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Berliner CSD e. V.: Das Märchen von der Community

Community entstammt dem lateinischen „communis“ und beschreibt eine Gruppe oder eine Gemeinschaft von Personen mit einem gemeinsamen (!) Interesse. „Community“, das ist ein Zauberwort, das LGBTI-Zugehörige ständig im Munde führen. Die aktuelle Debatte um den Verein „Berliner CSD e. V.“ und dessen Idee, den Christopher Street Day (CSD) in STONEWALL umzubenennen, zeigt im Wesentlichen allerdings eines: Eine Community gibt es nicht, das ist ein reines Märchen! Was es aber gibt, ist eine Vielzahl von Personen mit unterschiedlichen Partikularinteressen. Viele kochen ihr eigenes Süppchen und behaupten dabei stets von sich, im Anschluss die leckerste auf den Tisch zu zaubern. Dabei ist eines schon jetzt klar: In dieser Auseinandersetzung gibt es nur Verlierer, und das ist wohl kaum noch zu kitten.
Dass es sich bei der Begrifflichkeit Community um ein Märchen handelt, lässt sich im Wesentlichen anhand von Ereignissen aus der vergangenen Woche untermauern. Da gab es zum einen dieses sogenannte CSD-Forum, und auch hier ist eine Definition hilfreich. Ein „Forum“ ist nämlich ein Ort, der es Teilnehmern erlaubt, Fragen zu stellen sowie Meinungen und Ideen in einem organisierten Rahmen (!) mitzuteilen. Diesbezüglich war das CSD-„Forum“ am vergangenen Mittwoch ein Witz, ein ziemlich schlechter sogar. Da war zum einen ein Vorstand zu bewundern, der zwischen Lethargie und einem Abgrund von Überheblichkeit hin- und herschwankte. Bei einigen Vorstandsmitgliedern, und hier insbesondere beim „Moderator“, hatte man den Eindruck, sie seien eingeschlafen und hätten nur vergessen, vom Stuhl zu kippen. Kaum eine substanzielle Frage wurde von Frau Kraus und ihren Mit-„Streitern“ beantwortet, es war schlimm! Einzig dem Vorstandmitglied Reinhard Thole durfte man abnehmen, dass er um Sachlichkeit und Klärung bemüht war.

Nicht nur der CSD-Vorstand trägt Schuld an der Misère!

Insbesondere Geschäftsführer Robert Kastl hat es locker-flockig geschafft, mit seinem gewohnt arroganten Auftreten, dieses gepaart mit völliger Abwesenheit von Empathie, innerhalb von Minuten die Besucher des Forums, so auch den Autor dieses Beitrags, fuchsteufelswild zu machen. Es wird wohl immer Kastls Geheimnis bleiben, wie man sich derart aufführen kann in einer Situation, von der man doch schon vorher wusste, dass sie ausser Kontrolle geraten kann. Was dann ja auch geschah, und nun lohnt sich auch mal ein Blick auf manche Teilnehmer dieses sogenannten „Forums“. Da waren im Wesentlichen vier Gruppen zu beobachten. Zum einen die, die geschwiegen haben. Andere wiederum versuchten, ihre Gefühlswelt nach außen zu kehren, indem sie in leidgeschwängerten Wortmeldungen kundtaten, wie entsetzt sie doch über die Umgangsformen während dieses „Forums“ seien. Beides ist verständlich und nett, beides gibt es auch immer wieder, beides bringt aber keine Diskussion wirklich weiter. Das galt (und gilt) allerdings auch für die lauten „Forums“-Mitglieder, bei denen relativ schnell klar wurde, dass es hier um das Begleichen alter Rechnungen und um Personalia geht. Es gab empörte Rücktrittsforderungen, die man schon aus organisatorischer Sicht heraus in die Tonne treten muss. Andere wiederum präsentierten sich geradezu hysterisch. Was für ein Theater. Was soll denn das für eine „Community“ sein, die sich derart zerlegt? Ach ja, und dann war da noch eine vierte Gruppe, die aus den Teilnehmern bestand, denen es um Sachlichkeit ging, wobei hier insbesondere die Verlegerin Gudrun Fertig von der „Homopresse“ zu nennen ist, die in ihrem Wortbeitrag sehr konkrete Fragen nach dem „Warum?“ der geplanten Umbenennung stellte. Leider ging auch dieser konstruktive Beitrag gnadenlos unter, dies spätestens dann, als ein Gewerkschaftsschwuler putschartig die Moderation an sich riss, weil er, was man verstehen mag, wohl die Schnauze voll hatte von der Versammlungsleitung. Forum? Lächerlich! Community? Pah!

