spaß, mit anderen zusammenzuwohnen“. Eine weitere Besonderheit: Acht Mieter haben sich zu einer „Demenz-WG“ zusammengetan, rund um die Uhr werden sie von geschultem Personal betreut. Ein Haus also, dessen Konzept in Deutschland und Europa einmalig ist, wozu auch gehört, dass es eine gastronomische Einrichtung, das Café-Restaurant „wilde Oscar“ gibt. Gelebte Toleranz auch hier – der „wilde Oscar“ steht allen Menschen offen, und der Autor dieses Beitrags kann bestätigen: Es ist köstlich dort!

Schwulenberatung Berlin, Niebuhrstraße 59/60, 10629 Berlin. Telefon: 030-23369070. Der Tag der Offenen Tür am Samstag, 8. Juni, beginnt um 12 Uhr, geboten wird ein Kulturprogramm. Der Eintritt ist frei.

Weitere Informationen:

www.schwulenberatungberlin.de; www.lebensort-vielfalt.de; www.wildeoscar.de; www.mancheck.eu

Spenden:
Schwulenberatung Berlin, Konto 102 99 00 bei der „Bank für Sozialwirtschaft“, Bankleitzahl 100 205 00. Spenden sind steuerlich abzugsfähig!

Foto: © Schwulenberatung Berlin

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

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