In dieser Auseinandersetzung gibt es nur Verlierer!!

Es war also ziemlich laut bei diesem „Forum“, und Konstruktivität ist da immer ein Fremdkörper. Das lässt sich auch bei Facebook beobachten, das will ja auch ein (Internet)Forum sein, ist dabei aber oft ein virtueller Stammtisch, wo man bei nicht wenigen den Eindruck gewinnt, sie geben beim Einloggen automatisch ihren Verstand am Internetportal ab. Interessant ist, dass in vielen aufgeregten Diskussionsverläufen Leute, die zu dieser hochgeputschten Stimmung keinen Beitrag leisten wollen, und im Gegenteil um konkrete Verbesserungsvorschläge bitten beziehungsweise diese anbieten, formvollendet im Orkus primitiver Meinungsvielfalt landen. Ja, es wird nicht mal auf sie eingegangen, denn hier scheint die Lust an der Empörung das Wichtigste zu sein. Da wird der Eindruck vermittelt, Robert Kastl hätte nicht nur ein paar Leichen im Keller, sondern wohne auf dem Wiener Zentralfriedhof. Und die von ihm geleitete „Publicom! GmbH“ ist da kein kritisch zu hinterfragendes Unternehmen, sondern mutiert zu einer Mafia-Organisation. Was soll das? Nichts Genaues weiß man nicht, also blubbert man einfach mal munter vor sich her, und dass der Vorstand des „Berliner CSD e. V.“ seriöse Presseanfragen unverändert nicht beantwortet, heizt diese Hetzerei natürlich noch an. Spätestens hier wird klar, dass es in dieser Auseinandersetzung nur Verlierer gibt beziehungsweise geben wird, und in einer solchen Gemengelage ist das Gerede von der „Community“ ein hohles und blödes Gerede. Wie entwickelt sich denn zum Beispiel diese kluge, da durchdachte Onlinepetition des jungen Schwulen Marius Valentin? Am ersten Tag dümpelte man so bei 40 Unterzeichnern rum. Nachdem queerpride.de darüber berichtet hat und der Beitrag hiernach vielfach geteilt wurde, steht man aktuell bei 324. Wenn die Zahl stimmt, die LGBTI gerne wie ein Mantra vor sich her tragen, wonach zehn bis 15 Prozent aller Berliner lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell sind, dann fragt man sich: Wo sind die alle? „Beim Poppen?“, wie eine aufgebrachte Facebookerin schreibt, die diese Onlinepetition unterstützt? Aktuell gibt es also gerade einmal 324 Unterstützer, davon 234 in Berlin, erbärmlich dies. Auch fragt man sich, warum sich sogenannte Homo-Ikonen wie zum Beispiel Rosa von Praunheim, Ulrike Folkerts, Maren Kroymann oder Peter Plate in dieser Debatte nicht korrigierend zu Wort melden. Alles dies zeigt, dass es eine schlagkräftige Community, die ihre Ideen lebt und verteidigt, nicht gibt. Sie ist eher wie Bhatura, dieses indische Ballonbrot. Aufgebläht kommt es auf den Tisch, dann pikst man hinein, es macht „Pfffffhhh!“ und zurück bleibt ein lasches, labbriges und fade schmeckendes Etwas.

Online-Petition: Der Berliner CSD muss weiter CSD heißen!

Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Community, in der er lebt!

Written by Holger Doetsch

Holger Doetsch ist Bankkaufmann, Redakteur und Autor verschiedener Bücher, unter anderem "Elysander" und "Ein lebendiger Tag". Im Journalismus kennt er alle Seiten des Tischs, er publiziert in mehreren Zeitungen und Onlinemedien, war Pressesprecher (u. a. in der letzten DDR-Regierung) und unterrichtet seit 1995 Journalismus, PR sowie Rhetorik an verschiedenen Hochschulen.

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